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In der ersten Tour nach dem Tod von Frontmann Chester Bennington zeigt Linkin Park, dass die Band sich auch fast 30 Jahre nach ihrer Gründung neu erfinden kann.

Frankfurt – „From Zero“ heißt das erste Album und die erste Welttournee von Linkin Park nach dem Tod von Frontmann Chester Bennington am 20. Juli 2017. Doch nach fast 30 Jahren Bandgeschichte ist es kein (Neu-)Beginn von null, es ist eher die Rückkehr zu alten Wurzeln. Das liegt auch an der neuen Leadsängerin Emily Armstrong, die am Dienstagabend (8. Juli) im Deutsche Bank Park in Frankfurt eindrucksvoll beweist, warum sie die Stelle an der Seite der verbliebenen fünf US-Boys verdient hat – und sogar eine neue Ära der Band einleiten könnte.

Trotz Zusatzshow in Frankfurt am Mittwoch hätten Linkin Park bei der Handvoll Konzerte, die in Deutschland gespielt wurden und werden, ein Vielfaches an Karten absetzen können. Binnen Minuten waren die fünf Shows auf deutschem Boden in diesem Jahr ausverkauft. In Frankfurt zeigte sich, warum: Linkin Park begeistert über Generationen hinweg, wie nur ganz große (Rock-)Bands das können. So treffen sich im ausverkauften Waldstadion Eltern mit ihren Kindern, Anzug- mit Kuttenträgern und Teenager mit Endfünfzigern. Und auf die Frage von Multitalent Mike Shinoda, wer denn zum ersten Mal bei einem Linkin-Park-Konzert sei, gehen entsprechend viele Arme hoch.

Linkin Park beim Open‘er Festival in Gdynia in PolenEmily Armstrong, neue Leadsängerin bei Linkin Park, beim Open‘er Festival in Gdynia in Polen. © IMAGO/ANTONI BYSZEWSKI / FotoNews / Forum

Das erklärt auch, warum die Stimmung gerade bei den Songs des neuen Albums besonders gut ist, wenngleich die alten Top-Hits wie „Numb“ oder „In the end“ weiterhin in der Lage sind, die Massen zu elektrisieren und trotz der durchaus ordentlichen Lautstärke eines Metal-Konzerts ein gewaltiger Chor entsteht, der dies noch zu übertönen in der Lage ist.

Knapp zweistündiges Konzert als Ritt durch fast 30 Jahre Bandgeschichte von Linkin Park

Das knapp zweistündige Set ist in vielerlei Hinsicht ein Ritt durch knapp drei Jahrzehnte Bandgeschichte, durch die Anfänge als „klassische“ Nu-Metal-Band, die dank Synthesizer-Klängen und Rap-Einlagen von Shinoda schon immer eigentlich ein eigenes Genre verdient gehabt hätte, weil es keine Band auf der Welt gibt, die eine solche Bandbreite abdeckt und dabei kommerziell so erfolgreich ist. Selbst die Phase der beinahe schon legendären Zusammenarbeit mit Rap-Ikone Jay-Z oder die eher poppigen Töne der Alben in den 2010er-Jahren finden teilweise Eingang in das in mehrere Abschnitte unterteilte Programm, bei dem angesichts der Vielzahl an erfolgreichen Songs immer auch andere Titel es verdient gehabt hätten, gespielt zu werden.

Linkin Park beim Open'er Festival in Gdynia in PolenMike Shinoda und Emily Armstrong von Linkin Park beim Open‘er Festival in Gdynia in Polen. © IMAGO/ANTONI BYSZEWSKI / FotoNews / Forum

Gekrönt wird das von den Songs des im vergangenen November erschienen Albums, die dem Gesangs-Duo Armstrong/Shinoda perfekt auf den Leib geschneidert sind, gleichwohl das gesangliche Zusammenspiel, das Shinoda und Bennington einst ausgezeichnet hatte, auch bei den älteren Titeln mit Armstrong als „Ersatz“ in weiten Teilen problemlos funktioniert. Nichtsdestotrotz steht die äußerlich eher unscheinbare Armstrong, die einst die Schule abgebrochen hat, um Rockmusikerin zu werden, nicht nur für eine Rückbesinnung auf härte Gitarrenriffs und eine Mischung aus melodischen Metal-Gesängen und dem charakteristischen Screaming, sondern erreicht mit ihrer außergewöhnlichen Stimme, die zwischen klarem Gesang und perfektem Schrei mühelos hin- und herwechseln zu scheinen kann, eine Härte in den Songs, die bislang unbekannt war.

Die Fans feiern das, wie sie eigentlich alles feiern, was die Band an diesem Abend abliefert. Auch wenn Armstrong ein paar Minuten braucht, um stimmlich und stimmungsmäßig warmzuwerden, um mehr aus sich herausgehen zu können – kein Wunder bei 60 000 frenetischen Fans, die mit hohen Erwartungen an den Frankfurter Stadtwald gekommen sind –, sorgt ihre Art als „Mädchen von Nebenan“ gemeinsam mit dem sympathischen Shinoda, der immer wieder den direkten Kontakt zu den Fans sucht, für eine Wohlfühlatmosphäre.

Linkin Park: Hommage an Gastgeber Frankfurt vor der Zusatzshow am Mittwoch

Auch die Integration in die Mainmetropole scheint der Band nicht schwer zu fallen, das „Ei Gude, wie?!“ geht Shinoda erstaunlich leicht von den Lippen, der den Fans anschließend auf Deutsch für die freundliche Aufnahme Armstrongs in die Linkin-Park-Familie sowie ihre Liebe zur Band dankt, später immer wieder kleine Geschenke verteilt, Autogramme gibt, Selfies schießt und sogar seine heiß geliebte schwarze Kappe – sein Markenzeichen – kurzerhand verschenkt, um sich im selben Augenblick von einem weiblichen Fan mit einer Einhornmütze aushelfen zu lassen. Mit der Wahl seines Zweit-T-Shirts – einem Trikot mit Eintracht-Frankfurt-Embleme – dürfte er schließlich auch den letzten Hessen überzeugt haben.

Doch das ist dem Sextett bis dahin längst auch musikalisch gelungen – egal, ob mit neuen Hits wie „Cut the bridge“, dem Nummer-eins-Song „The Emptiness Machine“, der die neue Ära und die Aufnahme Armstrongs markierte, und „Heavy is the crown“ oder Klassikern wie „Somewhere I belong“, „Papercut“ oder auch eher ruhigeren Nummern wie „Where‘d you go“, die das Waldstadion in ein Lichtermeer verwandelt, auf die mit „Two Faced“ kurz darauf aber auch eines der härtesten Bretter ausgepackt wird. Selbst „One step closer“ wird dank des Gastspiels von Sam Carter, Sänger der Vorband „Architects“, zu einer ungewohnt harten Nummer, die aber durchaus ihren Charme hat.

Mike Shinoda von Linkin Park beim Open‘er Festival in Gdynia in Polen.Mike Shinoda von Linkin Park beim Open‘er Festival in Gdynia in Polen. © IMAGO/ANTONI BYSZEWSKI / FotoNews / Forum

Auch die Show aus immer wieder sphärischen Elektro-Klängen als Zwischenspielen, ergänzt durch Soli an Keyboard und Schlagzeug, und Laser-Elementen gepaart mit den zwei großen Videowänden, auf denen immer wieder Live-Bilder von Band und Publikum sowie geometrische oder fließende Motiven übereinandergelegt werden, sind eine Mischung aus Moderne und Erinnerungen an Musikvideos der ersten beiden Alben „Hybrid Theory“ und „Meteora“.

Wandlungsfähigkeit als Markenzeichen von Linkin Park – Zwei Shows im Deutsche Bank Park

Und so ist es ein Abend für alle: für alte und neue, für junge und junggebliebene, für Metal-Fans und Anhänger von Synthesizer-Klängen und Rap-Einlagen, für Liebhaber von melodischem Gesang und harten Schreien – die Fans können sich jetzt schon auf die Zusatzshow am Mittwoch sowie die beiden weiteren – ebenfalls längst ausverkauften – deutschen Gastspiele in Hamburg und München sowie den Auftritten bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ im kommenden Jahr freuen.

Und gespannt sein, welche Richtung Armstrong und Linkin Park im Anschluss einschlagen werden. Die Wandlungsfähigkeit der Marke ist kurz vor dem Jubiläum anlässlich des 30-jährigen Bestehens jedenfalls einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt worden.

(Philipp Keßler)