Wenn Jürgen Sawatzki auf große Fahrt geht, ist er nach zwei Stunden zurück am Kai. Seit 35 Jahren nimmt der Kapitän Gäste mit auf Kreuzfahrt – auf eine Kreuzfahrt über die Alster im Herzen der Hamburger Altstadt. An diesem sonnigen Junitag begrüßt der 62-Jährige rund ein Dutzend Passagiere am Anleger 4 am Jungfernstieg.

Mit einem fröhlichen „Moin“ empfängt der Geesthachter seine Mitreisenden auf der „MFS Siebek“, kontrolliert Tickets und verkauft Fahrscheine. Punkt 11.15 Uhr macht die wie ihr Schwesterschiff „Ammersbek“ 1938/39 in Finkenwerder gebaute „Sielbek“ die Leinen los zur Rundfahrt.

Alsterdampfer MFS Sielbeck auf der Binnenalster.
Foto: Christoph Schumann

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Mit Hamburgs Rathaus und dem Konsumtempel Alsterhaus im Rücken nimmt das historische Schiff gelassen Kurs über die Binnenalster auf die viel befahrenen Lombards- und Kennedybrücke zu, vorbei an der sprudelnden Alsterfontäne. „Die Tour über die Alster gehört zu meinen Lieblingsstrecken“, erzählt Jürgen Sawatzki mit norddeutschem Dialekt, während über ihm Autos und Züge hinwegrollen. „Es gibt viel zu sehen. Immer wieder steigen Gäste zu. Und die Stimmung an Bord ist meist fröhlich.“ 

Moderne Elektrodampfer“ fahren ruhiger

Gut fünf Minuten dauert die Fahrt, dann legt Sawatzki zum ersten Mal am Steg vor dem Hotel Atlantic an. Dann folgt die längste Strecke auf „hoher See“: Fast zehn Minuten braucht die „Sielbek“ quer über die Außenalster bis zum Halt „Rabenstraße“ am jenseitigen Ufer der Außenalster. „Ich schätze, das sind vielleicht vier Kilometer“, so der Schleswig-Holsteiner, der täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit in die Hansestadt pendelt, wo er seine Routen nach fast vier Jahrzehnten ebenso konzentriert wie gelassen befährt.

Gelassen und gut gelaunt: Kapitän Jürgen Sawatzki.
Foto: Christoph Schumann

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Ein Geschwindigkeitsrausch ist auch nicht zu befürchten: die „Sielbek“ ist wie die anderen 17 Alsterdampfer aus der Flotte der Alster-Touristik (ATG) mit maximal etwa zehn Stundenkilometern unterwegs. In den Kanälen in Winterhude, Barmbek oder den Fleeten in der Speicherstadt sind es sogar nur fünf Stundenkilometer.

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Hamburgs „Weiße Flotte“größer alsGrößer als Zeichen

Seit 166 Jahren zeigt Hamburgs „Weiße Flotte“ Passagieren die Elbmetropole aus einem anderen Blickwinkel. Los ging es im Sommer 1859: Am 15. Juni machte der Schraubendampfer „Alina“, der dem Hamburger Schiffsmakler Johann Peter Parrau gehörte, erstmals die Leinen los – der kleine Dampfer startete auf der Alster mit einem Liniendienst zum Mühlenkamp im Stadtteil Winterhude sowie nach Eppendorf. Drei bzw. vier Schilling kostete die Fahrt, die als Premiere der heutigen Alster-Touristik GmbH (ATG) gilt. Ein Luxus für eine zuverlässige Verkehrsverbindung, den sich fast alle leisten konnten.

Schon 1860 schloss sich Parraus mit anderen Anbietern zu einem Verkehrsverbund mit abgestimmten Fahrplänen und gleichem Tarifsystem zusammen. Ihren noch heute typischen weißen Anstrich erhielten die Schiffe dann 1902 – das Geburtsjahr der „Weißen Flotte“. 1911 beförderten die Alsterdampfer im 30-Minuten-Takt fast elf Millionen Fahrgäste. Man fuhr sogar nachts. Heute besitzt die ATG, die wie die Hafenfähren der HADAG zur Hochbahn AG gehört, 18 Schiffe, mit denen sie an 365 Tagen rund 250.000 Gäste jährlich über Alster oder Elbe fährt, Touristen ebenso wie Hamburger. Insgesamt stehen mehr als 9000 Fahrten im Programm der ATG: die 2-stündige Alsterkreuzfahrt, eine ebenfalls 2-stündige Fahrt durch die Kanäle von Winterhude und Barmbek, eine Tour durch die Fleete der historischen Speicherstadt bis hin zur 3-stündigen Fahrt in die Vierlande bis zum Hafen Bergedorf. Einen Liniendienst wie in den Anfängen im 19. Jh. gibt es nicht mehr.

www.alstertouristik.de


„Aber gerade das ruhige Fahren macht das entspannte Erlebnis ja aus“, meint Sawatzki, der die mit einem emissionsarmen modernen Dieselmotor ausgestattete „Sielbek“ wahlweise mit dem klassischen Ruder oder per Joystick dirigieren kann.

Auf der „Sielbeck“: Holzruder und Joystick.
Foto: Christoph Schumann

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Die Flotte der Alsterdampfer war schon immer und ist auch heute noch ein Spiegel ihrer Zeit: Schiffe aus fast allen Epochen der Reederei kreuzen heute auf der Alster. Dabei setzt die ATG auf zukunftsträchtige Antriebe: Das Solarschiff „Alstersonne“ ist seit 2000 im Einsatz. Und mit der „Eilbek“ wurde im vergangenen Jahr auch das zweitälteste Schiff der ATG-Flotte auf Strom umgerüstet. Seit dem Herbst besitzt die „Eilbek“ einen 100-kW-starken Elektromotor, gespeist von sechs Batterien. Weitere Mitglieder der „Weißen Flotte“ sollen folgen.

Und wie fahren sich die Elektroschiffe, auch im Vergleich zu ihren klassischen Schwestern wie der „Sielbek“ oder dem kürzlich originalgetreu restaurierten Museumssschiff „Aue“? „Elektroschiffe fahren ruhiger. Aber für mich macht das im Alltag eigentlich keinen Unterschied“, findet Jürgen Sawatzki, der je nach Schichtplan verschiedene Touren und Schiffe fährt.

Die „Eilbek“ vor Hamburgs Kulisse.
Foto: Christoph Schumann

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Seit Corona gibt es viele Stand-Up-Paddler

Derweil begleiten einige Enten, ab und an ein Alsterschwan, vor allem aber Segel- und Ruderboote an diesem Donnerstag die „Sielbek“ hinüber zum Stopp am „Uhlenhorster Fähraus“, wie Sawatzki kurz vor dem Anlegen seinen Gästen per Lautsprecher mitteilt.

„Schlecht wird es vor allem, wenn Alkohol ins Spiel kommt und die Stimmung steigt. “

Jürgen Sawatzki

Alsterkapitän

Gibt es manchmal kritische Situationen, wenn Segler und Alsterschiffe sich begegnen? „Nein, ich erinnere mich wirklich an keine gefährlichen“, sagt Sawatzki, der als gelernter Binnenschiffe nach Jahren auf Rhein und Elbe der Liebe wegen in Holstein sesshaft wurde. „Wir kommen auf dem Wasser gut miteinander aus.“ Stark zugenommen habe nach der Corona-Pandemie aber die Zahl der Stand-up-Paddler: „Davon gibt es auf den Kanälen, besonders im Stadtpark wirklich viele. Und schlecht wird es vor allem, wenn Alkohol ins Spiel kommt und die Stimmung steigt. An warmen Sommerabenden oder an Wochenenden. Aber passiert ist zum Glück noch nichts“, so der Vater zweier erwachsener Töchter. 

„Strahlende Stadt“, wenn die Blumen blühen

Wenig später fährt die „Sielbek“ unter der Krugkoppelbrücke hindurch in den Alsterkanal. Auch heute noch sei das Frühjahr für ihn die schönste Jahreszeit in Hamburg, lacht Sawatzki und zeigt durch die schmalen Fenster seiner Brücke: „Wenn die Bäume im Alsterpark oder die Rhododendren und Blumen in den Privatgärten am Kanal blühen, strahlt die Stadt richtig.“

Nach genau einer Stunde kommt der Anleger am „Winterhuder Fährhaus“ in Sicht. Jürgen Sawatzki dreht seine „Sielbek“ und legt an. Einige Fahrgäste gehen von Bord, drei asiatische Reisende und eine Hamburgerin mit Saisonkarte steigen zu.

Anleger „Winterhuder Fährhaus“ mit Wartenden.
Foto: Christoph Schumann

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Wie viele Passagiere er in seiner Laufbahn gefahren hat? Sawatzki weiß es selbst nicht. „Ich schätze, dass es 140 bis 150 Gäste durchschnittlich am Tag sind – alles andere kann man sich ja ausrechnen …“

Genau eine Stunde und neun Halte später sind Jürgen Sawatzki, die „Sielbek“ und eine Handvoll Passagiere – dank Zwischenaus- und -zustiegen wechselt ihre Anzahl ständig – zurück am Jungfernstieg.

Start und Ziel: Der Jungfernstieg.
Foto: Christoph Schumann

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Es ist Punkt 13.15 Uhr. Nach einer kurzen Pause wird der Kapitän seine Mittagsfahrt auf einem anderen ATG-Schiff machen. Wann er ganz von Bord geht? Jürgen Sawatzki überlegt: „Drei Jahre werde ich mindestens noch fahren. Zum Glück kommen ja Jüngere nach, obwohl das Thema Fachkräftemangel auch bei der ATG groß ist.“