Essen. Zikaden, Lavendel, Côte d’Azur: Frankreich zieht Menschen in den Bann – auch literarisch. Zur Urlaubszeit gibt es neue Provence-Krimis.

Das ewige Konzert der Zikaden, Pastis und Roséwein, Lavendel und blauer Himmel, die frische Brise am Mittelmeer: Das und mehr zieht Millionen Touristen jedes Jahr nach Frankreich. 100 Millionen ausländische Gäste besuchten 2024 das Land, das Sehnsucht nach Licht weckt. „Zwischen kosmopolitischer Geschäftigkeit und mediterranem Laisser-faire ist es zweifelsohne das Licht, das glücklich stimmt“, beschreibt Autorin Joséphine Nicolas alias Christiane Adlung ihre Liebe zu Südfrankreich. Mit ihren Romanen „Tage mit Gatsby“ (2021) und „Das Haus am Meeresufer“ (2023, beide Dumont) nimmt sie den Leser mit auf eine Reise in die Goldenen Zwanziger Jahre an die Côte d’Azur.

Die Provence mit ihrer azurblauen Mittelmeerküste ist heute ein beliebtes Reiseziel der Deutschen – mit steigender Tendenz. Davon profitieren auch renommierte Buchverlage, die stets zum Beginn der Sommerurlaubszeit neue Provence-Krimis beliebter Autoren auf den Markt bringen, die das so typisch französische Savoir-vivre mit ein wenig Nervenkitzel würzen.

Sophie Bonnet: Bunte Stoffe und die Pariser Haute Couture

Sophie Bonnet entführt im elften Fall für Pierre Durand, „Provenzalisches Licht“ (blanvalet), in die schillernde Welt der Mode und gewährt einen Einblick in die Fertigung der farbenfrohen traditionellen provenzalischen Stoffe. „Ich bin ein sehr visueller Mensch“, sagt Sophie Bonnet und verrät, dass sie das Thema Mode schon lange auf dem Block hatte. Die Hamburgerin, die viel Zeit in der Provence verbringt, hat selbst einmal in der Modebranche gearbeitet und kennt den Background dieser glamourösen Welt. „Inzwischen hat sich viel verändert. Für die Modeschöpfer gestaltet sich die Situation immer schwieriger.“ In ihrem neuen Krimi öffnet sie die Tür zu einer leuchtend bunten Welt, in der die traditionellen provenzalischen Stoffe und die Pariser Haute Couture eine Melange eingehen.

Im kleinen Sainte-Valérie im Luberon findet die Modenschau des Designers Cyril Fontanel statt, und der Chef de Police, Pierre Durand, hat alle Hände voll damit zu tun, für die Sicherheit der illustren Gäste zu sorgen. Doch als Fontanel anonyme Morddrohungen erhält, wird die Sache heikel. Auf die glitzernde Welt der Mode fällt ein Schatten. „Ohne Mord geht es nun mal nicht“, sagt Bonnet. Die Suche nach dem Täter führt Durand in das etwas abseits der Touristenströme gelegene Tarascon.

Ein Besuch lohnt sich: Dort ist der Stammsitz der provenzalischen Stoff- und Modemanufaktur Soleiado mit Boutique und Museum. Ganz in der Nähe in Saint-Étienne-du-Grès befindet sich die 1818 gegründete Stoffdruckerei Les Olivades (Name seit 1977), die als einzige die alte Kunst des Stoffdrucks in Südfrankreich fortführt und weiterentwickelt. „Es war faszinierend, darüber vor Ort zu erfahren.“

Cay Rademacher: Geheimnisvolle Suche in antiker Stätte

Cay Rademacher gerät ins Schwärmen, wenn er über seinen neuen Provence-Krimi spricht: „Die Alpilles sind eine wahnsinnig schöne Landschaft. Die Natur ist dort atemberaubend, die Stille, die Täler, die Ausblicke.“ Die Kalksteinkette im Südwesten der Provence zwischen Salon-de-Provence, Cavaillon und Arles hat es nicht nur ihm angetan. Wanderer und Naturliebhaber besuchen Jahr für Jahr diese Region. Dort liegt der Schauplatz des 12. Falls von Capitaine Roger Blanc.

In „Rätselhaftes Saint-Rémy“ (Dumont) bringt der Autor seinen Lesern nicht nur die dortige Flora und Fauna näher, sondern auch Glanum, das Pompeji der Provence. In den antiken Ruinen aus der Römerzeit führt ein junger Archäologe der Pariser Sorbonne Ausgrabungen durch. Doch bald wird der Forscher im Schacht einer Quelle, die den Kelten, Griechen und Römern heilig war, ermordet aufgefunden.

In „Rätselhaftes Saint-Rémy“ (Dumont) erleben die Leser Glanum, das Pompeji der Provence. (Symbolbild)

In „Rätselhaftes Saint-Rémy“ (Dumont) erleben die Leser Glanum, das Pompeji der Provence. (Symbolbild)
© Shutterstock / trabantos | trabantos

Die Spuren führen auch in das schöne und bei Touristen so beliebte Städtchen Saint-Rémy. Rademacher: „Der Leser wird die Orte wiedererkennen. Die Cafés und schattigen Plätze, das Hotel an der Avenue Pasteur Richtung Glanum. Natürlich spielt das Archäologische Museum, das Hôtel de Sade, auch eine Rolle.“ Der Historiker spinnt den Faden von Glanum, zum alten Stadtpalais und der Familie de Sade. „Es gibt viele Verdächtige und ein Verbrechen, das vor Jahrzehnten geschehen war. Ein Cold Case. Solche Fälle faszinieren mich besonders.“

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Rademacher, der mit seiner Familie seit vielen Jahren in der Nähe von Salon-de-Provence lebt, will jetzt die nördliche Provence erkunden – in Wanderschuhen. Und weil es ihm Spaß macht, Orte zu entdecken und zu beschreiben, darf sein Krimi-Held Roger Blanc 2026 im 13. Fall in einem größeren Radius ermitteln. „Entspricht vielleicht nicht ganz den französischen Polizeistrukturen, aber im Roman sicher legitim.“

Pierre Martin: Partylaune mit fadem Beigeschmack

Die wahre Identität von Pierre Martin bleibt weiterhin ein Geheimnis. Der unbekannte Autor nimmt seine Fans in seinem 12. Provence-Krimi wieder mit auf die Halbinsel von Saint-Tropez, wo der Jetset sich im Sommer gerne in den teuren Strandklubs vergnügt. In „Madame le Commissaire und die gefährliche Begierde“ (Knaur) bekommt das ausschweifende Partyleben einen faden Beigeschmack. Isabelle Bonnets beste Freundin Clodine wird frühmorgens völlig nackt und verwirrt am Strand von Pampelonne aufgegriffen und kann sich an nichts mehr erinnern. Wurden ihr Drogen verabreicht? Isabelles Kollege, der etwas schrullige Apollinaire, stößt auf einen ähnlichen Fall – mit einer toten Frau.

Der Provence-Krimi „Madame le Commissaire und die gefährliche Begierde“ spielt in Saint-Tropez. (Symbolbild)

Der Provence-Krimi „Madame le Commissaire und die gefährliche Begierde“ spielt in Saint-Tropez. (Symbolbild)
© Shutterstock / xbrchx | xbrchx

Der geheimnisvolle Pierre Martin hat für seine Fans noch eine gute Nachricht. Seine Krimi-Reihe um Monsieur le Comte wird fortgesetzt. Lucien Comte de Characasse trägt ein schweres Erbe: Das alte Adelsgeschlecht gibt seit Generationen die Kunst des Tötens an die Nachkommen weiter. Doch Auftragsmorde liegen dem Frauenliebhaber und Weinkenner nun mal überhaupt nicht. Der dritte Band Monsieur le Comte und die Kunst der Entführung erscheint im November.

Marcel Pagnol: Eine literarische Reise in die Provence

Es geht auch ohne Krimi: Marcel Pagnols Kindheitserinnerungen an die Provence sind ein hinreißendes Lesevergnügen und zeitlos schön. Die Romane aus den 1950er Jahren versprühen den Zauber des Midi. Die Kindheitserinnerungen des Schriftstellers sind eine Hommage an das Land des Lavendels und wecken Reiselust.

Lavendel blüht auf einem Feld vor dem Kloster Sénanque im Süden Frankreichs. (Symbolbild)

Lavendel blüht auf einem Feld vor dem Kloster Sénanque im Süden Frankreichs. (Symbolbild)
© Shutterstock / Boris Stroujko | Boris Stroujko

Wir verließen das Dorf, nun begann der Zauber, und ich fühlte das Erwachen einer Liebe, die mein Leben lang dauern sollte. So erinnert sich Marcel Pagnol im Alter von 62 Jahren an den Beginn seiner ersten Ferien im Sommer 1904. Zusammen mit seiner Familie begibt sich der Neunjährige auf die beschwerliche Reise von Marseille in die nur knapp zwanzig Kilometer entfernte La Bastide Neuve. Mit Pferdekarren, Trambahn und vor allem zu Fuß führt der Weg ins Dorf La Treille – heute ein Stadtteil von Marseille.

Ein Sommer voller Entdeckungen und Erfahrungen liegt vor Marcel. In seinen Jugenderinnerungen „Eine Kindheit in der Provence“, veröffentlicht 1957, beschreibt er die Einzigartigkeit dieser Landschaft, in der sich eine leichte Brise erhob und plötzlich Lavendel- und Thymianduft entfachte. Noch im selben Jahr setzt er die Geschichte mit dem Roman Das Schloss meiner Mutter fort. Mit Marcel und Isabelle, der Erzählung des Sommers 1905, beendet er die Trilogie 1959. In diesem dritten Buch bringt das Mädchen Isabelle Unordnung in sein Kindheitsparadies, das letztendlich aber seine Magie bewahrt.

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Eine Liebeserklärung an die Provence in drei Teilen in der Übersetzung von Pamela Wedekind erschienen im Piper Verlag. Marcel Pagnols Kindheitserinnerungen an die Provence wecken auf jeden Fall Reiselust. Dass die Erlebnisse und die Berührung mit Flora und Fauna des Neunjährigen beinahe 120 Jahre zurückliegen, vergisst der Leser schnell.