
AUDIO: Regisseur von „Migrantenexpress“: „Sehnsucht ist iranische Kernemotion“ (3 Min)
Stand: 12.07.2025 12:18 Uhr
„Migrantenexpress“ vereint biografische, dokumentarische und fiktive Sequenzen, basierend auf Erfahrungen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler – viele von ihnen mit iranischen Wurzeln. Heute Abend ist Premiere im Lichthof Theater Hamburg.
Wie geht es der iranischen Community in Hamburg seit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Iran? Immerhin ist sie – nach London – mit etwa 30.000 Menschen die zweitgrößte in Europa. Das Stück „Migrantenexpress“ könnte Antworten geben.

Zahlreiche Interviews lieferten die Grundlage für das Theaterstück „Migrantenexpress“.
Es zeigt Bilder von Verlust und Sehnsucht, von Panik und Trauer: Eine Tänzerin, deren Hand plötzlich zu zittern beginnt, was sie nicht verstecken kann – als wäre da etwas Unausgesprochenes. Ein Geheimnis? „Es gibt ein Zitat, das heißt: ‚Sehnsucht ist die Seele des persischen Volkes'“, sagt Regisseur Kian Jazdi. Sehnsucht sei in der iranischen Identität eine Kernemotion. „Und die Sehnsucht nach dem Zuhause ist, glaube ich, die Realität von Migration.“ Kian Jazdi ist Halbiraner. „Das Stück baut auf Interviews auf, die ich 2023 mit Menschen aus verschiedenen Generationen geführt habe, die aus dem Iran geflüchtet sind.“
Inspiration durch Geschichten aus dem realen Leben

Das Stück wirft unter anderem überkommene Geschlechterbilder um. Deshalb könnte es wohl auf Bühnen im Iran nicht aufgeführt werden.
Eine der Interviewpartnerinnen war Kimia Bani. Die Percussionistin hat den Iran 2018 verlassen. „Als Musikerin, als Frau, als Aktivistin – ich konnte nicht mehr frei leben oder meine Meinung sagen“, erzählt sie. Ihre Interviews haben den Theaterabend mit inspiriert. Auf die Frage, wie es ihrer Familie in diesen Tagen und Wochen geht, entgegnet Kimia: „Die sind okay. Aber heutzutage ist es alles ein bisschen erdrückend mit der Situation, mit dem Krieg. Zum Beispiel letzten Monat hatten wir für eine Woche keinen Kontakt. Das ist eine schwierige Erfahrung als Iranerin in der Diaspora.“
Stück wäre nichts für Bühnen im Iran
So mischen sich in dem Stück choreografische Szenen mit biografischen Brüchen: Man spürt sie, ohne dass sie ausgesprochen oder illustriert werden. Das Ensemble schmiegt sich eng aneinander, in einer Schneckenbewegung, doch dann will einer ausbrechen, die anderen halten ihn fest. Ein junger Mann spricht ein Liebesgedicht auf Farsi, flüstert es aber wie einen Hilfeschrei. Eine Frau nimmt einen Mann auf den Rücken – sie dominiert ihn, wirft überkommene Geschlechterbilder um, mühelos. Ob das Stück so im Iran zu zeigen wäre? „Ich kann leider nicht in den Iran reisen, das heißt, ich weiß es nicht. Aber ich gehe fest davon aus, dass es so nicht zu zeigen wäre, ja“, sagt der Regisseur.
„Iraner sind sehr stark“
Es entsteht eine Performance, die Reibungen und Abgründe zeigt, subtil andeutet, was Menschen mit Migrationsgeschichte bewegt. Der gebürtige Teheraner Amin Bahremand etwa ist vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen: „Meiner Familie geht es gut, aber was heißt gut? Die Iraner sind sehr stark. Wir finden immer einen Weg, und das Leben ist immer größer als die Einschränkungen. Ich sehe, dass die Menschen ihre Stärke wiederfinden.“
Der junge Graphikdesigner ist heute stolzer Hamburger, wie er sagt. Er erzählt, wie es ihm in den vergangenenen Wochen während der Luftangriffe der israelischen Armee auf Teheran erging: „Ich wusste nicht, wie ich das ausdrücken soll. Ich hatte sogar eine Illustration gemacht mit der Stadt in meinem Kopf, die bombardiert wird, all meine Visionen, die so düster waren. Ein Tag kann sich manchmal anfühlen wie ein Jahr.“
Das Stück soll emotionale Spuren legen
Hinter der Bühne flackern Videos auf, Bilder von Protesten im Iran – aber tagespolitisch will das Stück nicht sein, sondern emotionale Spuren legen, die für alle gelten. „Die aktuelle Politik im Iran ist immer präsent, seit Tag eins in dem Projekt“, sagt Regisseur Kian Jazdi, „und natürlich ist durch den Krieg zwischen Iran und Israel im Moment ein neuer Fokus auf den Iran. Aber das, was jetzt gerade passiert, ist der Vulkanausbruch, aber der Vulkan ist die ganze Zeit aktiv und brodelt die ganze Zeit.“
Zwei Männer stehen hintereinander, berühren sich – der eine zittert wie in Panik, der andere schließt ihn in die Arme. Beide Körper beruhigen sich. Plötzlich herrscht Frieden.
Das Stück „Migrantenexpress“ feiert am 12. Juli um 19 Uhr Premiere im Lichthof Theater Hamburg. Die zweite Vorstellug ist am 13. Juli.