Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass der erste Fusionsreaktor in Deutschland entstehen soll. Ist das realistisch?
Das ist ambitioniert, aber nicht völlig unrealistisch. Weltweit geht die Entwicklung in Richtung eines ersten Reaktors, Deutschland wäre also nicht allein auf weiter Flur.
Und dieser erste Reaktor wäre nicht ein weiterer Forschungsreaktor, sondern würde tatsächlich Strom liefern?
Wenn ich von einem Fusionskraftwerk spreche, dann meine ich tatsächlich kein Experiment mehr, sondern eine Anlage, die Strom ins Netz einspeist.
Aber gerade wird doch erst der große Forschungsreaktor ITER in Frankreich gebaut und soll erst ab Mitte der 2030er Jahre Ergebnisse liefern.
Ja, aber man kann die Entwicklung parallelisieren. Wir sind beim Aufbau von ITER schon ziemlich weit gekommen und haben dabei sehr viel gelernt. Wenn wir jetzt anfangen würden, ein Fusionskraftwerk zu designen und zu bauen, dann würden die Ergebnisse von ITER rechtzeitig kommen, um daraus zu lernen, wie man eine solche Maschine betreibt. Vielleicht müsste man das neue Kraftwerk etwas größer bauen oder eine gewisse Sicherheitsmarge einplanen, damit es wirklich funktioniert. Aber man muss nicht warten, bis ITER komplett läuft.
Und wie lange dauert es dann bis zum ersten Reaktor, der Strom liefert?
Man müsste mit etwa 20 Jahren rechnen – wenn die Förderung jetzt massiv verstärkt wird. Wir als Forschungseinrichtungen wissen im Prinzip, wie es geht. Aber wir verfügen nicht über die industrielle Fertigungstechnik. Deshalb müssen wir mit der Industrie zusammenarbeiten, sie einbeziehen – dafür braucht es gezielte Anreize.
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Zur Person
Hartmut Zohm ist Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und einer der führenden Fusionsforscher in Deutschland. Er ist in die europäische Planung für künftige Fusionskraftwerke eingebunden und gehört zu den wissenschaftlichen Beratern der Bundesregierung für Fusionsenergie.
Hartmut Zohm
© IPP
Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger hat bereits 2022 eine Milliarde Euro für die Entwicklung der Fusionsenergie versprochen. Sind diese Gelder schon angekommen?
Ein Teil davon, ja. In dieser Milliarde war bereits die bestehende Förderung enthalten, zusätzlich kamen etwa 300 Millionen Euro on top. Die ersten Mittel davon sind auch schon geflossen, vor allem in Projekte, bei denen die Industrie eingebunden wird. Der Grundstein ist also bereits gelegt.
Und wie viel Geld braucht es für den ersten Fusionsreaktor?
Schätzungsweise 20 Milliarden Euro in den kommenden 20 Jahren.
Was wären die Vorteile von Fusionsenergie?
Fusionsenergie ist die Energiequelle, die zum Beispiel dafür sorgt, dass die Sonne heiß ist – oder dass Sterne leuchten. Sie entsteht durch die Verschmelzung von Wasserstoffkernen. Diese Verschmelzung ist extrem effizient: Man braucht nur sehr wenig Brennstoff – in unserem Fall Wasserstoffisotope – um sehr viel Energie zu erzeugen. Und diese Ressourcen sind auf der Erde relativ gleichmäßig verteilt und gut verfügbar. Fusionsenergie ist also eine nachhaltige Energiequelle.
Ohne Risiken und radioaktiven Abfall?
Obwohl die Fusionsenergie im Prinzip zur Kernenergie gehört, unterscheidet sie sich grundlegend von der Kernspaltung: Sie hat nicht das Risiko eines unkontrollierten Durchgehens, wie es bei Atomkraftwerken der Fall sein kann. Und der radioaktive Abfall, der dabei entsteht, hat eine viel kürzere Halbwertszeit. Man muss also nicht in geologischen Zeiträumen denken, wenn es um die Lagerung geht. Aber viele dieser Komponenten müssen jetzt noch industriell gebaut und im Zusammenspiel getestet werden.
Schon seit Jahrzehnten wird die Kernfusion entwickelt, warum dauert es so lange?
Wir haben es mit einem sehr exotischen Zustand der Materie zu tun – einem Plasma, wie es im Inneren der Sonne vorkommt. In unseren Experimenten erreichen wir Temperaturen von rund 100 Millionen Grad. Dieses Plasma wird in einem Magnetfeld eingeschlossen, weil es nicht mit den Wänden des Reaktorgefäßes in Berührung kommen darf. Das Verhalten des Plasmas in diesem Magnetfeld ist sehr komplex – es gibt Ströme, Magnetfeldveränderungen, alles ist hochdynamisch. Und das musste man erst einmal physikalisch so gut verstehen, dass man es mit Gleichungen beschreiben kann.
100.000.000
Grad Celsius herrschen bei Experimenten zur Fusionsenergie. Das ist heißer als im Inneren der Sonne (15 Millionen Grad). Die höhere Temperatur ist nötig, weil der Druck im Vergleich zur Sonne viel geringer ist.
Warum ist das nötig?
Weil durch die Turbulenzen zu viel Wärme verloren gehen kann. Erst wenn man versteht, wie diese Turbulenzen funktionieren, kann man die Bedingungen im Reaktor so optimieren, dass der Wärmetransport möglichst gering ist – zum Beispiel durch die Form des Magnetfelds. Nur dann gelingt es, das Plasma dauerhaft heiß genug zu halten, um eine Fusion aufrechtzuerhalten.
Es gibt unterschiedliche Reaktortypen – etwa den Tokamak von ITER oder den Stellarator in Greifswald. Wer wird das Rennen machen?
Beide Konzepte nutzen Magnetfelder, um das Plasma einzuschließen. Der Tokamak ist derzeit weiter entwickelt, vor allem weil er einfacher zu bauen ist. Aber inzwischen haben wir auch verstanden, wie man Stellaratoren bauen kann. Und langfristig glaube ich tatsächlich, dass der Stellarator das überlegene Konzept sein könnte.
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Während in Europa vor allem auf magnetische Einschlussverfahren gesetzt wird, verfolgen einige US-Projekte einen ganz anderen Ansatz: Dort wird versucht, mit extrem starken Lasern winzige Wasserstoffpellets zur Fusion zu bringen. Ist das eine ernsthafte Alternative?
Diese sogenannte Trägheitsfusion ist technologisch noch deutlich weniger weit entwickelt. Das liegt vor allem daran, dass sie im Wesentlichen aus der militärischen Forschung stammt. Die Forscher dort waren lange gar nicht darauf fokussiert, daraus ein Reaktorkonzept für die zivile Energiegewinnung zu entwickeln.
Solar- und Windenergie sind großartige Energiequellen, die wir weiter ausbauen sollten.
Hartmut Zohm, Fusionsforscher
Welche Länder sind im Rennen um einen ersten Fusionsreaktor? Könnte Deutschland wirklich Erster werden?
Ich würde nicht nur von Deutschland, sondern von Europa sprechen. Deutschland kann sicher eine Führungsrolle übernehmen, aber das europäische Fusionsprogramm insgesamt ist sehr stark. Die größten Wettbewerber sind derzeit vor allem China, dort wird massiv investiert. Auch Großbritannien hat nach dem Brexit ein starkes eigenes Programm aufgezogen – mit Beteiligung der Industrie. Und in den USA wird weiterhin intensiv geforscht. Allerdings fehlt dort manchmal eine klare Linie: Die USA ändern öfter ihre strategische Ausrichtung, was sie zu einem etwas unsteten Partner macht.
Angenommen, in 20 Jahren steht in Deutschland der erste Fusionsreaktor – können wir dann die Windräder abbauen?
Davon halte ich gar nichts. Solar- und Windenergie sind großartig Energiequellen, die wir weiter ausbauen sollten. Allerdings werden wir immer auch eine verlässliche, planbare Komponente benötigen, die unabhängig vom Wetter zusätzliche Energie liefern kann. Das könnte künftig die Fusionsenergie leisten – die allerdings auch nicht umsonst sein wird. Ein ausgewogener Energiemix macht unser System widerstandsfähiger – nur auf eine einzige Energiequelle zu setzen, halte ich für grundlegend falsch.