Die Niederlande braucht im letzten Gruppenspiel gegen Frankreich einen hohen Sieg, um doch noch ins EM-Viertelfinale einzuziehen. Ansonsten heißt es für den scheidenden Coach Andries Jonker: letzte Ausfahrt Basel.
Katja Ebstein hätte ihre Freude gehabt. Selten wurde das „Wunder“ so häufig benutzt, wie bei der Abschlusspressekonferenz der Niederländerinnen vor dem wichtigen Spiel gegen Frankreich. Allen voran Cheftrainer Andries Jonker sprach gleich mehrere Mal vom „Wunder“, vom „Wunder von Basel“ und dass es Wunder immer wieder gäbe. Woher der 62-Jährige diesen Optimismus nahm, darüber wunderten sich die Anwesenden allerdings ziemlich.
0:4 gegen England verloren, aber das Viertelfinale haben sie immer noch fest im Blick, die Niederländerinnen. Für Coach Andries Jonker könnte es das letzte Spiel an der Seitenlinie als Nationaltrainer der „Leuuwinnen“ sein. Sein Vertrag endet nach dem Turnier.
Wir wollen drei Tore schießen, egal zu welchem Zeitpunkt des Spiels. Hauptsache drei.
Andries Jonker, Trainer der Niederlande
Letzte Ausfahrt Basel also? Jonker, der zuletzt häufig kurz angebunden wirkte, strotzt gerade so vor Selbstbewusstsein. Er macht sogar Späße. Welches Spielszenario für ihn das beste wäre, wird er gefragt. „Wenn es 15 Minuten vor dem Ende 0:0 steht und wir dann 0:4 verlieren“, so seine spontane Antwort. Um schnell das Wort „Spaß“ hinzuzufügen: „Wir wollen drei Tore schießen, egal zu welchem Zeitpunkt des Spiels. Hauptsache drei.“
Andries Jonker will den Druck aus der Heimat von seiner Mannschaft abschirmen. In der Hammergruppe C könnte am Sonntag Endstation sein.
Jonker macht dieser Tage gute Miene zum zuletzt schlechten Spiel (gegen England). Auch was seine eigene Person betrifft. Er, der 2022 die Frauen-Nationalmannschaft übernommen hat, erfuhr Anfang des Jahres, dass er nicht mehr erwünscht sei nach der Europameisterschaft.
Van Gaal steht „Lame duck“ Jonker bei
Der Verband (KNVB) setzte ihn also mit reichlich Vorlauf vor die Tür, macht ihn zu einer „Lam Duck“. „Kein guter Stil, die Verantwortlichen haben einen Fehler gemacht“, motzte Trainer-Legende Louis van Gaal öffentlich und gab Jonker damit Rückendeckung.
Van Gaal kennt Jonker aus gemeinsamen Zeiten beim FC Bayern (2009 bis 2011). Da war er sein Assistent. Jonker selbst hatte gar nicht um die verbale Unterstützung gebeten. „Ich habe Luis seit eineinhalb Jahren nicht gesprochen“, sagt er. Und freut sich dennoch über die aufmunternden Worte.
Andries Jonker (m.) und Louis van Gaal haben 2010 zusammen das Double beim FC Bayern gewonnen
Keine schlechte Bilanz
Immerhin war es selbst, der nach der verkorksten EM 2022 die Niederländerinnen 2023 in das WM-Viertelfinale führte, in dem sie Spanien erst in der Verlängerung unglücklich unterlagen. In der Nations League erreichte er immerhin das Halbfinale und qualifizierte sich problemlos für die EM in der Schweiz.
Von einem Scheitern Jonkers zu reden, wäre demnach der falsche Ansatz. Nicht zuletzt aufgrund dieser Ergebnisse ist der gebürtige Amsterdamer voller Hoffnung, das schier Unmögliche, nämlich Frankreich mit drei Toren Unterschied zu bezwingen, zu schaffen. „Es gibt diese Wunder immer wieder, egal ob im Profi- oder Amateursport“, sagte Jonker. „Wir werden so auftreten, dass man es nie vergessen wird.“
Immer wieder das Thema Kommunikation
Bei aller Euphorie, die der scheidende Trainer zu verbreiten versucht, geht es doch immer wieder um kolportierte Kommunikationsprobleme zwischen ihm und der Mannschaft. Um Misstöne und Missverständnisse. Dass er Starspielerin Danielle van de Donk etwa zu spät eingewechselt hätte gegen England. Oder dass die Mannschaft seinen taktischen Plan nicht hätte umsetzen können.
„Nein“, sagt Jonker, „das taktische Konzept nehme ich auf meine Kappe. Wir haben den Plan erarbeitet, ihn mit den Spielerinnen besprochen, und wenn es dann nicht funktioniert, ist es meine Verantwortung.“ Dem Thema „Nicht-Berücksichtigung“ von van de Donk in der Startelf gegen England nahm die Betroffene selbst den Wind aus den Segeln. Zumindest etwas. „Ich stehe zu meiner Aussage, auch mehr als 20 bis 25 Minuten spielen zu können“, aber die Entscheidung über die Startelf habe bereits festgestanden. „Was für die Nationalmannschaft nicht ungewöhnlich ist“, stellte die 170-fache Nationalspielerin fest. Zumal sie in dem Moment, als der Spielplan festgezurrt wurde, nicht hundertprozentig fit gewesen sei.
Danielle van de Donk und Andries Jonker nach der Niederlage gegen England
Jonker bleibt positiv
Also doch alles nicht so schlimm? Ist Jonker doch keine „Lame Duck“? Der 62-Jährige jedenfalls gibt alles. Er hat mit allen 16 Spielerinnen, die gegen England so deutlich unter die Räder gekommen sind, persönlich gesprochen. Sie immer wieder an ihre Stärken erinnert. Und daran, dass ein Wunder möglich ist.
„Es gibt diese Momente, in denen man sich fragt, wie gewisse Dinge möglich sein können. Aber sie passieren“, sagt Jonker selbstbewusst. Frankreich zu schlagen, das wäre so eines. Das Wunder von Basel, statt der letzten Ausfahrt. Nicht ausgeschlossen, dass er am Sonntag Katja Ebstein auf der Busfahrt zum Stadion spielen lässt.