In einem Punkt hat die Unesco der deutschen Bewerbung eine klare Abfuhr erteilt. Der Titel war der Kommission offenbar zu schwulstig, die Runde hat es gerne nüchtern. Insofern muss der Zusatz „Gebaute Träume“ gestrichen werden. Das neue Welterbe, die 55. Stätte in Deutschland und die elfte in Bayern, trägt nun also den schmucklosen Namen: „Die Schlösser König Ludwigs II. von Bayern: Neuschwanstein, Linderhof, Schachen und Herrenchiemsee.“

Dabei ist der Begriff „gebaute Träume“ nur auf den ersten Blick kitschig. Die deutschen Bewerber schreiben nicht zu Unrecht von den Schlössern als „alternative Welten“, die wie wenig andere Monumente die Fantasie von Menschen aus allen Kulturen der Welt ansprechen. „Universelle Ikonen der Märchenwelt“ seien die Schlösser, allen voran natürlich Neuschwanstein im Allgäu, weltweit nachgebildet und Vorlage für Walt Disneys Cinderella-Schloss.

Vor allem die zahlreichen Touristen, die die Bauwerke jedes Jahr besuchen, dürfte es gewundert haben, dass die Schlösser bisher noch nicht den Welterbe-Titel trugen. Für den Freistaat ist der am Samstag offiziell von der Unesco verliehene Titel nun allerdings auch Verpflichtung, die Schlösser in Schuss zu halten, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach dem „weltweiten Ritterschlag“ durch die Unesco betont.

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Gerade in Schwangau, zu Füßen des Schlosses Neuschwanstein, wo sie die Verleihung im Livestream bei Weißwurst und Freibier geschaut haben, waren sich ja zunächst nicht alle einig gewesen, ob solch ein Welterbe-Titel segensreich wirkt oder doch nur Probleme mit sich bringt. „Kommen dann noch mehr Touristen?“, war eine dieser zentralen Fragen. In einem Bürgerentscheid hatten die Schwangauer dann doch für eine Bewerbung gestimmt, die ohne das Zugpferd Neuschwanstein auch für die übrigen Schlösser nicht eingereicht worden wäre. „Jetzt“, sagt Bürgermeister Stefan Rinke, „sind alle im Ort stolz, dass das Schloss Welterbe ist. Wir sehen darin viele Chancen.“

„Die Aufnahme der Schlösser in die Welterbeliste ist eine herausragende Würdigung dieser eindrucksvollen Orte“, sagte die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer. „Sie sind allesamt architektonische Meisterwerke und zeugen von der künstlerischen Vorstellungskraft, aber auch der Exzentrik des Märchenkönigs.“ Finanzminister Albert Füracker (CSU) sagte, die bayerischen Schlösser befänden sich damit auf einem Niveau mit weltweiten Baudenkmälern wie der Akropolis in Athen oder Schloss Versailles.

Solch ein Unesco-Titel soll für alle etwas abwerfen, betont auch der Ministerpräsident. Und tatsächlich schreibt die Unesco den neuen Welterbe-Schlössern einige Auflagen vor, die einzuhalten sind – und nicht nur Einheimische erfreuen werden, die unter Andrang und Verkehrsbelastung leiden. So fordert die Unesco eine Besucherlenkungsstrategie, um Auswirkungen des Massentourismus abzumildern.

Vor Corona waren es 1,4 Millionen Besucher jährlich, der Freistaat als Eigentümer Neuschwansteins und der anderen Bauten hat in den vergangenen Jahren ohnehin bereits die Besucherzahl gedeckelt, 2024 waren es noch 1,1 Millionen Schaulustige. Die Unesco hat oft betont, dass es ihr nicht darum gehe, mit dem Welterbe-Status mehr Touristen anzulocken. Im Gegenteil: Solch ein Titel soll Kultur- und Naturstätten bewahren.

Quiz zum Märchenschloss im Allgäu

:Was wissen Sie über Neuschwanstein?

Schloss Neuschwanstein gehört zu den bekanntesten Bauwerken – weit über Bayern hinaus. Doch wie lange dauerte es, die Burg im Allgäu zu erbauen und wann kamen die ersten Besucher? Testen Sie Ihr Wissen über das Schloss, das nun Welterbe werden soll.

Die Unesco regt außerdem eine Steuerungsgruppe für die Welterbestätten an sowie ein Gesamtkonzept, das regionale Wirtschaft, Einwohner und die natürliche Umgebung einbezieht. Lokale Behörden wie die Gemeinde Schwangau sollten besser eingebunden werden. Auch die Unesco selbst behält die mehr als 1200 Welterbestätten weltweit nach der Ernennung im Blick. Die Wieskirche zum Beispiel liegt keine 20 Kilometer von Neuschwanstein entfernt im oberbayerischen Pfaffenwinkel und zählt als Juwel des Rokoko schon seit 1983 zum Welterbe. Damit wiederum zehn Kilometer weiter nördlich bei Peiting drei Windräder gebaut werden dürfen, verlangten die Unesco-Berater ein in jeder Hinsicht umfassendes Denkmalkonzept für die Wies und ihre weitere Umgebung. Was es bedeutet, den Empfehlungen der Unesco nicht nachzukommen, das hat das Dresdner Elbtal im Jahr 2009 erfahren: Der Bau einer neuen Brücke führte damals zum Verlust des Welterbetitels.

Kunst und Kultur, Kitsch und Klischee

Soweit soll es bei den bayerischen Königsschlössern nicht kommen. „Wir wollen unser kulturelles Erbe bewahren und für kommende Generationen erhalten“, sagt Söder. In Linderhof und umfassend in Neuschwanstein ist ja erst teuer renoviert worden. Die Schlösser, das erkennt die Unesco ausdrücklich an, sind in bestem Zustand. 43 Millionen Euro hat der Freistaat seit 1994 etwa ins Allgäuer Märchenschloss investiert, 22 Millionen Euro davon allein in den vergangenen acht Jahren für die Restaurierung der Prunkräume. Mitarbeiter von 50 Firmen waren in insgesamt 250 000 Arbeitsstunden damit beschäftigt, 2300 verschiedene Gegenstände, Holzbauteile sowie Fenster und Türen zu sanieren.

Neuschwanstein, sagt Söder, sei „das große Wahrzeichen Bayerns“, mit Kunst und Kultur, aber auch mit etwas Kitsch und Klischee. König Ludwig II. schuf sich einen von den Opern Richard Wagners inspirierten, romantischen Sehnsuchtsort – mit den neuesten technischen Annehmlichkeiten wie fließendem Wasser oder automatischen Drehspießen in der Küche.

Schloss Herrenchiemsee mit dem Fortuna-Brunnen auf der Herreninsel im Chiemsee.Schloss Herrenchiemsee mit dem Fortuna-Brunnen auf der Herreninsel im Chiemsee. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Schlösser Herrenchiemsee und Linderhof zum Beispiel warten jeweils mit einem „Tischlein-deck-dich“ auf: einer Tafel, die sich eine Etage tiefer mit Speisen und Geschirr bestücken und dann komplett ins Speisezimmer des Königs hinauf kurbeln ließ, damit seine Majestät nicht von servierenden Dienern behelligt werden musste. Beide Bauten sollten Abbilder von Schlössern des absolutistischen französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. sein – Herrenchiemsee von Versailles und Linderhof vom nicht mehr existierenden Lustschloss Marly.

Schloss Linderhof mit Parkanlage ist evrgleichsweise klein.Schloss Linderhof mit Parkanlage ist evrgleichsweise klein. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Anders als Herrenchiemsee und auch Neuschwanstein ist das vergleichsweise kleine Linderhof zu Ludwigs Lebzeiten wenigstens einigermaßen fertig geworden, einschließlich der berühmten Venusgrotte, die nach jahrelanger, aufwendiger Sanierung seit dem Frühjahr wieder für Besucher zugänglich ist. Die opernselige Grotte verfügte schon damals über eine elektrische Effektbeleuchtung und einen Wellengenerator, die vom ersten Elektrizitätswerk in Bayern gespeist wurden.

Auf 1866 Meter Höhe steht das Königshaus am Schachen.Auf 1866 Meter Höhe steht das Königshaus am Schachen. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Das Königshaus am Schachen auf 1866 Metern Höhe im Wettersteingebirge wirkt da auf den ersten Blick schon fast bescheiden. Von außen und auch im Erdgeschoss ist es wie eines jener „Schweizerhäuser“ gestaltet, die im 19. Jahrhundert als alpine Ferienhäuser in Mode waren. Im ersten Stock jedoch entfaltet der sogenannte Türkische Saal die altorientalische Pracht einer weiteren Fantasiewelt des einsamen Monarchen, der sich gerne und oft in die Bergwelt zurückgezogen und am Schachen jedes Jahr am 15. August seinen Namens- und Geburtstag gefeiert hat.

Welterbetitel hin oder her: Das Königshaus ist viel zu abgelegen, um richtige Touristenmassen anzuziehen. Keine 7000 Besucher wurden im vergangenen Jahr dort droben gezählt. Auch das weit hinten im Graswangtal gelegene Linderhof mit rund 350 000 Gästen und Herrenchiemsee mit seiner Insellage und rund 310 000 Besuchern stehen diesbezüglich deutlich im Schatten Neuschwansteins.

Ludwig II. selbst blieb in all seinen Schlössern ohnehin bevorzugt allein oder bestenfalls in imaginierter Gesellschaft. Er hätte seine gesammelten Bauten am liebsten überhaupt niemandem vererbt. Stattdessen hat er mit dem Gedanken gespielt, das alles nach seinem Tod sprengen und abreißen zu lassen. Aber auf ihn hat am Ende niemand mehr gehört, am allerwenigsten sein eigener Regierungsapparat. Und spätestens jetzt gehört das Erbe des berühmtesten Bayernkönigs der ganzen Welt.