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Skandale, Intrigen, Affären – Politspektakel in Hamburg (Sendung vom 11.12.2003) (6 Min)

Stand: 13.07.2025 05:00 Uhr

Ronald Schill gilt in Hamburg als harter Richter. Am 13. Juli 2000 gründet er seine eigene Partei, die kurze Zeit in der Politik der Hansestadt mitmischt. Doch ähnlich schnell wie sie aufsteigt, erfolgt auch ihr Niedergang.

von Kathrin Bädermann

Anfang der 2000er-Jahre passiert in Hamburg etwas, über das viele Menschen noch immer den Kopf schütteln. Etwas ganz und gar Unhanseatisches: Ein Mann mit dem Spitznamen „Richter Gnadenlos“ schafft es durch lautes Getöse zum Innensenator und Zweiten Bürgermeister der Stadt. Und wird kaum zwei Jahre später vor versammelter Presse wieder entlassen, weil er aufs Niederträchtigste versucht hat, seinen Chef zu erpressen.

Dieser Mann heißt Ronald Barnabas Schill. Ein Name wie ausgedacht von Dichtern wie Lessing oder Schiller für eine Figur in einem Drama über Macht, Lügen und Verrat.

„Richter Gnadenlos“ – der Hardliner vom Amtsgericht

Der umstrittene Hamburger Amtsrichter Ronald Schill hat am 12.10.1999 im Gerichtssaal Platz genommen.

Der „eiserne Richter“ geht im Jahr 2000 in die Politik.

Wie kam dieser Mann an die Macht? Schills Karriere beginnt Mitte der 1990er-Jahre. Er macht von sich reden, weil er als junger Richter am Amtsgericht Hamburg knallharte Urteile fällt. Eine Frau, die Autos zerkratzt hatte, verdonnert er zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung. Und gegen Zuschauer im Gerichtssaal, die bei der Urteilsverkündung nicht aufgestanden waren, verhängt er drei Tage Ordnungshaft. Die Hamburger Boulevardmedien taufen ihn „Richter Gnadenlos“ und berichten eifrig. So ein Hardliner kommt wie gerufen in einer Zeit, in der sich viele Hamburgerinnen und Hamburger Gedanken machen über die hohe Kriminalitätsrate in der Stadt und die innere Sicherheit – oder eben Unsicherheit.

Und so mehren sich bald die Rufe, dieser „eiserne Richter“ möge doch in die Politik gehen: „Ich will Schill!“ heißt eine Initiative von Fans. Und Schill lässt sich nicht lange bitten: Am 13. Juli 2000 gründet er die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, die schnell einfach nur Schill-Partei genannt wird. Zum einen, weil die Abkürzung PRO bereits von einer anderen Partei besetzt ist, und zum anderen, weil dieser Name es nun mal am besten trifft. Es geht um nichts anderes als um Ronald Barnabas Schill und seine Gedanken zu einem einzigen Thema: zur inneren Sicherheit.

Schills monothematischer Wahlkampf

Wahlplakate zur Bürgerschaftswahl 2001 in Hamburg von der Schill-Partei

„Mit Sicherheit Schill“: So sehen Wahlplakate zur Bürgerschaftswahl 2001 in Hamburg aus.

Schill tritt zur Bürgerschaftswahl 2001 an und trommelt für seine Partei mit populistischen Parolen und beeindruckenden Wahlversprechen. Er sagt beispielsweise, er werde die Gewaltkriminalität in Hamburg binnen 100 Tagen halbieren. Das trifft einen Nerv. Die Forschungsgruppe Wahlen stellt bei Umfragen vor der Bürgerschaftswahl fest, dass viele Menschen die Sorge haben, die Hamburger SPD sei nach 44 Jahren an der Regierung zu unbeweglich und verkrustet, um die Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Sie trauen der aktuellen rot-grünen Koalition unter Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) in diesem Punkt nicht mehr viel zu.

Anschläge aufs World Trade Center kurz vor der Wahl

Ein Flugzeug fliegt am 11. September 2001 in das World Trade Center in New York

Am 11. September 2001 erfolgte der Anschlag auf das World Trade Center in New York.

Die Wahl findet am 23. September 2001 statt. Keine zwei Wochen vorher, am 11. September, hatten die Anschläge auf das World Trade Center in New York und weitere Ziele in den USA die Welt erschüttert. Einige der Hauptakteure hatten in der Hansestadt gelebt. Weltweit ist nun die Rede von der Hamburger Terrorzelle – „the Hamburg cell“. Hamburg, eine Stadt, in der man sich offensichtlich ungestört auf eines der perfidesten Attentate der Geschichte vorbereiten konnte: Das denken viele Menschen nun.

Die Schlagzeile der "Hamburger Morgenpost" am 13. September 2001: "Terror-Piloten lebten in Hamburg!"

Wenige Stunden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist klar: Die Spur der Attentäter führt nach Hamburg.

Schill-Wähler: Ältere Männer, geringere Bildung

Die Schill-Partei wird aus dem Stand nach der SPD und der CDU drittstärkste Kraft mit beachtlichen 19,4 Prozent der Stimmen. Laut Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap hatten die meisten Schill-Wählerinnen und Wähler zuvor die CDU, die SPD oder die Rechten gewählt – oder gar nicht. Vor allem ältere Männer machten ihr Kreuz bei der Schill-Partei. Bei der Analyse fiel außerdem ein Bildungsgefälle auf: Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau stimmten doppelt so häufig für Schill wie jene mit höherem Bildungsgrad. Die besten Ergebnisse erzielte die Partei mit 34,9 Prozent im Stadtteil Wilhelmsburg. Deutlich unterdurchschnittlich waren die Ergebnisse in den Stadtteilen um die Alster und in den Elbvororten.

Fast ein Fünftel der Stimmen für die neue Law-and-Order-Partei – das stürzt diejenigen, die jetzt eine Regierung bilden wollen, ins Dilemma – ins Dilemma der Opposition oder ins Dilemma eines unguten Paktes. Die SPD mit Bürgermeister Runde an der Spitze ist mit 36,5 Prozent zwar stärkste Partei, findet aber keine Mehrheit. Der bisherige Koalitionspartner, die Grünen/GAL, hat zu schlecht abgeschnitten (8,5 Prozent). Und die Schill-Partei ist als Partner für Runde keine Option.

Schill wird zum Königsmacher

Optimismus auf der ersten Senatssitzung der ungleichen Koalitionspartner Ole von Beust (li.) und Ronald Schill.

Von 2001 bis 2003 sin Ole von Beust (l.) und Ronald Schill Koalitionspartner.

Und an dieser Stelle tritt in dem Hamburger Drama der Konterpart von Ronald Barnabas Schill auf den Plan: Ole Freiherr von Beust. Seine CDU steht zwar mit nur 26,2 Prozent der Stimmen nicht gut da. Aber von Beust will unbedingt an die Macht, vier Jahre zuvor hatte er schon vergeblich Anlauf genommen. Jetzt mag er nicht länger warten – und nimmt dafür eine Koalition mit der Schill-Partei und der FDP (5,1 Prozent) in Kauf. Und so wird im Herbst 2001 Schill zum Königsmacher von Ole von Beust und Schill selbst Zweiter Bürgermeister und Innensenator.

In einem Interview mit dem „ZEITmagazin“ sagt von Beust im Jahr 2011: „Schill war ein Mittel zum Zweck. Die Koalition mit ihm war eine machtpolitische Entscheidung. Ich war der Meinung, nach 44 Jahren muss die SPD weg, und hatte gehofft, dass er sich im Amt fängt.“

Kiez, Koks, Frauen, Partys

Schill fängt sich nicht. Im Gegenteil. Er macht mit Kiez-Kontakten und Kokaingerüchten, Frauen- und Partygeschichten mehr Schlagzeilen als mit seiner Kriminalpolitik. Er selbst bezeichnete sich später mit Blick auf diese Zeit als unseriös und faul und als einen, der andere für sich arbeiten ließ, konkret: Staatsrat Walter Wellinghausen: „Wellinghausen hielt mir den Rücken frei. Deswegen konnte ich es mir leisten, mein lasterhaftes Leben fortzusetzen“, sagte Schill 2016 dem „Stern“. „Ohne ihn hätte ich ja selbst arbeiten müssen.“

Über die Grenzen Hamburgs hinaus aktiv

Die Arbeit der Partei beschränkt sich nicht allein auf Hamburg. Sie ist in 15 Landesverbände gegliedert, wobei Sachsen und Thüringen einen gemeinsamen Verband bilden. Außerdem existieren viele kleinere Verbände auf Bezirks- und Kreisebene. Sogar um den politischen Nachwuchs kümmert man sich, dafür ist die Junge Offensive Deutschland gegründet worden.

Zur Wahl des Bundestags am 22. September 2002 tritt die Schill-Partei in 15 Bundesländern an. Ihre Ergebnisse sind jedoch dürftig. Die Rechtskonservativen kommen bundesweit auf 0,8 Prozent der Stimmen, in Hamburg sind es 4,2 Prozent. Auch bei späteren Wahlen bleiben Erfolge der Schill-Partei aus. Das sehr gute Abschneiden in Hamburg 2001 ist ein Einzelfall.

„Senator Planlos“ und „Senator Peinlich“

In der Hansestadt gelingt Schill die Halbierung der Gewaltkriminalität binnen 100 Tagen freilich nicht. Er habe ja auch nicht gesagt, welche 100 Tage er meinte, behauptet er später, es seien jedenfalls nicht die ersten 100 Tage gewesen. „Senator Planlos“ und „Senator Peinlich“ sind bald seine neuen Spitznamen. Besonders blamabel ist sein Auftritt vor dem Deutschen Bundestag im August 2002. Es soll eigentlich um die Hilfe für die Opfer der aktuellen Flutkatastrophe in Ostdeutschland gehen. Doch Schill nutzt seinen Auftritt, um auf Themen zu kommen, die ihm wichtiger sind, und redet bis ihm das Mikro abgedreht wird.

Video:
Der politische Aufstieg von „Richter Gnadenlos“ Schill (7 Min)

„Überleg es dir gut, heute Abend, Prime Time, bundesweit“

Ronald Schill, Ole von Beust

Ronald Schill und Ole von Beust sprechen ruhig miteinander – anders als am 19. August 2003.

Am 19. August 2003 kommt es in Hamburg zum Eklat: Von Beust will Walter Wellinghausen, Schills Rücken-Freihalter, wegen unerlaubter Nebeneinkünfte entlassen. Schill will das verhindern und droht dem Ersten Bürgermeister damit, er werde publik machen, dass von Beust seinen „Lebensgefährten und langjährigen Intimfreund“ Roger Kusch zum Justizsenator gemacht habe. Von Beust wirft Schill umgehend aus seinem Büro, und Schill sagt im Abgang: „Überleg es dir gut, heute Abend, Prime Time, bundesweit.“ Dass Ole von Beust schwul ist, ist damals aber schon lange ein offenes Geheimnis. Mit Kusch sei er lediglich befreundet gewesen, wird von Beust später sagen. Die vorgeworfene Vetternwirtschaft weist er zurück.

Noch am selben Tag feuert von Beust Schill in einer legendären Pressekonferenz. Dieser sei „charakterlich nicht geeignet, das Amt eines Hamburger Senators weiterzuführen“. Schill geht mit seinen Vorwürfen daraufhin an die Öffentlichkeit. „Dreckige Homo-Erpressung“ titelt die „Bild“ am nächsten Tag.

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gibt am 9.12.2003 eine Pressekonferenz in Hamburg, neben ihm sitzen der Bundesvorsitzende der Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Schill-Partei) und Zweite Bürgermeister der Hansestadt, Mario Mettbach (l.), und der neue Bildungssenator Reinhard Soltau (FDP, r.).

Der Hamburger Bürgermeister hat genug von den Querelen um Ex-Innensenator Schill. Am 9. Dezember 2003 ist die Koalition am Ende.

Schills Ende zieht das Ende der Partei nach sich

Schills politische Karriere ist vorbei, die Koalition wird wenig später zerbrechen. Bei den Neuwahlen am 29. Februar 2004 spielt die Schill-Partei keine Rolle mehr, und auch die Partei Pro DM, in die Schill zwischenzeitlich eingetreten ist, fällt in die Kategorie „Sonstige“. Von Beust und seine CDU dagegen erhalten von den Hamburgerinnen und Hamburgern einen sensationellen Zuspruch mit einem Stimmenzuwachs von 21 Prozentpunkten auf 47,2 Prozent der Stimmen. Von Beust kann ohne Koalitionspartner regieren. Schill geht ins Ausland, lebt in Brasilien und tritt später in verschiedenen deutschen Reality-Shows im Fernsehen auf.

Nach der Bürgerschaftswahl 2004 ändert die Partei ihre Kurzbezeichnung von Schill zu Offensive D. Markus Wagner löst Mario Mettbach als Bundesvorsitzenden ab. In den folgenden Jahren treten die Rechtskonservativen zwar noch bei Wahlen an, ihr Abschneiden fällt politisch aber nicht ins Gewicht. Am 29. Oktober 2009 wird die Auflösung der Partei beschlossen.

Archivbild von Ole von Beust.

Am 19. August 2003 kommt es wegen eines Erpressungsversuchs zum Bruch mit Hamburgs Erstem Bürgermeister.

Ronald Schill feiert sich selber

Rückblick auf die gescheiterte Mitte-Rechts-Koalition (CDU, Schill, FDP) in Hamburg, die zu Neuwahlen führte.

Der damalige Bundesfinanzminister Helmut Schmidt (SPD) mit seiner Ehefrau Hannelore "Loki" Schmidt an seiner Seite auf dem Weg zum Wahllokal im Hamburger Stadtteil Langenhorn am 03.03.1974, vorne links ein Wahlplakat der SPD.

Hamburg gilt seit Langem als Hochburg der Sozialdemokraten. Seit 1946 wurde der Bürgermeister fast ausschließlich von der SPD gestellt.

Ein Stimmzettel mit dem Hamburg-Wappen wird in eine Wahlurne geworfen. Im Hintergrund Alster und Rathaus.

Hamburg hat eine neue Bürgerschaft gewählt. Hier finden Sie alle Informationen, Nachrichten und Reaktionen zur Wahl.

Abgeordnete verfolgen die Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft im Rathaus.

Ihre Geschichte reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Seitdem hat sich viel verändert. 2013 etwa wurde das Wahlalter gesenkt.