Am Eingang der elegant restaurierten Fabrikhallen-Galerie von Thaddaeus Ropac in Pantin bei Paris erwartet eine schwarze, vier Meter hohe Bronzefigur die Besucher. Vom ovalen Kopf ohne Gesicht reichen fünf grob strukturierte und doch erstaunlich graziöse Gliedmaßen bis zum Boden herab. In einer fast tänzerischen Drehbewegung umfangen die Tentakelarme einen kleineren Körper mit Beinen und Füßen im Zentrum. Seit zehn Jahren hat Georg Baselitz keine Skulptur mehr geschaffen.

Eine Galerieausstellung pro Jahr: Georg Baselitz 2023 in MünchenEine Galerieausstellung pro Jahr: Georg Baselitz 2023 in Münchendpa

Die Kräfte des inzwischen 87 Jahre alten Künstlers reichen nicht mehr aus, um die Kettensäge in einen Holzstamm zu treiben und das Modell für den Bronzeguss zu schaffen. Zum ersten Mal hat ein Assistent für ihn das Werkzeug geführt. Die Skulptur heißt „Cowboy“. Baselitz’ Titel sind oft rätselhaft oder anekdotisch. Ein Cowboy hütet die Herde und ist ein legendärer Held. Möge also dieser schützende Genius über den Lebensweg seines Schöpfers wachen.

Porträts von sich und seiner Frau Elke

Bei Baselitz darf man das Altern ansprechen. Dem verfallenden Körper, in dessen verletzlicher Nacktheit sich die Erfahrung des Verlusts einschreibt, gilt seit Langem sein künstlerisches Interesse. Das Porträt – von sich selbst und von seiner Frau Elke – ist für den Maler von Anfang an ein wichtiges Genre gewesen, in dem er die Malerei erforscht, mit neuen Techniken vorantreibt und seine Emotionen auf die Leinwand überträgt. Um die Darstellung von ihrem Sujet zu befreien, zumindest vom Sujet als Hauptangelegenheit der Malerei, kam Baselitz bekanntlich – es war 1969 – auf die Idee, seine Gemälde auf den Kopf zu stellen.

Georg Baselitz, „Volksmusik war indigen“, 2024, Öl auf Leinwand, 300 mal 450 ZentimeterGeorg Baselitz, „Volksmusik war indigen“, 2024, Öl auf Leinwand, 300 mal 450 ZentimeterThaddaeus Ropac

Der österreichische Galerist Thad­daeus Ropac vertritt Baselitz seit gut zwanzig Jahren und ist sein wichtigster Händler neben Gagosian und White ­Cube. Man komme fast außer Atem mit diesem Künstler, sagt Ropac im Gespräch. Etwa eine Galerieausstellung pro Jahr meistere der Maler, und fast jedes Mal erneuere er sich, verwende immer größere Leinwände, die er auf den Boden lege, um sie zu bearbeiten. Insgesamt 22 oft mehr als vier Meter hohe und drei Meter breite Gemälde (Preise zwischen 1,5 und 2,2 Millionen Euro) hat Baselitz neben der genannten Skulptur (um drei Millionen) für die Ausstellung in Pantin geschaffen, dazu mehr als vierzig Tuschezeichnungen (75.000 bis 85.000). Es sind ausschließlich Selbstporträts und Darstellungen seiner Frau Elke.

Im Alltag stützt Baselitz sich mittlerweile auf einen Rollator. Statt sich davon einschränken zu lassen, nutzt er das Gerät als neues Werkzeug für seine Malerei. Das lässt an Hans Hartung denken, der nach einer Beinamputation aus dem Rollstuhl heraus die Leinwand mit Farbspritzpistolen befeuerte, oder an Henri Matisse, der bettlägerig einen Malstock als Pinselverlängerung verwendete.

Georg Baselitz, „Waren die Indigenen wirklich diejenigen“, 2025, Öl auf Leinwand, 450 mal 300 mal 3,6 ZentimeterGeorg Baselitz, „Waren die Indigenen wirklich diejenigen“, 2025, Öl auf Leinwand, 450 mal 300 mal 3,6 ZentimeterThaddaeus Ropac

Mit dem Rollator furcht Baselitz Radspuren in die frische Farbe und rollt über seine rosa-, beige- oder aprikosenfarbenen Körper. Auch Fußabdrücke oder Farbtropfen zeigen sich in den Gemälden mit meist schwarzer, aber auch grasgrüner oder Picasso-blauer Grundierung. Der Tanz der Linien um die Leiber herum, aber auch durch sie hindurch, lässt widerstreitende Gefühle aufkommen. Die Reifenspuren verbinden und umkreisen, liebevoll fast, manche Figuren. Andere werden von ihnen durchquert, zerkratzt und verletzt, wie in einer wütenden Auflehnung gegen Gebrechlichkeit und Todesnähe.

Zur Instanz geworden

Ropac erläutert, dass sich die Rezeption von Baselitz in den vergangen zwei Dekaden verändert habe: Der Künstler sei zu einer Instanz geworden. Als Galerist habe er die Wirkung der 2021 eröffneten Retrospektive von Baselitz im Centre Pompidou unmittelbar wahrgenommen: Jüngere Kuratoren und Künstler hätten in der Folge stark auf sein Werk reagiert.

Nach wie vor kommen die meisten Baselitz-Sammler aus Europa, vor allem den deutschsprachigen Ländern, gefolgt von Käufern aus Amerika. Ropac beobachtet, dass die Nachfrage von privaten und öffentlichen Sammlungen in Asien steigt. Man könne mittlerweile allein mit Werken, die sich in China befänden, eine relevante Museumsschau zusammenstellen. Am 8. Oktober beginnt zunächst einmal Baselitz’ Ausstellung im Museo de Bellas Artes von Bilbao.

„Georg Baselitz: Ein Bein von Manet aus Paris“, Galerie Thaddaeus Ropac, Pantin, bis zum 26. Juli