Überall wird gekürzt. Inwiefern ist auch das Deutsche Literaturinstitut Leipzig (DLL) davon betroffen? Und wie können Sie das erhalten, was das DLL in 30 Jahren aufbauen konnte?
Ulrike Draesner: Diese Frage stellen wir uns auch dringend. Natürlich sind wir davon betroffen. Vollständig, wie alle anderen Institutionen auch, stehen noch weitere Kürzungen im Raum.
Wir haben darauf damit reagiert, dass wir jetzt einen Förderverein gegründet haben, der heißt „Institutsgesellschaft“. Und er geht gerade online. Die Beitrittserklärungen sind jetzt auch juristisch fertig. Und ein großer Aufruf an alle, die sich für Literatur interessieren und das DLL und die Vermittlung an die junge Generation fördern wollen: Bitte treten Sie bei!
MDR KULTUR: Was ist der größte Wandel, den das DLL in den letzten 30 Jahren durchgemacht hat?
Das DLL war ein, ich sage es jetzt mal ein bisschen flapsig, ein Männerbetrieb, als es gegründet wurde. Drei Professoren! Ich war dann die erste Frau 2018, die auf eine feste Stelle kam. Und dann kam Kerstin Preiwuß 2021. Und damit ist auch eine andere Atmosphäre entstanden.
Es ist natürlich auch ein Generationenwechsel, der sich da vollzieht. Der Kanon dessen, was gelesen wird, hat sich zum Beispiel vollkommen verändert. Und auch die Herangehensweise.
Kooperation spielt eine große Rolle für uns. Wir hatten letztes Jahr den großen Schreibkongress, das war auch auf Initiative von mir hin entstanden, eine Vernetzung mit den anderen Schreibschulen in Deutschland, Österreich und Schweiz.
Wenn man sich die Bewerbungen und die eingereichten Texte der letzten Jahre anschaut, würden Sie sagen, da gibt es Themen, die immer wieder kommen und die wie ein Seismograph sind in Bezug auf das, was die Jüngeren heute umtreibt?
Das sind, glaube ich, zwei Paar Schuhe. Zum einen kommt immer wieder Coming of Age. Das liegt einfach daran, dass das die jungen Menschen, die sich bei uns bewerben, natürlich beschäftigt. Das ist ihre Lebensexpertise, die sie da mitbringen.
Und dann gibt es noch das Seismografische. Das wechselt. Als ich anfing, erinnere ich mich, wurden sehr, sehr viele dystopische Texte geschrieben. Dann gab es eine Zeit lang, wo sehr viele Gender-, Sex-, Identity-Fragen aufkamen. In diesem Jahr ist mir gar kein besonderer Schwerpunkt aufgefallen.
Also, das wechselt. Es gibt ja Zeitgeist, es gibt Themen, die besonders heiß diskutiert werden. Oft kommen die in der Literatur erst mit einer gewissen Verzögerung an. Und das ist auch gut so! Und wir brauchen ja auch Zeit, um diese Sachen mental sozusagen zu verarbeiten. Und dann überhaupt eine Sprache dafür zu finden, wie man so etwas literarisch erzählen könnte.
Das Literaturinstitut in Leipzig steht auf einem historischen Grund. 1955 wurde in der DDR schon das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ gegründet. Daraus ist auf eine gewisse Art das DLL hervorgegangen. Andererseits war dessen Gründung 1995 auch ein Neuanfang. Wie verbunden ist das heutige DLL mit seiner DDR-Geschichte?
Damit ist es sehr verbunden – und zwar eigentlich auf doppelte Weise. Wir haben ja zum einen diese institutionelle Tradition mit dem „Johannes R. Becher“-Institut. Und mein Vorgänger, Ulrich Treichel, hat dazu ein großes Forschungsprojekt gemacht, wo dann Veröffentlichungen entstanden sind. Das Archiv haben wir übernommen, mit der Diplomarbeit von Sarah Kirsch zum Beispiel. Das wurde alles ausgewertet, das ist alles zugänglich. Und zum anderen haben wir ja auch eine örtliche, lokale Geschichte.
Wir sind umgezogen, das DLL ist nicht am selben Ort wie das „Johannes R. Becher“-Institut. Wir sitzen in der Villa Giesecke in der Wächterstraße. Und das ist ein Leipziger Ort, der 1907 von einem Druckereibesitzer gebaut wurde und einer jüdischen Familie gehörte – und zu DDR-Zeiten als Erholungsheim der Volkspolizei genutzt wurde. Und die Stasi saß im Keller und hat die Volkspolizei abgehört.
Wir gehen sozusagen durch die gesamte deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts mit diesem Haus. Und haben seit einem Jahr auch eine Ausstellung dazu im Haus, die ich initiiert habe, weil ich finde, dass es eben wichtig ist, genau auch das aufzuzeigen: die Verbundenheit mit der Stadtgeschichte, mit der städtischen Gemeinschaft, mit Sachsen, mit diesem Umfeld, in dem ja so ein Institut überhaupt nur florieren kann. Und natürlich auch mit der Literatur, die ja nicht in einem luftleeren Raum entsteht und vor allen Dingen auch nicht in ihn hineingeschrieben wird, sondern die adressiert ist, die Zeitgenossenschaft erprobt.
Quelle: MDR KULTUR (Ulrike Draesner im Gespräch mit Karoline Knappe), redaktionelle Bearbeitung: op