Berlin – Den gesetzlichen Krankenversicherungen droht ein gigantisches Minus. 2027 könnten den Kassen mehr als zwölf Milliarden Euro fehlen. Das berichtete BILD exklusiv am Sonntag.

Dramatische Folge: Die Beiträge müssten steigen – von derzeit durchschnittlich 17,5 Prozent auf möglicherweise 18,3 Prozent im übernächsten. Die Folge: Bürger und Betriebe müssten draufzahlen!

Der BILD-Bericht löste eine riesige Debatte unter Politikern und Experten aus. Die Kernfrage: Was muss JETZT passieren, damit die Beiträge NICHT explodieren?

Ran ans Bürgergeld

Ausgaben für Bürgergeld-Empfänger ersetzen! Das fordert Jens Baas (58), Chef der Techniker Krankenkasse. „Unsere Versicherten und ihre Arbeitgeber müssen jedes Jahr alleine schon 10 Mrd. Euro für die Versicherung von Bürgergeld-Empfängern aufbringen“, schreibt er nach dem BILD-Bericht auf LinkedIn. An Finanzminister Lars Klingbeil (47, SPD) gerichtet meint er: „Eine Aufgabe, die unzweifelhaft in Ihr Ressort und von Steuergeldern finanziert gehört.“

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker-Krankenkasse, reagierte am Sonntag auf den BILD-Bericht

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker-Krankenkasse, reagierte am Sonntag auf den BILD-Bericht

Foto: picture alliance / NurPhoto

„Der Bericht von BILD ist erschreckend“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm (61). In BILD fordert er: „Die gesetzlichen Krankenkassen brauchen kurzfristig eine auskömmliche Finanzierung der Ausgaben für Bürgergeldempfänger.“ Deren Krankenversorgung koste die Versicherungen jährlich 10 Milliarden Euro.

Dutzende Kassen schließen!

► Stephan Pilsinger (38, CSU), Vize-Chef des Gesundheitsausschusses im Bundestag: „Ich denke wir haben kein reines Einnahmen-, sondern vor allem ein Effizienzproblem. Das heißt, wir müssen auch überlegen, wo eingespart werden kann, zum Beispiel bei den Verwaltungskosten.“ Heißt: Er will die Anzahl der Kassen drastisch reduzieren.

Klaus Holetschek (60), Chef der CSU im Bayerischen Landtag zu BILD: „Es kann nicht sein, dass wir über Milliardendefizite reden, aber gleichzeitig fast 100 gesetzliche Krankenkassen mitfinanzieren.“

Jochen Ott (51), Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen unterstützt diesen Weg: „Mit weniger Kassen und weniger unnötigen Untersuchungen, dafür mit mehr Einzahlern und einer finanziell solideren Basis.“

Lesen Sie auchAusgaben-Moratorium!

► Laut BKK Bayern gehen den Versicherungen rund 21 Milliarden Euro jährlich verloren, weil sie für gesamtgesellschaftliche Aufgaben zahlen würden. Dr. Ralf Langejürgen, Vorstand BKK Landesverband Bayern: „Die Kosten laufen in nahezu allen Leistungsbereichen aus dem Ruder, deshalb brauchen wir sehr kurzfristig ein Gesetz, das diese Entwicklung durch ein Ausgabenmoratorium begrenzt. Zudem muss der Staat endlich die Ausgaben der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen für Bürgergeldbezieher vollständig übernehmen.“

► Versicherungsfremde Leistungen mit Steuern finanzieren – das fordert Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (39, CSU) in BILD: „Künftig müssen deutlich höhere Bundeszuschüsse zu versicherungsfremden Leistungen gezahlt werden.“

Unter versicherungsfremde Leistungen fallen die beitragsfreie Mitversicherung von nicht berufstätigen Familienmitgliedern, Mutterschaftsgeld und Krankengeld bei der Betreuung von erkrankten Kindern. Gerlach: „Ohne Steuerzuschüsse wird es in Zukunft nicht gehen.“

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (39) neben Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (46). Sie fordert versicherungsfremde Leistungen zu ersetzen

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (39) neben Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (46). Sie fordert versicherungsfremde Leistungen zu ersetzen

Foto: Katharina Kausche/dpa

► NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) fordert in BILD „die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems“, damit das System effizienter wird. Heißt: Patienten sollen künftig immer zuerst zum Hausarzt – der entscheidet dann, ob Spezialisten nötig sind.

Doch klar sei auch: „Es stehen umfangreiche Strukturreformen an.“ Es sei genug Geld da, es müsse aber zielgenauer eingesetzt werden.

Vorsorge ausweiten!

Mehr Vorsorge sicherstellen. CDU-Gesundheitsexperte Hendrik Streeck (CDU) fordert eine „Gesundheitswende – weg vom Reparatursystem, hin zu einem System, das Gesundheit belohnt und nicht mehr Krankheit“. Es brauche „Investitionen in Prävention und Vorsorge für gesunde Lebensweisen“, um „explodierende Beiträge“ zu vermeiden. Ein Beispiel: „Wir sollten Vorsorgeuntersuchungen, wie wir sie für Kinder längst etabliert haben, deutlich auf Erwachsene ausweiten – um Erkrankungen wie Krebs oder metabolische Syndrome früher zu erkennen und schwere, teure Verläufe zu verhindern.“

CDU-Gesundheitsexperte Hendrik Streeck (47)

CDU-Gesundheitsexperte Hendrik Streeck (47)

Foto: Michael Kappeler/dpa

Steigende Beiträge schocken nicht nur die Versicherten, auch die Wirtschaft geht die Angst um. Johannes Pöttering (47), Hauptgeschäftsführer von „Unternehmer Nordrhein-Westfalen“, zu BILD: „Eindringlich warne ich davor, jetzt angesichts der prekären Finanzlage der Krankenkassen erneute Beitragserhöhungen oder das Anheben der Beitragsbemessungsgrenzen ins Auge zu fassen. Dies würde die ohnehin schon weltweit höchsten Lohnzusatzkosten weiter in die Höhe treiben.“

Gesundheitsexperte Christos Pantazis (49, SPD) zu BILD: „Wenn wir verhindern wollen, dass die Beiträge explodieren, müssen wir die begonnenen Reformen – etwa die Krankenhausstrukturreform – entschlossen weiterentwickeln.“ Ansonsten würden steigende Beiträge riskiert und die Wirtschaft gefährdet!