Israels ehemaliger Ministerpräsident Ehud Olmert hat sich mit deutlicher Kritik gegen die derzeitige Regierung seines Landes gestellt. Nachdem Israel im Frühjahr die Verhandlungen über ein dauerhaftes Ende des Krieges im Gazastreifen beendet hatte und die Kampfhandlungen wieder aufgenommen hat, sei er zu dem Schluss gekommen, dass sein Land Kriegsverbrechen begehe, sagte Olmert der britischen Zeitung The Guardian. Zuvor hatte er das Vorgehen Israels gegen die Hamas im Anschluss an die Angriffe der islamistischen Terrororganisation am 7. Oktober 2023 noch unterstützt.

Er sei „beschämt und untröstlich“ darüber, dass aus einem Selbstverteidigungskrieg etwas anderes geworden sei, sagte Olmert. Deshalb habe er beschlossen, sich öffentlich zu äußern. Er wolle zeigen, dass es verschiedene und von der Regierung abweichende Meinungen in Israel gebe.

Tödliche Gewalt israelischer Siedler sei „unverzeihlich“

Zwar glaube er weder an eine organisierte Kampagne, um Kriegsverbrechen zu begehen, noch daran, dass es jemals entsprechende Befehle gegeben habe. Allerdings habe es die Bereitschaft gegeben, ein großes Maß an Tod und Zerstörung zu tolerieren und wegzuschauen, als Dinge passiert seien, die „die Tötung einer großen Zahl unbeteiligter Menschen“ zur Folge gehabt hätten. Daher sei die Regierung für begangene Kriegsverbrechen verantwortlich.

Auch die Gewalt extremistischer Siedler im Westjordanland, durch die wiederholt Palästinenser getötet wurden, stellt Olmert zufolge ein Kriegsverbrechen dar. Die Angriffe seien unverzeihlich und inakzeptabel. Er sprach von „kontinuierlichen Operationen, die von einer großen Gruppe auf brutalste und kriminelle Weise organisiert und durchgeführt werden“. Ein solches Vorgehen sei „ohne die Unterstützung und den Schutz“ israelischer Behörden im besetzten Westjordanland nicht möglich.

Olmert spricht von „Konzentrationslager“

Besonders kritisch äußerte sich Olmert im Guardian über das von Israel geplante Lager für Hunderttausende Palästinenser im Gazastreifen, das Israels Regierung als „humanitäre Stadt“ bezeichnet. Sollten Menschen in das Lager verbracht werden, so handele es sich hierbei um einen Teil von ethnischer Säuberung.

© Lea Dohle

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Das bisherige Vorgehen des Militärs beinhalte keine ethnischen Säuberungen, da die Evakuierung von Kampfgebieten unter internationalem Recht legal sei und Palästinenser im Anschluss hätten zurückkehren können. Anders sei das mit der „humanitären Stadt“. Verlautbarungen der Regierung, wonach diese zum Schutz der Palästinenser erbaut werde, seien nicht glaubwürdig. Vielmehr werde das Lager errichtet, um Palästinenser zu „deportieren“ und zu vertreiben.

Dabei nutzte Olmert auch den Begriff Konzentrationslager. „Es ist ein Konzentrationslager, tut mir leid“, sagte der ehemalige Premierminister. Da der Begriff historisch oft mit den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht wird und somit eine Relativierung der Schoah darstellen könnte, gilt seine Nutzung in vielen Kontexten als umstritten.

Ministerpräsident bis Ende März 2009

Extremistische Kabinettsmitglieder in der Regierung von Benjamin Netanjahu bezeichnete Olmert als eine größere Bedrohung für die langfristige Sicherheit Israels als äußere Feinde. „Diese Leute sind der Feind im Inneren“, sagte er. Nicht alle Menschen, die Hass auf Israel zum Ausdruck brächten, seien zudem Antisemiten.

Olmert war Anfang 2006 nach einem Schlaganfall seines Vorgängers Ariel Scharon Ministerpräsident Israels geworden. Im Herbst 2008 erklärte er seinen Rücktritt, hatte das Amt im Anschluss jedoch noch bis zum 31. März 2009 inne. Sein Nachfolger wurde Netanjahu. Olmert gilt als Befürworter einer Zweistaatenlösung.

Lesen Sie hier ein ZEIT-Interview mit Ehud Olmert aus dem vergangenen Jahr.

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