Washington. Patriot-Systeme, Sanktionen, Langstrecken-Raketen – Präsident kündigt harte Maßnahmen gegen Putin an. Europa zahlt, Amerika liefert.
Sechs Monate nach Amtsantritt nimmt der Kurswechsel Donald Trumps im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scharfe Konturen an. Lange redete der US-Präsident so, als wolle er die Ukraine zu einer bedingungslosen Kapitulation gegenüber Moskau drängen. Doch inzwischen ist die Enttäuschung über die von Kreml-Herrscher Wladimir Putin exerzierte Weigerung, einen Friedensschluss herbeizuführen, seine Triebfeder für einen aggressiven Umgang mit Russland.
Erstes Indiz: Die USA werden nach Worten des Präsidenten hocheffiziente Patriot-Raketen-Abwehrsysteme an europäische Nato-Länder verkaufen, damit sie zeitnah an die unter extremen Dauerbeschuss stehende Ukraine ausgeliefert werden können. „Wir werden ihnen Patriots schicken, die sie dringend brauchen. Für uns wird das ein Geschäft sein. Die EU zahlt dafür. Wir zahlen nichts, aber wir werden liefern”, sagte Trump vor Reportern.
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Damit nicht genug. Um der Ukraine strategische Vorteile zu eröffnen, tief ins Landesinnere Russlands vorzudringen und etwa Waffenproduktionsanlagen auszuschalten, wollte Trump am Montag nach Medienangaben auch einen Plan vorstellen, der die Lieferung von Lang- und Mittelstreckenraketen vorsieht. Wie das Nachrichtenportal „Axios“ berichtet, würde Trump damit von seiner bisherigen Haltung abweichen, wonach Offensivwaffen den Konflikt in nicht mehr beherrschbarem Ausmaß eskalieren lassen könnten.
Der Sinneswandel zeichnete sich seit Wochen ab. Trumps Äußerungen über Putin, dem er seit Jahren kontinuierlich die Stange hält, wurden zuletzt immer unwirscher. Nach dem sechsten Telefonat mit dem ehemaligen KGB-Agenten bezeichnete Trump sein Gegenüber als „verrückt”. Putin verbreite „eine Menge Mist”, sagte der Präsident am Sonntag und bekräftige seine Enttäuschung darüber, dass der Russe seine Bemühungen um einen Waffenstillstand offen konterkariert: „Er redet nett und dann bombardiert er abends jeden”, sagte Trump auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews bei Washington.
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Sanktionen, Zölle, Sondergesandte: Trumps neue Härte gegen Moskau
Nach Angaben des republikanischen Senators Lindsey Graham, ein enger Wegbegleiter des Präsidenten, sei Trump „so wütend” auf Putin, dass ein „Wendepunkt in Bezug auf Russlands Invasion in der Ukraine bevorsteht”. Der Präsident habe lange „die Tür in Bezug auf Russland offen gehalten – diese Tür ist dabei, sich zu schließen”. Im Lauf des Montags wollte Trump dazu nach eigenen Worten eine „wichtige Erklärung” abgeben.
Dabei könnte Trump auch erstmals seine Unterstützung für Sanktionen gegen Russland und Staaten wie China, Indien und Brasilien erklären, die russische Produkte kaufen und so Putins Kriegsmaschine ölen. Zölle auf Exporte in die USA von bis zu 500 Prozent sind im Gespräch. Graham bezeichnete den Vorstoß als „Vorschlaghammer“, mit dem der Präsident den Krieg beenden könne.
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Die neue Entwicklung fällt zusammen mit regem persönlichen Austausch. Am Montagmorgen traf Trumps Sonderbeauftragter für die Ukraine, Ex-General Keith Kellogg, in Kiew ein. Andrij Yermak, der Chef des Präsidialamtes von Präsident Wolodymyr Selenskyj, umarmte den Amerikaner am Bahnhof herzlich. Kellogg hatte schon vor über einem Jahr in einem Expose erklärt, dass die USA die Ukraine massiv bewaffnen sollten, wenn sich Russland Gesprächen über einen Waffenstillstand widersetzt.
Nato und Deutschland sollen Trumps Waffenpläne umsetzen
Wenige Stunden später sollte Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Weißen Haus vorfahren. Als oberster Koordinator des westlichen Verteidigungsbündnisses obliegt es dem Niederländer, das von Trump angekündigte Verfahren – Nato-Länder kaufen militärisches Gerät bei den Amerikanern und liefern es dann an die Ukraine – auf den Weg zu bringen.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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In dieser Mission war auch der Besuch von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zu verstehen, der am späten Mittag im Pentagon von seinem Gegenüber Pete Hegseth empfangen werden sollte. Pistorius war unter anderem gekommen, um die Details für den von Bundeskanzler Friedrich Merz bei der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Rom angekündigten Kauf von zwei weiteren Patriot-Abwehrsystemen unter Dach und Fach zu bringen. Bereits heute sind drei dieser hochwirksamen Raketenabwehreinheiten aus Beständen der Bundeswehr in Kiew im Einsatz. Kosten: 350 Millionen Euro pro System – 3,5 Millionen Euro pro Abfangrakete.
Am Montagmorgen traf Trumps Sonderbeauftragter für die Ukraine, Ex-General Keith Kellogg (r), in Kiew ein, um Gespräche zu führen.
© AFP | HANDOUT
Berlin unterstützt Kurs – und denkt über Offensivwaffen nach
Die Bundesregierung hat den Kurswechsel Trumps als „positive Entwicklung” begrüßt. Man werde versuchen, diesen „nach Kräften mitzugestalten“, hieß es aus Regierungskreisen. Es werde eine „andere Form der Lastenteilung“ geben: Trump gibt Waffenlieferungen frei und erhält im Gegenzug „beträchtliche finanzielle Beiträge“ europäischer Staaten. Trump werde so in die Lage versetzt, den Druck auf Putin zu erhöhen und gleichzeitig einen Schritt hinter den Europäern zu bleiben, die als direkte Waffenlieferanten gegenüber Kiew auftreten.
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Dass es auch aus deutscher Sicht mit reinen Abwehrsystemen für die Ukraine nicht getan ist, hatte zuletzt Generalmajor Christian Freuding angedeutet. Der Chef des Sonderstabs Ukraine der Bundeswehr sagte: „Wir benötigen Waffensysteme, die weit auch in die Tiefe des russischen Raumes reichen, die angreifen können – Depots, Führungseinrichtungen, Flugplätze, Flugzeuge.“ Details nannte er nicht, deutete aber den Umfang an. Danach sollen erste Systeme bereits Ende Juli in der Ukraine zur Verfügung stehen – „und dann folgend in einer hohen dreistelligen Stückzahl”.
Kreml alarmiert – US-Truppenpräsenz in Deutschland auf dem Prüfstand
Moskauer Medien reagierten besorgt über die Wende in Washington; es tue sich eine neue Konfrontation zwischen den Supermächten auf, hieß es. Der Kreml warf Kiew unterdessen vor, eine dritte Gesprächsrunde über die Modalitäten einer Beilegung des Konflikts zu verschleppen. Es sei offensichtlich, dass Kiew „keine Eile hat”, erklärte Putins Sprecher Peskow.
Die USA wollen nun doch hocheffiziente Patriot-Raketen-Abwehrsysteme an europäische Nato-Länder verkaufen.
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Davon abgesehen stand am Montag der Verbleib der zurzeit 38.000 US-Soldaten auf deutschem Boden auf der Tagesordnung von Minister Pistorius. Trump hatte mehrfach damit geliebäugelt, das Kontingent deutlich zu verkleinern. Beim Antrittsbesuch von Kanzler Merz in Washington Anfang Juni war davon plötzlich keine Rede mehr. Aber wie belastbar ist das? Bis zum Spätsommer will das Pentagon neu justieren, ob die globale Verteilung von US-Truppen (80.000 allein in Europa) so bleibt oder zugunsten der Frontstellung mit China verändert wird. Pistorius wirbt für ein schrittweises Vorgehen, falls Washington militärische Kapazitäten aus Deutschland abzieht.
Unscharf ist auch das Bild bei der Stationierung von US-Waffen, die im Konfliktfall Russland erreichen könnten. Trumps Vorgänger Joe Biden wollte Marschflugkörper vom Typ Tomahawk in Deutschland lagern. Trump hat sich dazu bislang nicht erklärt. Letztlich ging es in den Gesprächen mit Hegseth auch um die von Berlin bestellte Lieferung von 35 Kampfjets vom Typ F-35 (Volumen rund zehn Milliarden Euro), die wesentlicher Bestandteil der nuklearen Abschreckung der Nato sind.