Meinung

Weltunikum im Südpazifik –

Paris lässt Neukaledonien los – zumindest ein bisschen

Analyse von Publiziert heute um 16:24 UhrStrand von Noumea mit Spaziergängern, Palmen und Hochhäusern im Hintergrund, aufgenommen am 23. Juli 2023.

Paradies weit weg: Nouméa, der Hauptort von Neukaledonien, liegt 17’000 Kilometer entfernt von Paris.

Foto: Ludovic Marin (AFP)

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Kolonien sind von gestern, selbst wenn sie eine neue institutionelle Form tragen. Frankreich besitzt noch immer eine Reihe von Überseegebieten, die jeden Abend vor den Hauptnachrichten als kurze Nennungen in der Wetterprognose aufscheinen: als Pünktchen im Pazifik, im Atlantik, im Indischen Ozean. Meist ist es dort sonnig. Auf Neukaledonien zum Beispiel, eine Welt entfernt.

«Le Caillou», das Steinchen, sagen die Franzosen aus der Metropole, wie es früher hiess, als die Franzosen noch richtige Kolonien besassen. Diese Bezeichnung ist ein Synonym für Neukaledonien, als wäre die Inselgruppe im Korallenmeer im südlichen Pazifik ein einziger kleiner Punkt auf der Weltkarte. Dabei sind es sieben.

Die weitaus grösste Insel heisst Grande Terre, auf ihr liegt der Hauptort Nouméa, ein Drittel der rund 300’000 Bewohner lebt dort. «Caillou» könnte sich aber auch auf das Nickel beziehen, das in reichlichen Mengen im neokaledonischen Boden steckt und den Appetit aller Mächte in der Region nährt. Ein Viertel des Weltvorkommens an Nickel kommt aus Neukaledonien. Man braucht es für die Herstellung von Batterien, Handys, Flachbildschirmen, das ist nicht unwesentlich in der heutigen Zeit.

Emotionale Bindung? Nur bedingt

Auf Neukaledonien leben Kanaken, wie die Ureinwohner auf den Südseeinseln heissen, und Nichtkanaken, die über die Jahrzehnte aus Kontinentalfrankreich übergesiedelt sind, und sie leben oft im Konflikt miteinander. Politisch militante Kanaken sähen ihr kleines Inselreich, das sie «Kanaky» nennen, gerne total unabhängig. Während die Nichtkanaken mehrheitlich Loyalisten sind und gern weiterhin sehr eng sein wollen mit Paris. Es liegt 17’000 Kilometer von Nouméa entfernt.

Frankreich klammert sich also nicht nur aus emotionalen Gründen an seine Überseegebiete, sondern auch, weil sie geostrategisch gut liegen oder reiche Ressourcen in sich tragen. Umgekehrt gilt, dass die uransässigen Menschen in den Überseegebieten zumindest ein bisschen vom Wohlstand aus Europa profitieren. Emotional aber ist es schwierig.

Emmanuel Macron lächelt neben Sonia Backes während eines Treffens zur Vereinbarung mit Neukaledonien im Elysee-Palast.

Die Erleichterung nach der Einigung: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und Staatssekretärin Sonia Backes mit den Vertretern der beiden Lager im Hintergrund.

Foto: Tom Nicholson (AFP)

Nun soll Neukaledonien einen neuen Status bekommen, der so originell ist, dass es wohl auf der ganzen Welt nichts Ähnliches gibt. Ein Unikum, eine juristische Trouvaille, auf die sich «loyalistes» und «indépendantistes» in Paris am Wochenende geeinigt haben – nach komplizierten Gesprächen, denen schwere Unruhen im letzten Jahr vorausgegangen waren.

Neukaledonien soll ein Staat in der Republik werden, mit fast allem drum und dran, Name, Fahne, Hymne, wenn die Inselbewohner das denn wollen. Sie wären dann Doppelbürger: Neukaledonier und Franzosen, Südpazifiker und Europäer, alles zusammen. Neukaledonien könnte auch von anderen Staaten anerkannt werden und diplomatische Beziehungen mit ihnen unterhalten, etwa als Mitglied der Vereinten Nationen.

Nun müssen die Verhandler die Basis überzeugen

Aber, und jetzt kommts: Selbst in der neuen Form bliebe Neukaledonien Teil des nationalen Ganzen Frankreichs, es unterstünde also auch in Zukunft der französischen Verfassung. Wollte es weitere Kompetenzen des Zentralstaates übernehmen, etwa die Verteidigung nach aussen, die innere Sicherheit, die Prägung einer eigenen Währung, dann müssten drei Fünftel des neukaledonischen Kongresses dafür stimmen. Es darf also gewissermassen unabhängig werden und dabei abhängig bleiben.

Mal sehen, ob der Deal auch bei der Basis beider Lager durchkommt, sicher ist das nicht. Den Loyalisten geht der erzielte Kompromiss eher zu weit, den Kämpfern für die Unabhängigkeit nicht weit genug. Doch vielleicht ist das der sanfte Beginn einer weiteren Dekolonisierungswelle.

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