Nach der Hinrichtung ihrer Eltern im Sommer 1989 erhalten Lyle und Erik Menendez eine lebenslange Haftstrafe ohne Aussicht auf Bewährung. Mit neuen Beweisen zur Motivlage wollen die Brüder nun eine Freilassung erreichen. Allerdings wird ihre Hoffnung nach der Wahl eines neuen Staatsanwalts gedämpft.
Warum griffen Lyle und Erik Menendez im Sommer 1989 zur Schrotflinte und erschossen ihre Eltern auf brutalste Weise? Die Brüder wurden 1996 wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt. Zwar war sich die Jury damals einig, dass die damals 21- und 18-jährigen Geschwister ihre Eltern töteten. Auch die Beschuldigten selbst stritten dies nie ab. Allerdings ist bis heute nicht zweifellos geklärt, warum die Menendez-Brüder zur Waffe griffen. Mehr als 30 Jahre nach der Verurteilung rückt die Frage nach dem Motiv jedoch wieder in den Fokus des Gerichts. Denn neue Beweise könnten dazu führen, dass die Verurteilten trotz lebenslanger Haftstrafe schon bald auf freien Fuß kommen.
Der Fall rund um die brutale Tötung von José und Kitty Menendez sorgte damals weltweit für Aufsehen. Mit zwei Schrotflinten bewaffnet, suchten Lyle und Erik im August 1989 die Villa ihrer Eltern in Beverly Hills auf. Sie erschossen ihren Vater José, der noch vor dem Fernseher saß, aus nächster Nähe, wie Gerichtsmediziner später belegten. Dabei wurde Kitty Menendez ebenfalls getroffen. Schwer verletzt versuchte sie noch zu fliehen. Eine Chance hatte sie jedoch kaum – einer ihrer Söhne schoss noch zwei Mal auf seine am Boden kriechende Mutter, bis auch sie schließlich starb.
Die Staatsanwaltschaft ging damals schnell davon aus, dass die Brüder ihre Eltern ermordeten, um an das millionenschwere Vermögen zu kommen. Tatsächlich sprachen einige Indizien für dieses Motiv: Kurz nach dem Tod gaben Erik und Lyle etwa Hunderttausende Dollar aus der Erbschaft der Eltern für Autos, Armbanduhren und andere Luxusartikel aus. Die Ermittler werteten das verschwenderische Verhalten als Zeichen der Habgier – die Anklage lautete auf Mord.
Missbrauch durch den Vater?
Während die Brüder schnell einlenkten und die Tat gestanden, widersprachen sie dem geschilderten Motiv vehement. Es sei ihnen, darauf pochen sie bis heute, nicht um das Vermögen ihrer Eltern gegangen, sondern um Selbstverteidigung. Erik und Lyle sagen, ihr Vater habe sie in ihrer Kind- und Teenager-Zeit jahrelang körperlich, emotional und sexuell missbraucht. Kurz vor der Tat habe er ihnen schließlich mit dem Tod gedroht, sollten sie von den Misshandlungen berichten.
Schon damals wurde auch diese Version von einigen Hinweisen untermauert: Zwei Verwandte gaben an, die Brüder hätten sich ihnen anvertraut, den Missbrauch durch den Vater geschildert. Die Staatsanwaltschaft ging damals hingegen davon aus, dass die angeblichen Taten des Vaters erst im Zuge der Verteidigungsstrategie entstanden. Immerhin hätten die Brüder sie nicht gegenüber einem Psychologen thematisiert.
Die unklare Motivlage führte in einem ersten Strafprozess 1993 dazu, dass am Ende kein Urteil zustande kam. So ist ein Urteil nur einstimmig möglich – die Jury konnte sich damals jedoch nicht darauf einigen, ob sie die Brüder wegen Mordes oder Totschlags verurteilen soll. In einem zweiten Prozess 1996 kam es schließlich zur Entscheidung: Die Geschworenen plädierten einstimmig für Mord und eine lebenslange Freiheitsstrage ohne Aussicht auf Bewährung. Allerdings gab es einen wesentlichen Unterschied zum ersten Prozess. Der Richter hatte in diesem Fall Aussagen über den mutmaßlichen Missbrauch durch den Vater untersagt, da dieser nicht bewiesen wurde. Ein möglicherweise daraus resultierendes Motiv der Brüder stand der Jury also gar nicht erst zur Auswahl.
Der Brief
Genau das versuchen die Brüder und ihre Verteidiger nun zu ändern – und damit eine Freilassung zu erreichen. So fordern sie bereits seit dem vergangenen Jahr eine Aufhebung des Schuldspruchs von 1996. Ähnlich wie in Deutschland hat die Wiederaufnahme eines Verfahrens, gar die Änderung des Urteils, auch in den USA angesichts der enormen Bedeutung von Rechtssicherheit hohe Hürden. Notwendig ist nicht nur eine andere Bewertung bereits vorhandener Indizien, sondern auch neue handfeste Beweise.
Und die wollen die Menendenz-Brüder unter anderem in einem Brief gefunden haben. Im vergangenen Jahr tauchte ein Brief auf, den Erik Menendez Monate vor der Tat an seinen Cousin schrieb und in dem er auf die Taten seines Vaters anspielte. „Ich habe versucht, Dad aus dem Weg zu gehen.“ Und: „Jede Nacht bleibe ich wach und denke, dass er hereinkommen könnte.“ Zudem habe er „Angst und müsse „es aus meinem Kopf verbannen“ und „aufhören, darüber nachzudenken“. Der ehemalige Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles, George Gascon, teilte den Brief auf Instagram, löschte ihn später jedoch wieder.
Die neuen Hinweise auf einen möglichen Missbrauch durch den Vater werden von der Aussage des früheren Mitglieds der Boyband Menudo untermauert. In einer Dokumentation sprach er darüber, dass er als Teenager von José Menendez sexuell missbraucht wurde. Die Band war zu jener Zeit bei einem Label unter Vertrag, bei dem José Menendez als Manager arbeitete.
Ex-Staatsanwalt für Neubewertung
Auf Grundlage dieser neuen Indizien auf einen möglichen Missbrauch, der damals keinen Einfluss auf die Entscheidung der Jury hatte, stellten die Menendez-Brüder einen Antrag auf Haftaufhebung. Ihre Verteidiger argumentieren, dass vor allem der Brief erheblichen Einfluss auf den Tenor des Urteils gehabt hätte, hätte er der Jury damals vorgelegen. Genauer gesagt: Die Jury hätte sich, so die Verteidiger, kaum für eine Verurteilung wegen Mordes ausgesprochen, hätten sie die Hinweise auf die veränderte Motivlage gehabt. Auch Gascon sprach sich kurz vor Ende seiner Amtszeit als Bezirksstaatsanwalt von LA für eine Neubewertung des Falls aus.
Wichtig ist: Selbst wenn der Fall um die Menendez-Brüder noch einmal neu aufgerollt wird, geht es weder Gascon noch den Verteidigern darum, einen Freispruch zu erreichen. So sprachen die Brüder zwar damals von Notwehr, als sie die Taten mit dem möglichen Missbrauch durch ihren Vater rechtfertigen wollten. Allerdings setzt Notwehr sowohl im deutschen als auch im US-amerikanischen Recht einen gegenwärtigen Angriff voraus. In diesem Fall soll José seinen Söhnen zwar gedroht haben, allerdings nicht unmittelbar und zum Zeitpunkt der Tat. Vielmehr hatten sie Zeit, sich Schrotflinten zu besorgen, bevor sie anschließend sogar selbst in die Villa der Eltern fuhren.
Die Hinweise könnten jedoch das Zünglein an der Waage sein, wenn es um zur Frage nach Mord oder Totschlag und damit auch die Strafzumessung kommt. Die Umstände – der mögliche Missbrauch und die Drohungen des Vaters – müssten in einer Neubewertung zumindest eine Rolle spielen, heißt es auf der Rechtsplattform „Legal Tribune Online“. Sollte das Gericht schließlich zu der Entscheidung kommen, der Missbrauch habe stattgefunden, läge es nah, so der Bericht, dass dieser „bewusstseinsdominant“ für die Tat war.
„Vorsichtig hoffnungsvoll“
Vor diesem Hintergrund empfahl Gascon dem zuständigen Richter, den Ausschluss der Bewährung für die Brüder zu überdenken. Er betonte dabei, dass sich das Verständnis von sexuellem Missbrauch und dessen Folgen in der Gesellschaft seit 1996 stark verändert habe. Sollte das Gericht tatsächlich Bewährung gewähren, könnten Lyle und Erik Menendez sofort freikommen. Mit dem Engagement von Gascon stieg diese Chance enorm. Denn wenn Staatsanwälte eine erneute Strafzumessung unterstützen, besteht „eine gewisse Vermutung“, dass das Gericht dies auch tun wird, sagte Laurie Levenson, eine ehemalige Bundesstaatsanwältin und Professorin für Strafrecht an der Loyola Law School in Los Angeles zu „Sky News“.
So ließ sich Lyle Menendez kürzlich zu seinem ersten Interview nach fast zehn Jahren hinreißen. Zu TMZ sagte er, dass sowohl er als auch Erik „vorsichtig hoffnungsvoll“ seien, bald freizukommen. „Hoffnung für die Zukunft ist wirklich etwas Neues für uns. Es ist nichts, mit dem wir viel Zeit verbracht haben.“
Allerdings macht sich der Politik-Wechsel in den USA auch im Fall der Brüder bemerkbar: Kurz nachdem sich der von den Demokraten unterstützte Gascon für eine Neubewertung einsetzte, wurde ein neuer Staatsanwalt für den Bezirk gewählt. Der von den Republikanern unterstützte Nathan Hochman gewann die Wahl – und sprach sich jüngst gegen eine Neubewertung des Falls aus. Die Brüder hätten „die volle Verantwortung für die Morde“ zu übernehmen. „Sie haben die letzten 30 Jahre lang jeden angelogen.“ Deshalb spreche er sich dagegen aus, sie noch einmal zu verurteilen – mit einem geringeren Strafmaß.
Was für die Inhaftierten zum großen Hoffnungsdämpfer wird, bedeutet für das Gericht in Los Angeles vor allem eine weitere wichtige Entscheidung. So sollte heute ursprünglich bereits eine Anhörung zu einer möglichen neuen Strafzumessung für Lyle und Erik stattfinden. Stattdessen geht es nun zunächst um die Frage, ob der Antrag auf eine Neubewertung überhaupt aufrechterhalten wird. Der Richter müsste sich in diesem Fall gegen die ausdrückliche Aufforderung des neu gewählten Staatsanwalts Hochman richten. Dass sich das Gericht tatsächlich noch einmal mit dem Motiv der Brüder beschäftigt, wäre dann unwahrscheinlich.