Wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung wurde ein ehemaliger Polizist am Montagnachmittag vor dem Amtsgericht Tiergarten zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Drei weitere mitangeklagte Kollegen wurden freigesprochen.
Das Gericht sah als erwiesen an, dass Abdullah I. den damals 21-jährigen Abdul M. in der Nacht zum 16. Juli 2021 unvermittelt mehrfach mit der Faust unter anderem gegen den Kopf geschlagen hat. Das Gericht verhängte eine Bewährungsstrafe von elf Monaten wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft hatte den drei Mitangeklagten unter anderem vorgeworfen, die Tat unterstützt und anschließend vertuscht zu haben. Die drei sagten vor Gericht allerdings übereinstimmend aus, dass sie mit den Schlägen ihres Kollegen nicht gerechnet und diese auch nicht verhindern hätten können.
Im Anschluss hätten sie den Vorfall bei ihren Vorgesetzten angezeigt. Warum nun sie vor Gericht stünden, könnten sie sich nicht erklären. „Mein Mandant hat alles richtig gemacht“, sagte einer der Verteidiger in seinem Plädoyer.
Man sieht die Wucht der Faustschläge auf dem Video der Überwachungskamera.
Die Richter des Amtsgerichts Tiergarten in der Urteilsbegründung
Das Strafmaß entspricht somit in etwa den Forderungen der Berliner Staatsanwaltschaft. Diese hatte für den Hauptangeklagten ein Jahr auf Bewährung sowie Freisprüche für die Mitangeklagten gefordert. Der Anwalt des Verurteilten hatte eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro gefordert.
Die Richter stellten in der Urteilsbegründung fest, dass der Verurteilte von seinem Opfer beleidigt und wohl auch mit einem Gegenstand beworfen wurde. Seine Reaktion sei aber „absolut unverhältnismäßig“ gewesen. „Man sieht die Wucht der Faustschläge auf dem Video der Überwachungskamera“, sagte der Vorsitzende Richter.
Richter sieht Fehlverhalten bei Freigesprochenen
Der Richter nahm die drei freigesprochenen Beamten allerdings nicht aus der Verantwortung. Sie hätten sich zwar nicht strafbar gemacht, aber auch nicht vorbildlich gehandelt: Er warf den Beamten vor, dass sie ihren Kollegen nach dem ersten der beiden Angriffe nicht von dem 21-Jährigen getrennt hätten.
„Kann man nach dem ersten Angriff von einem zweiten wirklich überrascht sein?“, fragte er in Richtung der Freigesprochenen. Diese hatten ausgesagt, dass beide Angriffe „völlig überraschend“ erfolgt seien.
Wenn Sie die Anzeige richtig aufgenommen hätten, würde mein Mandant hier heute nicht sitzen.
Einer der Verteidiger zum früheren Vorgesetzten von Abdullah I.
Der Richter räumte aber auch ein, dass es im Laufe des Verfahrenes zu gleich mehreren Fehlern auf allen Seiten gekommen sei. Dabei führte er auch die lange Zeit zwischen dem Vorfall und der Eröffnung des Verfahrens vier Jahre später an. „Das gesamte Verfahren ist ein Stückweit ein Armutszeugnis für uns alle als staatliche Organe“, sagte er.
Warum die Anzeige der früheren Kollegen nicht oder nur unzureichend verfolgt wurde, konnte das Gericht nicht vollständig klären. Klar wurde aber, dass der damalige Leiter der Alex-Wache, Christian S., eine nur dreizeilige Anzeige verfasste. Darin erklärte er, dass auf Videos zu sehen sei, wie Abdullah I. einen Bürger schlage. Die anzeigenden Polizeibeamten oder kompletten Tatablauf schilderte er nicht.
Allerdings hatte der Hauptangeklagte einem weiteren ehemaligen Kollegen nach dem Vorfall in einer Sprachnachricht geschildert, dass er mit Christian S. über den Vorfall gesprochen habe. Das ging aus einer Chatnachricht von dem beschlagnahmten Handy von Abdullah I. hervor.
Anzeige hatte nur drei Zeilen
Christian S. habe ihm gesagt, dass er „von Amts wegen“ Anzeige erstatten müsse, damit nicht der Eindruck entstehe, „dass hier etwas vertuscht wird“. Aber er habe die Anzeige derart erstattet, dass „dabei eh nichts rauskommt“.
Christian S. leugnete vor Gericht, dass ein entsprechendes Gespräch zwischen ihm und Abdullah I. stattgefunden habe. Stattdessen sei ihm wichtig gewesen, den Vorfall anzuzeigen. Dass der offenbar nicht weiter verfolgt wurde, sei nicht seine Zuständigkeit. „Ich habe nur den Stein ins Rollen gebracht“, sagte er.
Der Verteidiger des Mitangeklagten Amos E. entgegnete ihm: „Wenn Sie die Anzeige richtig aufgenommen hätten, würde mein Mandant hier heute nicht sitzen.“ Der ganze Vorwurf der Vertuschung beruhe nur darauf, dass die Mitangeklagten und übrigen Zeugen während der Ermittlungen nie befragt worden seien.
Die drei mitangeklagten Polizisten waren im Frühjahr 2024 vom Dienst suspendiert worden. Der verurteilte Polizist Abdullah I. hatte den Dienst da schon freiwillig verlassen: Er wurde bereits 2022 in erster Instanz zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, weil er für eine Kokainbande Dokumente gefälscht und Daten abgefragt haben soll. Das Urteil ist bislang nicht rechtskräftig.
GdP-Sprecher Jendro: „Haben zwei Kollegen verloren“
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wertete das Urteil am Montagabend so: „Wir sind erleichtert, dass unsere Kollegen von diesen unsäglichen Vorwürfen zurecht freigesprochen wurden, müssen aber mal über was Grundsätzliches reden“, sagte der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro. „Seit dem Vorfall sind satte vier Jahre vergangen. In der Zeit haben wir zwei Kollegen verloren, weil die Probezeit nicht mehr verlängert werden konnte, und das ist wahrlich kein Einzelfall.“
Die Zeitspanne, die die Justiz bis zur Verhandlung ins Land ziehen lasse, sei einfach zu lang. Denn Betroffene würden durch derartige Anschuldigungen vorbelastet und gemäß beamtenrechtlicher Vorgaben von sämtlichen Personalentwicklungsmaßnahmen ausgenommen.
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„Wir verlieren durch diese untragbaren Strukturen Menschen, die wir in der Polizei Berlin dringend benötigen“, sagte Jendro. „Insofern fordern wir als GdP endlich Mechanismen, um eklatante Nachteile für unsere zu Unrecht beschuldigten Kollegen zu verhindern und sie wirklich umfassend zu rehabilitieren.“