Cherson, Ukraine. Sexualisierte Gewalt bleibt in vielen Konflikten ein verborgenes Verbrechen. Betroffene aus der Ukraine erzählen ihre Geschichten.

„Ich wusste, ich werde nicht überleben, nur überstehen,“ erzählt Mariya, eine ehemalige Anwältin aus der ukrainischen Region Cherson. Ihre Stimme ist ruhig, fast tonlos, als sie über das Grauen spricht, das sie erlebt hat. Sie ist eine von vielen, die im russischen Angriffskrieg zur Zielscheibe systematischer Vergewaltigungen wurden. „Ich saß in der Ecke, zusammengerollt, mit meinen Armen um mich geschlungen. Ich hatte Angst, dass sich mir irgendjemand nähert,“ schildert sie die Tortur, die sie durch russische Soldaten erleben musste.

Mariya ist nicht allein. Weltweit gibt es unzählige Frauen und Mädchen, für die ähnlich grausame Szenarien Realität sind. Laut Unicef wurden mehr als 370 Millionen Mädchen und Frauen unter 18 Jahren Opfer von Vergewaltigung. In Kriegsgebieten ist die Dunkelziffer noch höher: In den von der Ukraine zurückeroberten Gebieten geht man davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Opfer von sexualisierter Gewalt bis zu 20-mal höher ist als die offiziell dokumentierten 340 Fälle, die die Generalstaatsanwaltschaft bislang untersucht.

Im Podcast „Im Krisenmodus“ spricht Journalist Jan Jessen mit den betroffenen Frauen dieser Gewalttaten und lässt sie ihre Geschichte erzählen:

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Sexualisierte Gewalt als strategische Kriegswaffe in der Ukraine

Sexualisierte Gewalt ist keine Randerscheinung des Krieges, sondern Teil einer gezielten Strategie. „Sexualisierte Gewalt wird als gezielte Waffe eingesetzt, um die Gesellschaft systematisch zu brechen,“ sagt Iryna Dovgan, Gründerin der Selbsthilfeorganisation SEMA. Sie weiß das aus eigener Erfahrung: 2014, während der russischen Besatzung im Donbas, wurde Dovgan selbst gefoltert und von russischen Soldaten erniedrigt. Heute setzt sie sich mit SEMA für über 1.000 Überlebende sexualisierter Gewalt ein.

Doch der Kampf der Überlebenden endet nicht mit der physischen Befreiung. Neben den massiven Traumata haben sie mit gesellschaftlichem Stigma zu kämpfen. „Viele Frauen schweigen aus Scham oder Angst vor Rache,“ erklärt Dovgan. Dieses Schweigen ermöglicht es den Tätern, ungestraft zu bleiben, und macht die Aufarbeitung solcher Verbrechen noch schwieriger.

Ukraine-Krieg

Die Schicksale Ukrainischer Frauen in Russischer Gefangenschaft. Mariya Vergewaltigungsopfer am 18. Mai 2025 in Cherson. Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services
© FUNKE Foto Services | Reto Klar

Dabei ist diese Form der Gewalt kein Zufall und kein „Kollateralschaden“. „Sie nutzen unsere Körper, um uns als Gesellschaft zu brechen – um uns unsere Würde zu nehmen,“ beschreibt Dovgan die gezielte Strategie, die hinter diesen Angriffen steht. Ihr Ziel sei es, Menschen psychologisch zu zerstören und die Widerstandskraft der ukrainischen Gesellschaft zu zermürben. Dieses Kalkül offenbart, wie perfide sexualisierte Gewalt von den Tätern als Kriegswaffe instrumentalisiert wird.

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Folgen Sie dem Podcast „Im Krisenmodus“:

Im Podcast „Im Krisenmodus“ wird denjenigen eine Stimme gegeben, die den Alltag in Krisen- und Kriegsgebieten hautnah erleben. Soldaten, Helfer und Betroffene teilen ihre bewegenden Geschichten und berichten von den Herausforderungen und Tragödien, die Krieg und humanitäre Krisen täglich mit sich bringen.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Journalist Jan Jessen, bekannt für seine Reportagen aus den Brennpunkten der Welt, reist direkt an die Fronten und in Krisengebiete, um diese Geschichten einzufangen. Mit seiner journalistischen Expertise und sensiblen Herangehensweise gibt er den Menschen in Kriegs- und Konfliktregionen eine Plattform, die gehört werden muss.

Alle zwei Wochen erscheint eine neue, eindringliche Folge, die die Hörer:innen in eine andere Krisenregion entführt. Der Podcast lässt nicht nur das Grauen, sondern auch die Widerstandskraft und den Mut der Menschen spüren, deren Leben durch Konflikte erschüttert wurde.

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