Weniger Lust auf Alkohol durch eine Abnehmspritze? Erste Studien liefern Hinweise – doch Psychiater Reinhard Haller warnt vor voreiligen Hoffnungen.

Eine Spritze, die nicht nur den Hunger zügelt, sondern auch die Lust auf Alkohol? Erste Studien deuten genau darauf hin. Was wie ein medizinisches Wunder klingt, könnte neue Wege in der Suchtbehandlung eröffnen – oder gefährliche Erwartungen schüren. Psychiater Reinhard Haller ordnet die Entwicklung ein.

Weniger Alkohol und Zigaretten durch die Spritze?

Was als Mittel gegen Diabetes begann, wurde zur „Abnehmspritze“ – und könnte nun auch in der Suchtmedizin eine Rolle spielen. Der Wirkstoff Semaglutid, bekannt unter den Handelsnamen Ozempic und Wegovy, dämpft nicht nur den Appetit, sondern offenbar auch das Verlangen nach Alkohol.

Erste Anekdoten kursierten bereits in sozialen Netzwerken: Nutzer berichteten, dass sie seit der Spritze weniger trinken, rauchen oder andere Süchte verspüren – von Zigaretten bis hin zu Online-Shopping. Jetzt gibt es erstmals handfeste wissenschaftliche Daten, die diesen Effekt untermauern.

Studie zeigt: Weniger Lust auf Alkohol

Ein Forschungsteam um den Suchtforscher Christian Hendershot (University of North Carolina) veröffentlichte eine Studie im Fachjournal JAMA Psychiatry. Darin testeten sie an 48 alkoholabhängigen Personen, ob Semaglutid ihren Alkoholkonsum beeinflusst. Über acht Wochen hinweg erhielten die Probanden entweder das Medikament oder ein Placebo. Das Ergebnis: Die Semaglutid-Gruppe trank deutlich weniger Alkohol – sowohl im Alltag als auch in kontrollierten Laborsituationen.

Zwar tranken beide Gruppen an ähnlich vielen Tagen Alkohol, doch die Menge pro Tag und das Verlangen nahmen unter Semaglutid signifikant ab. Auch der Zigarettenkonsum ging bei den Rauchern zurück. Die Vermutung: Semaglutid wirkt dämpfend auf das Belohnungssystem – und reduziert dadurch das Craving, also das intensive Verlangen.

Psychiater Reinhard Haller: „Alkoholsucht ein vielwurzeliges Problem“

Univ.-Prof. Dr.med. Reinhard Haller.
©Paulitsch

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse mahnt der forensische Psychiater Reinhard Haller zur Zurückhaltung. Im Gespräch mit VOL.AT betont er: „Im Bereich des Alkohol-Cravings gibt es Untersuchungen, dass die Abnehmspritze das Verlangen dämpft – aber Alkoholsucht ist ein vielwurzeliges Phänomen.“

Menschen trinken nicht nur aus Gewohnheit oder Lust, sondern häufig auch als Selbstmedikation gegen Schlaflosigkeit, Depressionen, Einsamkeit oder emotionale Leere. „All diese Ursachen kann ein Medikament nicht erfassen“, so Haller. Der Appetit mag sich damit chemisch regulieren lassen – die seelischen Hintergründe bleiben bestehen.

Doch die Studienautoren selbst dämpfen überhöhte Erwartungen. Die Teilnehmer waren überwiegend stark übergewichtig, denn ein Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 23 war Voraussetzung. Viele alkoholabhängige Menschen sind jedoch untergewichtig – bei ihnen wäre ein weiterer Gewichtsverlust durch Appetitminderung problematisch. Zudem lief die Studie nur neun Wochen – die Langzeitwirkung ist unklar.

Genussverlust und emotionale Folgen

Ein weiterer Aspekt: Semaglutid reduziert nicht nur destruktive Impulse – sondern auch Freude. „Wenn wir die Abnehmspritze nehmen, dann geht auch viel an Genuss verloren“, sagt Haller. Essen, Trinken, Geselligkeit – all das wird gedämpft. Für viele ein Preis, den sie nicht zahlen möchten. Genuss, so Haller, sei ein menschliches Bedürfnis – und der Verlust könne langfristig auch psychische Folgen haben.

„Kann eine gewisse Hilfe sein“

Die Abnehmspritze könnte letztendlich ein neues Werkzeug im Kampf gegen Alkoholmissbrauch werden – vor allem als ergänzende Maßnahme. Sie kann helfen, das Verlangen zu dämpfen und erste Erfolge zu ermöglichen. Doch sie ersetzt keine Therapie. Denn Sucht ist mehr als ein biochemisches Ungleichgewicht – sie ist auch Ausdruck von Schmerz, Sehnsucht und ungelösten inneren Konflikten.

Reinhard Haller bringt es auf den Punkt: „Es kann eine gewisse Hilfe sein, aber das Suchtproblem als Ganzes löst die Spritze nicht.“