Die Rechtsprofessorin Brosius-Gersdorf sollte eigentlich Verfassungsrichterin werden. Doch weil es in CDU und CSU keine Einigkeit über sie gab, wurde die Wahl abgesagt. Nun äusserte sie sich zu den Vorwürfen im ZDF.
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf war bereits im Sommer vergangenen Jahres zu Gast in der ZDF-Talkshow «Markus Lanz». Sie sprach von einem möglichen AfD-Verbotsverfahren als einem Akt der «wehrhaften Demokratie».
Imago / Teutopress GmbH
Die Wahl von Verfassungsrichtern im Deutschen Bundestag ist in der Regel eingeübte Routine. Das ist nun anders. Und das liegt vor allem an einer Personalie: an der Potsdamer Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf, die die SPD für den Posten aufgestellt hat. Weil es bei CDU und CSU keine Einigung über sie gab, fiel am Freitag die Wahl aus.
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Sie sei zu links für das Gericht, hiess es, etwa weil sie für eine Legalisierung der Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft eintrete. Anstoss erregten auch ihre Positionen zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren am Bundesverfassungsgericht und zu einer Impfpflicht gegen das Coronavirus. Am Dienstagabend nahm sie im Gespräch mit dem Moderator Markus Lanz im ZDF ausführlich Stellung zu den Vorwürfen – und wies sie vollumfänglich zurück. Gleichzeitig hielt sie weiter an ihrer Nominierung fest. Sie würde erst dann verzichten, wenn dem Bundesverfassungsgericht oder der Stabilität der Regierung durch die Debatte Schaden drohe.
«Ich vertrete absolut gemässigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft», sagte Brosius-Gersdorf. Sie stellte ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch so dar, dass sie zwischen dem Lebensrecht des Embryos und dem der Schwangeren abwäge. Sie sei für die vollständige Legalisierung von Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft, allerdings nicht zu jedem Zeitpunkt. Dies stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Mehrere Medien hätten ihre juristische Argumentation falsch wiedergegeben, sagte sie. Eine entsprechende anwaltliche Erklärung hatte sie am Dienstagmorgen herausgegeben.
Die Juristin liess sich auch auf die Frage des Moderators ein, wie sie zu ihren früheren Äusserungen über eine Impfpflicht gegen das Coronavirus sowie über ein AfD-Verbotsverfahren stehe. Zumindest an einer Stelle sprach Brosius-Gersdorf von einer «unglücklichen» Formulierung: Es ging um ihre Aussage, selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Verbots der AfD durchs Bundesverfassungsgericht sei damit «natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt». So äusserte sie sich im Sommer vergangenen Jahres in der Talkshow des Moderators Lanz.
Brosius-Gersdorf geht mit Anwalt gegen Plagiatsverdacht vor
Brosius-Gersdorf rechtfertigte indes ihre Überlegungen von einem Fernsehauftritt im November 2021, wonach der Staat möglicherweise in der verfassungsrechtlichen Pflicht sei, eine Impfpflicht gegen das Coronavirus einzuführen. Sie habe sich damals angesichts der hohen Inzidenzen so geäussert, sagte sie. Das müsse im Licht der damaligen Zeit betrachtet werden. Lanz erinnerte daran, dass damals ein grosser Teil der Deutschen ebenfalls eine Impfpflicht befürwortet hatte.
Das war nicht die einzige umstrittene Äusserung der Juristin während der Pandemie. In einem Aufsatz trat sie dafür ein, Ungeimpfte an den Behandlungskosten für schwer am Coronavirus Erkrankte zu beteiligen. Bei Lanz verteidigte sie diese Position mit dem Argument, jeder Krankenversicherte sei Mitglied einer Solidargemeinschaft. Es gehe immer um das «Spannungsfeld zwischen Eigenverantwortung auf der einen Seite und Solidarität auf der anderen Seite».
So ging es im Verlauf der Sendung weiter. Lanz fragte Brosius-Gersdorf zu ihrer Ansicht, wonach das Tragen des muslimischen Kopftuchs durch Rechtsreferendarinnen nicht zwingend gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstosse. Sie hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht bald seine Rechtsprechung korrigiere, schrieb sie in einem Gastbeitrag für den «Tagesspiegel». Die Juristin hält nach wie vor daran fest. Man dürfe als Rechtswissenschafterin auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts kritisieren, sagte sie.
Allein zu einer Frage des Moderators nahm Brosius-Gersdorf keine Stellung. Er wollte wissen, wie sie zu dem Plagiatsverdacht gegen sie stehe, den der Salzburger Kommunikationswissenschafter Stefan Weber in die Welt gesetzt hatte. Er hatte auf seinem Blog auf mehrere Textüberschneidungen zwischen Brosius-Gersdorfs Dissertation und der Habilitationsschrift ihres Mannes aufmerksam gemacht. Brosius-Gersdorf sagte, ihr Ehemann und sie hätten einen Anwalt damit beauftragt, gegen entsprechende Vorwürfe vorzugehen. Bis dahin äussere sie sich dazu nicht.
«Plagiatsvorwurf steht schon per Definition nicht im Raum»
Am Mittwochmittag hat die Stuttgarter Kanzlei Quaas und Partner ein Kurzgutachten vorgelegt. Brosius-Gersdorf ist demnach kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorzuwerfen. «Die Prüfung hat ergeben, dass die Vorwürfe unbegründet sind und keine Substanz haben», erklären die Rechtsanwälte Michael Quaas und Peter Sieben von der Anwaltskanzlei Quaas und Partner in einem Begleitschreiben. Die Kanzlei gibt ausdrücklich eine vorläufige Bewertung ab. «Eine ausführliche rechtliche Bewertung soll gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen», heisst es in dem Kurzgutachten.
Die Dissertation von Brosius-Gersdorf und die Habilitationsschrift ihres Mannes Hubertus wurden beide 1997 an der Universität Hamburg eingereicht. Die Kanzlei betrachtete ähnliche Fussnoten, Textstellen und Ähnlichkeiten in Überschriften. «Wenn sich bei inhaltlich vergleichbaren Fragestellungen beide Autoren auf die in der Regel begrenzte Anzahl an Veröffentlichungen beziehen, betrifft das die eigene wissenschaftliche Leistung schon nicht im Ansatz», schreibt die Kanzlei zum Thema Fussnoten.
«Auch die teilweise ähnlichen Ausführungen in den Texten deuten, und so stellt es auch Herr Dr. Weber dar, allenfalls auf einen gedanklichen Austausch hin, nicht aber darauf, dass einer der Beteiligten von der oder dem anderen, ohne dies kenntlich zu machen, Inhalte übernommen hätte. Das heisst, ein Plagiatsvorwurf steht schon per Definition nicht im Raum.»
Ausserdem gehe es nur um wenige Stellen, quantitativ und qualitativ fielen diese nicht ins Gewicht. Auch sei die Habilitationsschrift ihres Mannes später erstellt worden als die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf.
Mit Agenturmaterial.