1. Zwischen tragbarem Kino und AR-Versprechen: Was Display-Brillen wirklich können

Wer aktuell durch YouTubes Technikkanäle scrollt oder auf Elektronikmessen unterwegs ist, begegnet immer häufiger sogenannten „AR-Brillen“ von Herstellern wie Xreal, Viture oder RayNeo. Gemeint sind damit in vielen Fällen aber keine Geräte mit echter Augmented-Reality-Funktionalität, sondern Display-Brillen. Diese setzen auf Bildqualität statt Umgebungserkennung, bieten große virtuelle Bildschirme, beherrschen aber keine zentralen AR-Technologien. Damit die Marketing-Maschinerie der Hersteller nicht noch mehr Verwirrung stiftet, beleuchten wir in diesem Artikel, wie Display-Brillen funktionieren und wie sie sich von Smart Glasses und AR-Brillen abgrenzen.

Wie funktionieren Display-Brillen?

Display-Brillen, auch Video Glasses oder Wearable Displays genannt, sind im Kern Head-Mounted Displays (HMDs), die ein digitales Bild direkt ins Sichtfeld projizieren. Anstelle eines physischen Bildschirms erzeugen sie über Micro-OLED- oder Micro-LED-Panels ein stereoskopisches Bild, das wie ein 100- bis 175-Zoll-Bildschirm wirkt, der einige Meter entfernt steht. Technisch bieten viele Modelle eine Full-HD-Auflösung für jedes Auge, ein Sichtfeld (FoV) von 45 bis 57 Grad sowie Bildwiederholraten zwischen 60 und 120 Hertz.

Für die Bildführung kommen sogenannte Birdbath-Optiken zum Einsatz, die wie folgt funktionieren: Die Displays sind im Rahmen oberhalb der Gläser angebracht und zeigen nach unten. Ein halbdurchlässiger Spiegel lenkt das Licht der Displays über mehrere Reflexionen ins Auge. Durch die Brillengläser sieht man die reale Umgebung weiterhin, in der nun eine sehr helle, aber minimal transparente virtuelle Leinwand zu schweben scheint.

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RayNeo Air 2 Birdbath
Birdbath Optics lenken das Licht der Displays per Spiegelung in das Auge des Nutzers. (Bild:

Josef Erl

)

Damit diese gut sichtbar bleibt, dunkeln die Gläser die Umgebungshelligkeit stark ab. Der Vorteil ist eine relativ hohe Helligkeit der virtuellen Leinwand. Nachteile sind jedoch sichtbare Reflexionen im Bild, da dieses nicht komplett von der Außenwelt abgeschottet werden kann, ein enges Sichtfeld und eine wenig transparente Optik – ähnlich wie bei einer starken Sonnenbrille in einem schlecht beleuchteten Raum. Neue Geräte wie die Xreal One Pro verfügen über eine elektrochromatische Dimmung in den Gläsern, die den Lichteinfall auf Knopfdruck oder automatisch reguliert. Frühere Generationen hatten noch ansteckbare Aufsätze, um die Gläser komplett abzudunkeln.

Display-Brillen können keine Bilder selbstständig generieren, sondern benötigen immer ein Zuspielgerät. Die Verbindung erfolgt in der Regel kabelgebunden per USB-C mit Smartphones, Laptops, Handhelds oder speziellen Zuspielgeräten der Hersteller. In der Brille wird also nur ein Videofeed des angeschlossenen Geräts angezeigt, über das auch die Bedienung erfolgt. Auch das Betriebssystem und die hauseigenen Apps der Hersteller gelangen über externe Geräte in die Brille. Über Tasten am Brillengehäuse lassen sich lediglich Geräteeinstellungen wie Helligkeitsabstufungen, Lautstärke oder Bildrate regeln.

Marktüberblick: Xreal, Viture & Co.

Zu den bekanntesten Herstellern gehört Xreal (ehemals Nreal), dessen Modelle auf Medienkonsum und Gaming ausgelegt sind. Die aktuellsten Geräte, Xreal One und One Pro, nutzen Sony-MicroOLED-Panels mit 1920 × 1080 Pixeln pro Auge. In der Pro-Version kommt eine angepasste Birdbath-Optik namens „Flat-Prism-Optik“ zum Einsatz, die etwas kompakter ausfällt und ein größeres Sichtfeld ermöglicht. Mithilfe der optionalen Kamera „Xreal Eye“ erkennen die Brillen räumliche Tiefe, um die virtuelle Leinwand im Raum zu verankern.

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Viture Luma Smart Glasses
Die Viture Luma-Reihe besteht aus drei Modellen. Dazu kommt noch die Premium-Version „The Beast“. (Bild:

Viture

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Mit der Viture One positionierte sich Viture zunächst als Gaming-fokussierte Alternative – inklusive Kompatibilität mit Cloud-Diensten wie GeForce Now oder PlayStation Remote Play. Die neue Produktreihe „Luma“ umfasst allerdings gleich vier Modelle mit unterschiedlichen Zielgruppen. Die Ultra-Variante ermöglicht ebenfalls einfache räumliche Interaktionen innerhalb einer geschlossenen Software. Weitere Hersteller wie TCL, Rokid, Lenovo (Glasses T1) oder RayNeo bieten ähnliche Spezifikationen, unterscheiden sich aber in Design, Gewicht oder Softwareintegration.

Grenzen: Keine echten AR-Funktionen

In den meisten Display-Brillen fehlt derzeit noch eine eigenständige Sensorik zur Umgebungsanalyse. Tracking wird erst durch optionales Zubehör möglich. Diese meist puck- oder smartphoneförmigen Geräte werden zwischen Abspielgerät und Brille gesteckt. Die darin verbaute Rechenleistung ermöglicht softwarebasiertes 3DoF-Tracking, wodurch Drehbewegungen des Kopfes möglich werden, ohne dass das virtuelle Bild diesem permanent folgt.

Geräte der neuesten Generation berechnen diese Bewegungsfreiheit auch ohne Zusatzgerät per Chip im Gehäuse und erhalten zusätzliche Informationen über eine verbaute Kamera (z. B. Vulture Luma Pro) oder eine optional ansteckbare Kamera (z. B. Xreal Eye). Damit steigt die Bewegungsfreiheit auf 6DoF. In der Praxis bedeutet das, dass das angezeigte Fenster fest im Raum verankert werden kann. Bewegungen des Kopfes, egal ob seitlich, hoch und runter oder vor und zurück, verändern die Position des Bildes nicht. Künftig könnte auch rudimentäres Handtracking mit diesen Geräten möglich sein.

Eine schwarze Brille mit Kameralinse zwischen den Gläsern.

Mit dem Ansteckkameramodul Xreal Eye kann die Display-Brille Xreal One Umgebungsinformationen aufnehmen.

(Bild: Xreal)

Trotz der von Herstellern aus Marketinggründen gerne benutzten Bezeichnung „AR-Brille“ fehlt Display-Brillen die zentrale Technologie für echte Augmented Reality, wie SLAM (Simultaneous Localization and Mapping), räumliche Sensorik oder Spatial Anchors. Ohne diese Komponenten lassen sich digitale Inhalte nicht stabil in der realen Umgebung verankern.

Auch die Erkennung von Oberflächen oder Objekten ist nicht möglich. Das projizierte Bild bleibt – mit den oben genannten Ausnahmen – stets vor dem Blickfeld, unabhängig von der Kopfbewegung. Dadurch ist eine Interaktion mit realen Objekten oder eine präzise Platzierung digitaler Inhalte auf Tischen, Wänden oder Böden ausgeschlossen.

Klare Abgrenzung zu Smart Glasses

Auch aktuelle Smart Glasses wie Metas Ray-Bans oder die Even Realities Even G1 sind nicht mit Display-Brillen zu verwechseln und verfolgen ein anderes Ziel: Sie setzen auf Alltagstauglichkeit, Sprachsteuerung, Mikrofone, Lautsprecher und Kameras für Fotos und Videos. Auch wenn sie, wie die Even G1, über Display-Anzeigen verfügen, sind diese auf einfache Informationen wie Textzeilen oder Symbole beschränkt.

Nahaufnahme einer blonden Frau mit schwarzer Ray-Ban Meta-Brille.

(Bild: Ray-Ban | Metat)

Display-Brillen verzichten dagegen in der Regel auf Assistenzfunktionen und konzentrieren sich ausschließlich auf das visuelle Erlebnis, das in hoher Qualität und mit größerem Sichtfeld geboten wird. Während Smart Glasses als digitale Begleiter im Alltag fungieren, sind Display-Brillen portable Monitore für den Medienkonsum. Eine Kombination aus beidem ist derzeit nicht möglich, da die für Display-Brillen nötige Technologie eine ähnlich schlanke Bauweise wie bei den Meta Ray-Ban Smart Glasses verhindert und immer ein kabelgebundenes Zuspielgerät benötigt wird.

Für wen sich Display-Brillen lohnen

Trotz des Fehlens von AR- und KI-Funktionen haben Display-Brillen natürlich ihre Berechtigung. Besonders unterwegs bieten sie Vorteile: Im Flugzeug oder in der Bahn können Nutzer beispielsweise Filme oder Serien auf einer virtuellen Großleinwand genießen, ohne auf mobile Displays angewiesen zu sein. Wer mit sensiblen Daten arbeitet, kann den Laptop-Bildschirm direkt in die Brille streamen, ohne dass andere Einblick haben.

Eine Frau mit Brille sitzt vor einer großen virtuellen Leinwand.

Der Medienkonsum auf einer großen virtuellen Leinwand ist der Haupteinsatzzweck von Display-Brillen.

(Bild: Xreal)

Auch für das mobile Gaming mit der Nintendo Switch, dem Steam Deck oder dem ROG Ally sind Display-Brillen interessant. Eine Ausnahme bildet die Nintendo Switch 2, die ihr USB-C-Signal gegen Dritthersteller-Zubehör abschirmt. Hier können Display-Brillen nur mithilfe von Adapterlösungen oder Zwischengeräten angeschlossen werden.

Wer sich mit einer Display-Brille eine platzsparende Alternative zu einem großen Fernseher anschaffen will, sei allerdings gewarnt: Für stundenlange Gaming-Sessions oder Bingewatching aktueller Netflix-Serien sind sie nur bedingt geeignet. Zum einen laufen die Brillen nur so lange, wie es der Akku des angeschlossenen Smartphones oder Handhelds zulässt. Eine eigene Energieversorgung haben sie nicht. Für die Verwendung mit Xbox, Playstation und Co müssen teure Zusatzgeräte angeschafft werden, die neben dem Bildsignal auch den Strom für die Brille liefern. Zum anderen können durch die permanente Einblendung des hellen Bildes die Augen rasch ermüden, was den Sehgenuss auf Dauer trüben kann.

Fazit: Medienbrillen mit klarer Grenze

Display-Brillen sind spezialisierte Geräte für die Mediennutzung. Sie sind technisch ausgereift, aber konzeptionell klar begrenzt. Sie bieten ein neues Maß an Mobilität für Filme, Spiele oder die Arbeit am Laptop, haben mit echter Augmented Reality jedoch wenig zu tun. Wer auf digitale Objekte in der physischen Welt hofft, muss entweder auf Geräte wie die Snap Specs oder die Meta Orion warten oder zu aufwendigeren AR-Brillen wie der Magic Leap One oder der HoloLens greifen. Display-Brillen bleiben aber eine praktische, klar abgegrenzte Geräteklasse, die ihre Nische zwischen klobigen Mixed-Reality-Headsets und kompakten Smart Glasses gefunden hat.

Josef Erl

Josef Erl ist freier Online-Journalist mit Schwerpunkt auf Virtual Reality, Augmented Reality, XR-Technologien und Gaming. Seit Juni 2025 schreibt er regelmäßig für heise online über die neuesten Entwicklungen in immersiven Technologien.

(joe)

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