Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben die syrische Hauptstadt Damaskus angegriffen. Ziel sei der Eingang des „militärischen Hauptquartiers“ gewesen. Zur Begründung verwies das Militär auf „die Aktionen“ des syrischen Regimes gegen drusische Zivilisten im Süden Syriens. Laut der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für
Menschenrechte wurde das hoch gesicherte Generalstabsgebäude in Damaskus
zweimal aus der Luft angegriffen. Syrische Sicherheitskräfte bestätigten dies gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Offiziere hätten sich im Keller des Gebäudes in Sicherheit gebracht. Nach Angaben des syrischen Staatsfernsehens wurden zwei Personen durch die Angriffe auf das Zentrum der Hauptstadt verletzt. 

Bei einem späteren Angriff schlug Berichten von Augenzeugen zufolge ein Geschoss in der Nähe des syrischen Präsidentenpalastes in Damaskus ein.

In den vergangenen Tagen war es im Süden Syriens zu schweren Kämpfen zwischen sunnitischen Beduinen und Drusen gekommen. Insgesamt sollen nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle seit Sonntag mehr als 250 Menschen getötet worden sein. Syrische Regierungstruppen sollen sich dabei teils aktiv auf die Seite der Sunniten gestellt haben. Einige sollen von Regierungssoldaten exekutiert worden sein. Die Opferzahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Als Reaktion hatte Israel bereits am Dienstag Ziele in der Region angegriffenIsrael hatte dabei auch syrische Panzer beschossen, um ein Vorrücken der syrischen Streitkräfte auf die Provinz zu verhindern. Verteidigungsminister Israel Katz drohte der Führung in Damaskus damit, die Angriffe zu verstärken, sollte die Regierung ihre Truppen nicht aus dem Süden abziehen.

Was ist die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte?

Auch nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad ist der Zugang zu verlässlichen Informationen über Entwicklungen in Syrien weiterhin schwierig. Dies gilt insbesondere für Kampfgeschehen. Anhänger des gestürzten Diktators, die neue Übergangsregierung unter der Führung islamistischer Milizionäre oder kurdische Einheiten im Norden des Landes sind nur drei der vielen Fraktionen im Land, die jeweils eigene Interessen verfolgen und ihre Sichtweise verbreiten. 

Viele westliche Medien berufen sich daher weiterhin auf die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR). Die Organisation wurde 2006 von dem Exilsyrer Rami Abdelrahman (bekannt auch unter seinem bürgerlichen Namen Osama Suleiman) in Großbritannien gegründet. Nach Beginn des Bürgerkriegs war ihr Ziel, die Zahlen von Verletzten und Getöteten möglichst genau zu erfassen sowie Informationen über Menschenrechtsverletzungen zu sammeln.

Quelle für die von der Beobachtungsstelle gesammelten Informationen waren und sind nach wie vor Aktivisten vor Ort – nach eigenen Angaben sollen es Hunderte sein. Die Informationen der Aktivisten werden von Abdelrahman sowie von seinen Kontaktleuten in Syrien gesammelt, im Anschluss so gut wie möglich überprüft und schließlich veröffentlicht.

Abdelrahman gilt als umstrittene Figur, von verschiedenen Seiten wurde ihm in der Vergangenheit die Verbreitung von Fehlinformationen vorgeworfen. Internationale Menschenrechtsorganisationen halten die von der Beobachtungsstelle zur Verfügung gestellten Informationen jedoch für überwiegend verlässlich. 2020 erhielt Abdelrahman für seine „herausragende Leistung, Menschenrechtsverletzungen in Syrien akribisch zu dokumentieren“, den Sonderpreis beim jährlich verliehenen Stern-Preis (ehemals Nannen Preis).

Am Montagabend hatten die religiösen Autoritäten der Drusen in Suweida in einer gemeinsamen Erklärung zu einer Waffenruhe aufgerufen und bekräftigt, dass sie keine Gegner der syrischen Übergangsregierung seien. Drusensprecher Fachr warf den Beduinen vor, an der Seite der syrischen Streitkräfte Angriffe auf drusische Siedlungen zu verüben. Die Kämpfe in Suweida dauern weiter an.

© Lea Dohle

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Örtliche Medien berichteten von schwerem Artillerie und Granatenbeschuss in Suweida. Das syrische Verteidigungsministerium forderte die Einwohner der Stadt auf, in ihren Häusern zu bleiben. Die Verantwortlichen für die Ausschreitungen würden zur Rechenschaft gezogen; die Regierung sei entschlossen, die Rechte der Menschen in Suweida zu schützen.

Am Dienstag hatte ein Reporter von Reuters berichtet, er habe gesehen, wie Regierungstruppen in Suweida Häuser plünderten und in Brand setzten sowie Autos und Möbel stahlen.

Israelische Drusen verlassen besetzte Golanhöhen in Richtung Syrien

Wie das israelische Militär mitteilte, würden die Streitkräfte
im Gebiet der syrischen Grenze verstärkt. Zugleich haben sich hunderte drusische Staatsbürger Israels an der Nordgrenze der israelisch kontrollierten Golanhöhen versammelt. Einige hätten das Gebiet in Richtung Syriens verlassen, um andere Drusen nach dem Gewaltausbruch im Nachbarland zu unterstützen, hieß es. Der Grenzübertritt gelang demnach in der Gegend der Stadt Madschdal Schams. Die israelische Armee versuche derzeit, die Personen
zurückzubringen. Es handle sich bei dem Grenzübertritt um eine Straftat, die die Soldaten sowie die Öffentlichkeit gefährde. Bereits am Dienstag hatten Dutzende Drusen aus Israel die Grenze zu Syrien überquert. Das israelische Militär brachte sie Berichten zufolge zurück. 

Die Gemeinde der religiösen Minderheit in Israel hatte zuvor in einer offiziellen Erklärung alle Drusen dazu aufgerufen, sich auf einen Grenzübertritt vorbereiten, um ihren „ermordeten Brüdern in Syrien zu helfen“. Die Drusen in Israel machen Druck auf die dortige Führung, in den Konflikt im Nachbarland einzugreifen.

Drusen aus Syrien suchen Schutz in israelisch besetzten Golanhöhen

Zugleich teilte die israelische Armee mit, dass „Dutzende Verdächtige“ versucht hätten, aus der Umgebung von Hader in Syrien auf israelisch kontrolliertes Gebiet zu gelangen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, handelt es sich dabei wohl um syrische Drusen, die in den Golanhöhen Schutz suchen wollten. Hader liegt nur wenige Kilometer Luftlinie von Madschdal Schams entfernt. 

Die Golanhöhen sind von Israel völkerrechtswidrig
annektiert – sie gehören zu Syrien. Nach dem Sturz des Assad-Regimes
nahm das israelische Militär zudem die Kontrolle über eine 1974
eingerichtete Pufferzone in dem Gebiet ein. Daneben hat es wiederholt
Luftangriffe auf das Land durchgeführt, mit dem sich Israel seit 1948
offiziell im Kriegszustand befindet. 

In Syrien lebten vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg etwa 700.000 Drusen, die meisten von ihnen in der Provinz Suweida. Die im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangene religiöse Minderheit macht etwa drei Prozent der syrischen Bevölkerung aus. Ein Teil der drusischen Gemeinschaft in Suweida fordert Autonomie,
andere Vertreter sind offen für eine Integration in die neue syrische
Armee. Viele Drusen dienen jedoch auch in Israel freiwillig in der
Armee. Zwischen Beduinen und Drusen in Suweida wiederum gibt es schon
seit Langem Auseinandersetzungen, die immer wieder in Gewalt münden. Israel versteht sich als Schutzmacht der Drusen.

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