Wie kamen Sie zur Gruppentherapie?
Stefan Hofele: Im Grunde von Beginn an: Während meiner Zeit in der Klinik gehörten Gruppensitzungen zum Tagesgeschäft. Ich persönlich hatte sehr großes Glück bei meiner Supervision und wurde behutsam ans Thema herangeführt. So konnte ich frühzeitig eine Verbindung aufbauen und fühlte mich von Anfang an in Gruppen sehr wohl. Dem ist nicht immer so: Viele werden ins kalte Wasser gestoßen und sind mit der Situation überfordert. Das mag auch ein Grund sein, weshalb manche Kolleginnen und Kollegen eher mit gemischten Gefühlen auf ihre Zeit in Gruppen zurückblicken.
Was macht die Gruppen- im Vergleich zur Einzeltherapie aus?
Stefan Hofele: Im Gegensatz zur klassischen Einzeltherapie spiegelt die Arbeit in der Gruppe sehr viel mehr das echte Leben wider: Hier begegnen sich unterschiedliche Charaktere mit sehr unterschiedlichen Biografien – ein Abbild der Gesellschaft, wenn man so will. Das hat viele Vorteile und macht die Situation weniger künstlich als in der Sitzung zu zweit, wo es mehr auf Einschätzung und Rückmeldung des Therapeuten ankommt. Demgegenüber bietet die Zusammenarbeit mit mehreren Raum für verschiedene Stimmen und Perspektiven, die über die reine Expertenmeinung hinausgehen.
Die Gruppe ist wie ein Mikrokosmos: Menschen erzählen von sich und ihren Problemen, hören einander zu und erkennen sich in den Geschichten des anderen wieder. Denn so sehr sich die Teilnehmer individuell auch unterscheiden, in ihren Grundkonflikten kommen sie wieder zusammen – egal, ob es um Ausgrenzung, Alleinsein oder mangelnde Wertschätzung geht. Über diese Verbindung finden die Patientinnen und Patienten zu sich selbst zurück.
Welche Rolle spielt die Gruppe im Heilungsprozess?
Stefan Hofele: Eine sehr große – besonders in geschlossenen Gruppen, mit denen ich arbeite. Maßgeblich ist die Gruppendynamik, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleich mehrere Rollen einnehmen: Mal sind sie Zuhörer, mal Ratgeber und Vorbild, mal konfrontieren sie einander. All das trägt dazu bei, sich selbst zu hinterfragen und so den eigenen Mustern auf die Spur zu kommen. Bestandteil eines eingespielten Teams zu sein, schafft zudem soziale Verbindlichkeit und kann motivieren, weiter am Ball zu bleiben. Je enger eine Gruppe zusammenwächst, desto besser. Das Zusammenspiel gibt dann ein unverstelltes Bild darüber, welche Probleme wir in den Blick nehmen müssen.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Therapeut im Gruppensetting?
Stefan Hofele: Das hängt natürlich stark von der Gruppe selbst und dem Stadium der Therapie ab. Anfangs sind die Patientinnen und Patienten meist noch sehr zurückhaltend und bringen sich eher selten ein. In dieser Phase ist der Therapeut gefordert und muss die Themen gezielt anmoderieren. Mit fortschreitender Zeit ändert sich das: Je besser sich eine Gruppe gegenseitig kennt und aufeinander eingespielt ist, desto größer werden Austausch und Feedback untereinander. Es entsteht ein kotherapeutisches System: Die Gruppenteilnehmer gehen direkt aufeinander zu, geben sich Tipps und berichten von eigenen Erfahrungen und Lösungsstrategien. Ab dann nimmt sich der Therapeut mehr und mehr zurück und wechselt in die Metaperspektive.
Welche Themen eignen sich für die Arbeit in der Gruppe?
Stefan Hofele: Im Grunde kann jedes Thema in der Gruppe behandelt werden. Einzige Ausnahme wären Traumapatienten, bei denen andere Herangehensweisen erforderlich sind. Wichtig ist, dass die Gruppe nicht zu groß ist: Nach meiner Erfahrung sind sechs bis sieben Teilnehmerinnen und Teilnehmer ideal – groß genug, um die gewünschte Dynamik zu erzielen, und gleichzeitig klein genug, um Raum für ausreichend Intimität zu geben.
Welches Feedback erhalten Sie?
Stefan Hofele: Ich bekomme sehr viele positive Rückmeldungen. Am schönsten ist es für mich, wenn jemand wieder mit sich selbst in Kontakt kommt. Das sind immer ganz besondere Momente – für die Gruppe, die daraus neue Stärke bezieht. Aber auch für mich als Therapeut.
Warum gibt es Vorbehalte?
Stefan Hofele: Viele sehen die Gruppentherapie als Massenabfertigung und befürchten, mit ihren eigenen Problemen zu kurz zu kommen. Dass die Arbeit im Gruppensetting viele Vorteile hat, wird dabei übersehen. Hier müssen wir ansetzen und breiter aufklären, um mit diesen Vorbehalten aufzuräumen. Denn mit der gruppentherapeutischen Grundversorgung haben wir ein effektives und sehr niedrigschwelliges Angebot, das vielen Menschen helfen kann: In bis zu vier Sitzungen bieten wir erste Orientierung in der Not und klären über weitere Therapieoptionen auf – und das ohne spezielle Genehmigung oder Bindung ans Richtlinienverfahren. Manchmal geht die Grundversorgung nahtlos in Regelsitzungen über. Wie bei der Gruppentherapie allgemein ist das Angebot hier aber noch spärlich. Das müssen wir ändern, denn fest steht auch: Der Bedarf in der Bevölkerung wird nicht weniger werden.