Viel mehr als dass auch russische Mitarbeiter nach Lingen kommen sollen, ist von ANF, Framatome und Rosatom nicht zu erfahren. Alle drei Unternehmen lehnten eine Stellungnahme zu den Plänen ab.
Wie die Alex Vent so warnt auch ein Gutachten im Auftrag der Bundesregierung in Zeiten von Spionage und Sabotage vor sicherheitsrelevanten Risiken. Während Frankreich die Kooperation Framatomes und Rosatoms in Lingen duldet, hat die Bundesregierung noch nicht entschieden, ob sie genehmigt wird. Die EU hat den Handel mit Brennelementen im Gegensatz zu anderen Gütern bislang nicht sanktioniert.
Geopolitische Strategie statt Marktlogik
Der Fall Lingen steht exemplarisch für ein größeres Muster: Während der Westen Atomkraft als Wirtschaftsthema begreift – geprägt von Wettbewerbsregeln, Kostendruck und Effizienz – behandelt Russland sie als geopolitisches Instrument.
Rosatom untersteht direkt der Präsidialverwaltung in Moskau, erhält Milliarden aus dem Staatshaushalt und ist sowohl für zivile als auch militärische Nuklearprojekte zuständig. Der Ukrainer Kostyantyn Batozsky hat von 2005 bis zur russischen Krim-Annexion 2014 im Rosatom-Management gearbeitet. Er nennt Rosatom „einen Staat im Staat“ – mit dem Ziel, andere Länder durch Atomgeschäfte langfristig an Russland zu binden. „Sie tun nur so, als ginge es ums Geschäft“, sagt Batozsky. „In Wahrheit sehen sie Atomkraftwerke als Festungen, von denen aus sie ihren Einfluss ausweiten können.“
Rolle Russlands beim Uranabbau
Wie groß die Abhängigkeit vom russischen Staatskonzern ist, zeigen neben den Brennelementen vor allem drei weitere Punkte. Einer betrifft den Rohstoff Uran.
Die größten Uranreserven der Welt liegen mit 28 Prozent in Australien. Russland hingegen verfügt nur über acht Prozent der Uranvorkommen. „Trotzdem wollen sie das Monopol, und wenn nicht das Monopol, wollen sie zumindest Hauptlieferant auf dem Weltmarkt sein – für Roh-Uran und angereichertes Uran“, so Batozsky. Um dieses Ziel zu erreichen, kauft Rosatoms Tochterfirma Uraniumone Anteile an Uranminen weltweit. Wichtigstes Land dabei: Kasachstan. 2023 lieferte der Staat rund 43 Prozent des global gehandelten Urans, weil der Abbau hier einfacher und günstiger als etwa in Australien ist. Durch Beteiligungen in Kasachstan ist Uraniumone mittlerweile weltweit der zweitgrößte Lieferant von Rohuran.
Ein weiterer Knackpunkt: Der Transport. Selbst das Uran aus den kasachischen Minen mit westlicher Beteiligung wird oft über Russland nach Europa transportiert – etwa über St. Petersburg. Experten befürchten, dass Russland den Transport stoppen könnte, wenn dies in seinem Interesse liegt.