Was für eine Machtdemonstration: Tadej Pogacar hat sich bei der ersten Bergankunft der Tour de France mit einem fast zwölf Kilometer langen Solo das Gelbe Trikot zurückgeholt. Jonas Vingegaard erreichte als Zweiter das Ziel mit einem Rückstand von 2:10 Minuten. Florian Lipowitz wurde nur wenige Sekunden dahinter Dritter.
Beim 13,5 Kilometer langen Schlussanstieg mit im Schnitt 7,8 Prozent Steigung zur Skistation Hautacam war Vingegaard überraschend früh von seinen Helfern isoliert. Bereits 11,9 Kilometer vor dem Ziel zog Jhonatan Narvaez für seinen Kapitän Pogacar das Tempo an. 100 Meter später folgte die Attacke von Pogacar. Vingegaard konnte der explosiven Beschleunigung des Slowenen nicht folgen. Zunächst versuchte der Däne in Sichtweite des Titelverteidigers zu bleiben. Aber Pogacar baute seinen Vorsprung immer weiter aus. Drei Kilometer vor dem Ziel waren es bereits 90 Sekunden. Pogacar fuhr in einer eigenen Liga, für den bei dieser Tour bislang so offensiv fahrenden Dänen war es ein herber Rückschlag.
Hinter den beiden Tour-Siegern der letzten fünf Jahre lieferte Florian Lipowitz ein ganz starkes Rennen ab. Zusammen mit Primoz Roglic, Oscar Onley und Tobias Johannessen befand sich der Deutsche Newcomer im Bora-Trikot hinter Vingegaard. Im letzten Drittel des Anstiegs setzt er sich von den Verfolgern ab und machte immer mehr Boden auf Vingegaard gut. „Heute war der Plan, dass Primoz und ich offene Karten haben. Jeder durfte am letzten Anstieg was probieren“, sagte Lipowitz im Interview mit der Sportschau. „Ich habe meine Chance genutzt und attackiert. Dann hieß es nur noch bis zum Ziel Vollgas.“
Florian Lipowitz nach der zwölften Etappe der Tour de France
In der Gesamtwertung rückt Lipowitz auf den vierten Platz vor. Der Deutsche liegt 1:14 Minuten hinter Remco Evenepoel auf Platz drei. Pogacars Vorsprung auf Vingegaard, der jetzt Zweiter ist, ist mit 3:31 Minuten beträchtlich.
Pogacar nach Sturz zuversichtlich
Der erste von drei Tagen in den Pyrenäen führte über 180 Kilometer und 3850 Höhenmeter von Auch nach Hautacam. Der Schlussanstieg zur Skistation auf 1520 Metern Höhe war der erste Berg der höchsten Kategorie bei dieser Tour.
Die Frage vor dem Start war, wie Pogacar seinen Sturz am Vortag überstanden hat. Mit Verbänden vor allem am linken Arm und an der Hüfte ging der Titelverteidiger in die Etappe. Der 26-Jährige gab sich zuversichtlich: „Wir werden sehen, wie meine Beine sich anfühlen. Ich glaube, sie sind wichtiger als meine Arme.“ Er sollte Recht behalten.
Ineos mit fünf Fahrern in der Ausreißergruppe
Nach Freigabe des Rennens setzte sich eine große Gruppe mit über 50 Fahrern ab. Mit dabei war Carlos Rodriguez, der als Zwölfter im Gesamtklassement (+5:44 Minuten) der am besten Platzierte war. Der Spanier hatte vier Helfer aus dem Ineos-Team an seiner Seite.
In der Spitzengruppe leistete vor allem Ineos die Führungsarbeit. Aber die Ausreißer kamen trotz der Größe der Gruppe nicht richtig weg, nach 120 Kilometern waren es nur etwas mehr als zwei Minuten. Das hatte Gründe: Im Hauptfeld beteiligten sich neben Pogacars UAE-Team auch EF und Uno-X an der Tempoarbeit. Mit Johannessen (10. Platz vor der Etappe) und Ben Healy im Gelben Trikot ging es für beide Teams auch ums Gesamtklassement.
Van der Poel punktet beim Zwischensprint
85 Kilometer vor dem Ziel zeigte sich erstmals auch Mathieu van der Poel. Der Niederländer war auch vorne mit dabei und hielt beim Zwischensprint mit rein. Der Lohn waren 17 Punkte. Nur Laurenz Rex, Teamkollege von Biniam Girmay, war schneller. Van der Poel rückt damit näher an Jonathan Milan im Grünen Trikot des Sprintbesten ran.
Vor dem Schlussanstieg ging es auch über den ersten Berg der 1. Kategorie bei dieser Tour. 11,8 Kilometer lang war der Anstieg zum Col du Soulor. Ineos schlug in der Spitzengruppe ein hohes Tempo an, immer mehr Fahrer mussten abreißen lassen.
Evenepoel hat früh Probleme
Überraschendes tat sich im Hauptfeld gut 50 Kilometer vor dem Ziel. Remco Evenepoel hatte Probleme in der immer kleiner werdenden Favoritengruppe und musste abreißen lassen. Kurz später konnte auch Healy nicht mehr mithalten, das war aber zu erwarten.
An der Bergwertung am Col du Soulor hatten sich die Reihen in der Spitzengruppe und im Hauptfeld gelichtet. Michael Woods erreichte als Erster die Bergwertung und holte zehn Punkte. Nur noch vier Ausreißer folgten wenige Sekunden dahinter. Mit zwei Minuten Abstand passierte die nur noch 15 Fahrer große Gruppe mit den Favoriten die Bergwertung.
Armirail wird als letzter Ausreißer gestellt
Dazwischen befand sich noch Rodriguez, der aber kurze Zeit später auch gestellt wurde. Ein sicherlich enttäuschender Tag für den Ineos-Profi und seine Helfer, die viel Energie in der Ausreißergruppe investiert hatten. Vor dem Schlussanstieg schaffte Evenepoel auf einer längeren Abfahrt wieder den Anschluss an die Spitzengruppe und kam schließlich als Siebter ins Ziel.
In den letzten Anstieg ging dann Bruno Armirail mit gut 100 Sekunden Vorsprung. Er war als einziger der ehemals über 50 Ausreißer übrig geblieben. Die Sekunden waren schnell aufgebraucht, als Pogacar am Franzosen vorbeischoss lagen noch mehr als zehn Kilometer vor dem späteren Etappensieger.
Bergzeitfahren nach Peyragudes am Freitag
Am Freitag werden erneut die Klassementfahrer beim schweren Bergzeitfahren über 10,9 Kilometer von Loudenvielle nach Peyragudes gefordert sein. Satte 650 Höhenmeter und bis zu 16 Prozent Steigung gilt es auf dem Weg zum Höhenflughafen Peyragudes zu überwinden. Die steile Start- und Landebahn in den Pyrenäen war schon oft Ziel von Tour-Etappen. Beim Kampf gegen die Uhr sind große Zeitabstände möglich.