Er schockte mit seiner Dreistigkeit selbst erfahrene Ermittler: Ein heute 60-jähriger Mann gab sich als schwerbehinderter Sozialhilfeempfänger im Rollstuhl aus – und kassierte so ordentlich ab. Die Masche des Mannes klingt unglaublich: Er täuschte über Jahre dem Landratsamt eine Hilfsbedürftigkeit vor, die tatsächlich nie bestand. So ließ sich der 60-Jährige Sozialleistungen auszahlen – Monat für Monat rieselte das Geld auf sein Konto.
Zwischen 2018 und 2021 wird ihm zwölffacher Betrug vorgeworfen -fünfmal soll er allein gehandelt haben, bei sieben Vorfällen sollen weitere Personen involviert gewesen sein. Die so erhaltenen Sozialleistungen des Landratsamts Calw belaufen sich laut Gericht auf mehr als 230.000 Euro!
Pflegekräfte hatten Zweifel am Zustand
Laut Anklage hat der Mann aus dem Zollernalbkreis ein ärztliches Attest eingereicht, in dem ihm ein Bewegungsradius von unter fünf Metern bescheinigt wird. Überprüft wurde sein Zustand allerdings nie. Aufgeflogen ist das Ganze erst, „als zwei Pflegekräfte bemerkten, dass etwas faul ist. Sie meldeten sich bei den Behörden“, so der Staatsanwalt. Daraufhin wurde Anklage erhoben.
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Auf die Frage des Staatsanwalts, wie sich der Hauptangeklagte zu Hause oder bei gemeinsamen Treffen fortbewegt hat – berichteten die Mitangeklagten in einem früheren Verhandlungstermin: Er konnte sich überwiegend mithilfe eines Gehstocks frei bewegen.
450 Euro pro Monat für „kleinere Arbeiten“
Doch warum unterschrieb das Ehepaar aus dem Nordschwarzwald Blanko-Stundenzettel, um dem Mann zu helfen? Auf ihre Rolle beim Sozialbetrug angesprochen, antwortete der Ehemann gemäß SWR: „Ich habe mir schon gedacht, dass es nicht okay war – solche Dimensionen haben wir aber nie vermutet.“ Man habe Geld für private Schulden gebraucht und dem Hauptangeklagten vertraut. Beide betonten, dass die Abrechnungen, die sie später bei der Polizei sahen, größtenteils falsch gewesen sein.
Die Abmachung sah ungefähr so aus: Das Ehepaar erledigte kleinere Arbeiten für den heute 60-Jährigen wie etwa das Aufräumen der Wohnung, Handwerksarbeiten und Kinderbetreuung. Dafür bekamen sie jeden Monaten 450 Euro – 400 Euro schickten sie dem Auftraggeber zurück, 50 Euro behielten sie.
Bundesgerichtshof kippt einen Teil des Urteils
Das Landgericht Tübingen hatte den Angeklagten bereits im April 2024 wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und mehrfachen Betrugs zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren sowie zu weiteren zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die beiden Mitangeklagten erhielten jeweils Geldstrafen von 180 Tagessätzen, die Frau in Höhe von 15 Euro, der Ehemann von 40 Euro.
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Doch damit ist das juristische Nachspiel noch nicht vorbei: Der Mann legte Revision ein. Der Bundesgerichtshof kippte zuletzt zum Teil das Urteil und wies die Strafe von drei Jahren an eine andere Tübinger Strafkammer zurück. Genau diese Straftat wird seit dem 15. Juli 2025 erneut verhandelt. Die große Frage, die sich nun stellt: Bleibt das Strafmaß oder kann der „Rollstuhl-Betrüger“ auf Strafmilderung hoffen? Die übrigen Urteilsteile sind indes rechtskräftig.
60-Jähriger sitzt heute wirklich im Rollstuhl
Der Richter sah in der Verhandlung im April 2024 in den Vorgängen auch ein Fehler im System. Dass das Landratsamt die Angaben des Angeklagten zu seinem Gesundheitszustand nie prüfte, hatte zur Folge, dass über mehrere Jahre hinweg niemand herausfand, dass der heute 60-Jährige selbst laufen und eigenständig leben konnte. Die Ausgabe der Sozialleistungen basierte auf reinem Vertrauen.
Seit knapp drei Jahren sitzt der Mann tatsächlich im Rollstuhl. Das ändert aber nach Ansicht des Gerichts nichts an seiner Schuld. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
Blöd nur: Heute ist der 60-Jährige wirklich auf einen Rollstuhl angewiesen. Aufgrund einer Durchblutungsstörung wurde ihm im August 2022 ein Bein abgenommen.
Doch das hilft alles nichts, ins Gefängnis muss der Mann trotzdem. Nur wie lange er einsitzen muss, ist noch nicht entschieden.