Das Gelände des Chemnitzer Kohlekraftwerkes gleicht einem riesigen Abenteuerspielplatz. Riesige Tanks, Raumkapseln gleich, stehen neben großen und kleineren Hallen. Hinter ihnen ragt ein futuristisch geformter Kühlturm in die Höhe.

Überall locken Türen oder Öffnungen damit, die Eintretenden in eine andere Welt zu befördern – die Welt der zeitgenössischen Kunst. So sieht man sich im Inneren des ersten Tanks einer großen Wand aus Farnen und Schlingpflanzen gegenüber. Von der Decke her in rosafarbenes Licht getaucht ein unwirklicher Eindruck.

„Das ist der Green Screen von Hito Steyerl, die sich kritisch mit den Tech-Konzernen auseinandersetzt und der Frage, wie wir Menschen immer mehr von diesen digitalen Tech-Firmen bewacht und bevormundet und gelenkt werden“, erläutert Kuratorin Claudia Tittel die Installation.

„Und sie wollte das umkehren und den Pflanzen, also nichtmenschlichen Akteuren, die Handlungsmacht übergeben.“ Bei Hito Steyerl erzeugen die Pflanzen mit ihren biologischen Signalen digitale Bilder, die in immer wieder neuen Formen und Farben aufflackern.

Klimawandel wird zur Kunst

„Everything is interaction“, also „Alles ist Wechselwirkung“ lautet das diesjährige Motto des Kunstfestivals „Begehungen“. Es geht auf Alexander von Humboldt zurück. Er erkannte schon früh in der Natur ein ausgeklügeltes System sich gegenseitig bedingender Faktoren. Greift der Mensch ein, gerät das Ökosystem schnell ins Kippen – Stichpunkt Klimawandel. Die Arbeiten, die Claudia Tittel gemeinsam mit dem Verein „Begehungen“ ausgewählt hat, kreisen alle mehr oder weniger um diesen Gedanken.

In den letzten Jahren sei das Interesse der Künstler an diesem Thema deutlich gestiegen, erklärte Claudia Tittel im Gespräch mit MDR KULTUR: „Früher hätte man vielleicht gar nicht so viele Arbeiten dazu gefunden, aber die Künstler setzen sich damit auseinander. Und so war dieses stillgelegte Kohlekraftwerk Initialzündung für eine Ausstellung über den Klimawandel. Ein ebenso zeitgenössisches wie kontroverses Thema, meint Tittel.

Poetische Objekte treffen auf brachiale Formen

Entsprechend vielfältig sind die Kunstwerke, die es bei der 22. Ausgabe der „Begehungen“ in den Hallen und auf einem Außengelände zu entdecken gibt. Der japanische Künstler Rikuo Ueda baut zarte Apparaturen und lässt den Wind mit ihnen spielen – und dabei Zeichnungen anfertigen. Wenige Meter neben dieser poetischen Arbeit türmt sich ein Berg aus Asphaltschutt auf.

Es sind die Überreste einer Straße in Chemnitz, die für das Kulturhauptstadtjahr erneuert wurde. Die Konzeptkünstlerin Lara Almarcegui stellt sie aus – und damit die Baubranche und deren ökologischen Fußabdruck zur Disposition. 2013 füllte sie auf der Biennale von Venedig den spanischen Pavillon mit Bauschutt.

In Chemnitz bekam die Künstlerin beim Aufbau Hilfe von einem örtlichen Baggerfahrer. „Der war mit ihrem Modell im Führerhaus und hat immer drauf geguckt – und hier noch was weggenommen und da noch was weggenommen. Sie war dann glücklich – und er war stolz, dass er wirklich dieses Kunstwerk geschaffen hat“, erzählt die Kuratorin.

Verein erobert mit den „Begehungen“ leerstehende Objekte in Sachsen

Seit 22 Jahren sucht sich der Verein „Begehungen“ als Austragungsorte für sein Festival leerstehende Gebäude in und um Chemnitz – mal eine Kaufhalle, mal ein Spaßbad oder eine Schule. Und diesmal eben ein Kraftwerk. Räume, die sich eigentlich nicht für das Ausstellen von Kunst eignen, meint Lars Neuenfeld vom Verein „Begehungen“. Das Kraftwerk habe sie in diesem Jahr vor ganz besondere Herausforderungen gestellt.

„Es gibt ganz viele Dinge, die man eigentlich gar nicht machen kann, und die wir uns aber irgendwie verrückt in den Kopf gesetzt haben.“ Nach einigem Hin und Her hätten sie alles ganz gut in den Griff gekriegt, freut sich Neuenfeld.

Namhafte Künstler von Hito Steyerl bis Olaf Nicolai

Dass selbst international sehr erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler, wie Olaf Nicolai, Gregor Schneider, Hito Steyerl oder Henrike Naumann Gefallen an diesem riesigen Abenteuerspielplatz als Ausstellungsort gefunden haben und ihre Werke nun zwischen Stahltreppen, in Wassertanks oder Betonhallen ausstellen, ist für ihn eine der schönsten Erfahrungen.

Neben zeitgenössischer Kunst warten auf die Besucherinnen und Besucher des Kunstfestivals auch Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen und Workshops.