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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt Vorfälle, die Politiker ein Leben lang verfolgen können. Manchmal liegt es daran, dass ein Entscheider so kapitale inhaltliche Fehler begangen hat, dass er oder sie regelmäßig daran erinnert wird. Manchmal kann es aber auch nur an der Außenwirkung liegen: Armin Laschet lächelte im falschen Moment, Peer Steinbrück ließ sich mit erhobenem Mittelfinger ablichten, Kurt Beck empfahl einem Arbeitslosen, er solle sich waschen und rasieren, um einen Job zu bekommen. All diese Vorfälle blieben an den Politikern haften.
In gewisser Weise hat Nigel Farage in beiden Kategorien etwas vorzuweisen. Der britische Rechtspopulist war vor rund zehn Jahren eine der lautesten Stimmen, die den EU-Ausstieg Großbritanniens gefordert hatten. Der Brexit bleibt bis heute ein historischer Irrtum in der Geschichte des Landes. Diese Meinung hat sich mittlerweile auch bei der Mehrheit der Briten durchgesetzt. Weniger historisch, dafür aber persönlich fatal war wohl nur Farages Teilnahme an der englischen Version des Dschungelcamps vor zwei Jahren.
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Unter allen logischen Gesichtspunkten müsste der 61-Jährige als Politiker also nicht mehr tragbar sein. Doch tatsächlich ist die Realität eine völlig andere: Farage und seine Partei „Reform UK“ geht es so gut wie nie. In den Umfragen liegen die britischen Rechtspopulisten schon seit einiger Zeit auf Rang eins. Und Farage hat nach dem Brexit ein neues, ambitioniertes Ziel formuliert: Er will Keir Starmer als Premierminister Großbritanniens ablösen.
Es ist ein politischer Irrweg, den man gerade in Großbritannien beobachten kann. Allerdings lassen sich ähnliche Entwicklungen auch in anderen Ländern erkennen. Dazu gehört auch Deutschland.
Über den Brexit spricht Farage heute immer seltener. Stattdessen widmet er sich mit Elan anderen Themen wie der Migrationspolitik: Wie die AfD poltert auch Farage bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen Ausländer und wünscht sich, dass Großbritannien die Einwanderung auf null begrenzt. Dabei hat das Land ähnlich wie in Deutschland in vielen Bereichen mit Fachkräftemangel zu kämpfen und könnte Arbeitskräfte aus dem Ausland gut gebrauchen.
Farages neuerlicher Aufstieg ist ein Lehrstück dafür, wie sich Parteien der Mitte verhalten müssen, um es Rechtspopulisten möglichst einfach zu machen. Farage agiert, die konservativen Tories und die regierende sozialdemokratische Labour-Partei reagieren, und wirken dabei wie eine schlechte Farage-Kopie. Glaubt man den Umfragen, würden die Briten aktuell aber lieber das Original wählen.
Dass Farage einfache Antworten in drastischer Sprache fordert, dürfte niemanden überraschen. Ungewöhnlicher ist dagegen, wie sich der britische Regierungschef Starmer zuletzt äußerte. Er stehe zwar dazu, dass Großbritannien eine diverse Nation sei, aber gerade deshalb sei es wichtig, dass jeder sich an gewisse Regeln halte. Denn ansonsten riskiere Großbritannien eine „Insel der Fremden“ zu werden. Es ist eine Formulierung, die so ähnlich wohl auch jeder beliebige Rechtsaußenpolitiker benutzen könnte.
Keir Starmer: Muss der britische Premier um seine Wiederwahl fürchten? (Quelle: Leon Neal/reuters)
Ähnlich fahrlässig verhalten sich auch die Tories. Die Partei, die nach 14 Jahren an der Regierungsspitze im vergangenen Jahr von der Labour-Partei abgelöst wurde, hat sich seit dem Brexit immer mehr von einer konservativen zu einer neurechten Kraft entwickelt. Parteichefin Kemi Badenoch ist eine begeisterte Kämpferin gegen die Rechte von trans Menschen und pflegt ebenfalls einen scharfen Ton gegen Einwanderer. „Nicht alle Kulturen sind gleich wertvoll“, sagte Badenoch einmal – und wollte damit klarstellen, wer in Großbritannien leben solle. Die Politikerin selbst hat Wurzeln in Nigeria.
Erfolg hatten die Konservativen mit ihrem scharfen Rechtskurs bislang nicht. Nach ihrer Abwahl sind die Tories mittlerweile auf Rang drei abgerutscht und könnten von Reform UK vollständig zerrieben werden. Es ist ein Phänomen, das man bereits aus Frankreich oder Italien kennt, wo einst konservative Parteien einen ähnlichen Weg einschlugen, bis sie irgendwann kaum mehr eine Rolle spielten.
Auch Farage hat diese Entwicklung fest im Blick. Sein Vorbild ist die rechtspopulistische „Reform Party“ aus Kanada, die sich in den Neunzigern die konservative Partei einverleibt hatte. Von ihnen hat sich der 61-Jährige sogar seinen Parteinamen geliehen.
Viel besser sieht es für Labour auch nicht aus. Die Partei von Regierungschef Keir Starmer konnte im vergangenen Jahr einen klaren Sieg bei der Parlamentswahl einfahren, Starmer regiert mit einer komfortablen Mehrheit, den Wählern muss er sich regulär erst in vier Jahren stellen. Doch sein Rechtsdrall könnte sich dennoch rächen: Seine jüngsten Äußerungen über eine „Insel der Fremden“ brachten auch seine eigenen Leute in Aufruhr. Spekuliert wird darüber, dass sich am linken Flügel von Labour ebenfalls eine neue Partei gründen könnte.
An der Stelle ist Deutschland schon zwei Schritte weiter als Großbritannien. Die Spaltung rechts und links von Union und SPD ist mit AfD und Linkspartei längst vollzogen. Mit dem BSW gibt es eine weitere Partei, die beide Ränder gleichermaßen repräsentieren will.
Auch die AfD kann auf starke Umfragewerte verweisen, hat zuletzt allerdings etwas in der Wählergunst eingebüßt. Doch dabei muss es nicht bleiben.
Denn dass sich auch die Bundesregierung mitunter vom populistischen Furor aus dem AfD-Umfeld anstecken lässt, ist offensichtlich. Ineffektive, aber großspurig angekündigte Grenzkontrollen lösen weder Probleme der Migration noch der inneren Sicherheit. Eine gewöhnliche Richterwahl, die angefacht von rechten Onlineblasen zum Kulturkampf ausartet, zeugt nicht von Führungsqualität der schwarz-roten Regierungs- und Fraktionsspitzen. Solche Themen bereiten den Weg für politische Scharfmacher mit simplen Antworten, für Leute wie Nigel Farage in Großbritannien – oder für Alice Weidel in Deutschland.
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