Es surrt und klappert im Keller der alten Paketposthalle in Neuhausen. Zwischen Oberbürgermeister und Medienvertretern schlängelt ein Fahrer sein Kleinwagen-großes Lastenrad vorbei, tritt in die Pedale und düst nach draußen. Diesen Weg sollen künftig Zigtausende Lieferungen nehmen: Auf 2000 Quadratmetern entsteht in der Tiefgarage der alten Paketposthalle nach Angaben der Stadt Deutschlands größtes Logistikzentrum für Lastenfahrräder.
Am Donnerstag stellte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den „Radlogistik-Hub“ gemeinsam mit Mobilitätsreferent Georg Dunkel vor. Die Idee: Unternehmen laden in den Kellerabteilen ihre Waren für die „letzte Meile“ der Zustellung von Lkw auf Fahrrad um. Das soll Lärm, Stau und Schmutz in der Innenstadt verringern. „Ein Lastenrad kommt schneller voran, findet leichter einen Platz und muss deshalb nicht in der zweiten Reihe parken“, sagt der Oberbürgermeister. Autofreie Lösungen seien in der Stadt der Zukunft unvermeidbar. Laut Wirtschaftsreferat braucht es nicht mehr als 1,5 Lastenräder, um einen Transporter in der Innenstadt zu ersetzen.
Es ist das zweite Lastenrad-Zentrum, das die Stadt München etabliert, 2023 hat am Viehhof das erste eröffnet. Von dort rollen laut Stadt jährlich 260 000 Sendungen aus, das spare fast 8000 Stunden an Standzeiten im öffentlichen Raum. Die Nachfrage nach Plätzen sei hoch, das neue – zehnmal so große – Radzentrum in Neuhausen soll nachlegen.
Erste Firmen kamen im Juni, seit Juli testet der Logistikriese Dachser dort in einem Pilotprojekt, kühlpflichtige Lebensmittel per Rad zuzustellen. Außer Dachser haben die Zusteller GLS und Pacflix eine Parzelle gemietet, und die Stadt verhandelt mit UPS und Amazon. Für die übrigen Plätze wolle man auch gern kleinere Firmen und Handwerksbetriebe gewinnen, heißt es bei der Stadt.
Die Stadt München mietet die Anlage, dazu betreibt sie einen Aufenthaltsraum für Fahrer, einen Ausstellungsraum für neue Radmodelle sowie eine Werkstatt für Reparaturen. Insgesamt fließt Fördergeld von rund einer halben Million Euro in den Logistik-Hub. Das Geld kommt vom EU-Förderprojekt „MetaCcaze“, das grüne Mobilität in europäischen Metropolen subventioniert. „Wir sind der EU sehr dankbar, dass wir nicht den engen Stadthaushalt anfassen müssen“, sagt Mobilitätsreferent Georg Dunkel. Sobald alle Lager untervermietet seien, solle sich das Projekt ohnehin – wie der Vorreiter am Viehhof – selbst tragen.
Der Logistik-Riese Dachser nutzt bereits die Tiefgarage als Drehscheibe. (Foto: Florian Peljak)
Das Vorhaben ist Teil der „Mobilitätsstrategie 2035“, mit der die Stadt motorisierten Verkehr in der Innenstadt verringern möchte. „Das Lastenrad ist keine Nische mehr“, sagt Dunkel und verweist auf die wachsende Rolle der Radlogistik in Deutschland: 8,5 Millionen gefahrene Kilometer, 2200 Tonnen gesparte C0₂-Emissionen.
Wie lange die XXL-Drehscheibe unter der Paketposthalle in Betrieb sein wird, ist ungewiss. Schließlich rumort es um das Gelände, auf dem der Zwischennutzer „Pineapple Park“ ein Sport- und Freizeitzentrum betreibt. Ein Wohn- und Arbeitsquartier soll neben der denkmalgeschützten Halle entstehen. Um ein geplantes Doppelhochhaus tobt ein Streit, ein Bürgerbegehren lehnte der Stadtrat ab, eine Klage dagegen ist laut der Initiative Hochhausstop eingereicht. Unbehelligt davon können die Räder mindestens bis Mitte 2027 rollen: bis dahin gilt der Mietvertrag.