Die US-polnische Historikerin hält am 26. Juli die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen: Im Exklusivinterview erklärt sie der „Presse“ vorab, wie sie Putins Pläne für Europa sieht.
„Zu Putins Vorstellung des Russischen Reichs gehört auch Deutschland“, meint die Historikerin Anne Applebaum. Die antieuropäische Propaganda solle die Russen wohl mental auf einen Konflikt mit Europa vorbereiten. Getty
Sie haben viel über osteuropäische Geschichte während der Sowjetzeit geforscht. Wie kam es dazu?
Wahrscheinlich begann es mit meinem Interesse an Russland. Ich habe Russisch gelernt und einen Sommer an der Universität Leningrad verbracht, 1985, glaube ich. Nach Leningrad zu reisen war für einen Amerikaner damals wie eine Reise durch den Spiegel, wie Alice im Wunderland. Es war eine ganz andere Welt und sehr, sehr schwer zu verstehen. Ich habe Erklärungen dafür gesucht, warum die Menschen sich so verhalten haben, das System so aufgebaut war. Und habe wohl mein weiteres Leben mit diesem Versuch verbracht, es zu erklären.
Wo waren Sie, als die Sowjetunion zusammenbrach?
1989 war ich als sehr junge Journalistin in Polen und habe dort das Ende des Regimes miterlebt. Auch da habe ich mich gefragt: Woher kam das? Wo fing es an? In den 1990ern bin ich dann viel durch die ehemalige Sowjetunion gereist. Warum und wie sich ein Land in eine Diktatur verwandelt, wie man Menschen ihrer Freiheit beraubt, eine Gesellschaft so umstrukturiert, das waren, glaube ich, die großen Fragen, die mich an dieser Region beschäftigt haben. Und immer geht es auch um die Beziehung zwischen der Geschichte und der Zeit, in der wir heute leben.
Von der Geschichte auf die Gegenwart schließen zu wollen kann auch leicht in die Irre führen …
Natürlich muss man sich vor vereinfachten Vorstellungen hüten. Andererseits ändern sich die Menschen nicht so sehr und die menschliche Natur wiederholt sich auf unterschiedliche Weise. Die Geschichte zeigt einem bestimmte Muster auf. Dann kann man darüber nachdenken, inwiefern diese Muster auf die Gegenwart übertragbar sind oder nicht. Zu verstehen, wie Menschen in einer früheren Zeit reagiert haben oder wie sie versucht haben, die Welt zu sehen, kann sehr hilfreich sein, um Dinge zu erklären, die jetzt geschehen. Aber natürlich gibt es keine direkte Eins-zu-eins-Entsprechung, außer in Fällen, in denen dies absichtlich so gewollt ist.
Ein Beispiel dafür ist 2014, als die Russen in die Krim einmarschierten. Ich habe diese Invasion mit Staunen beobachtet, weil sie in vielen, vielen Details genau das war, was die Russen 1944 bei der Invasion Ostpolens getan haben.
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