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Die neue Netflix-Miniserie „Untamed“ lockt mit atemberaubenden Landschaftsaufnahmen und einem klassischen Mordfall. Kann das trotz vorhersehbarer Wendungen überzeugen?
Spoilerwarnung – diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!
Wenn Naturschönheit auf banale Kriminalität trifft
Die sechsteilige Netflix-Miniserie Untamed präsentiert uns Yosemite National Park in all seiner überwältigenden Pracht und Gefahr. Man kann die Serie locker an einem Abend durch bingen und kann anschließend ins Träumeland ziehen, um von den grandiosen Felsformationen des Nationalparks träumen.
Worum geht es in „Untamed“?
Das Spektakel beginnt mit einem spektakulären Auftakt, als zwei Kletterer am berüchtigten El Capitan beinahe den Tod finden. Eine junge Frau stürzt von der Felswand und verfängt sich in ihren Seilen. Was zunächst wie ein Selbstmord aussieht, entpuppt sich schnell als komplexeres Verbrechen mit Verbindungen zu vergangenen Fällen. Die Tote trägt mysteriöse Markierungen, darunter ein goldenes Tattoo und Wunden, die von einem Tierangriff stammen könnten. Die Identifizierung der Jane Doe gestaltet sich schwierig, da ihre Fingerabdrücke nicht in den Datenbanken zu finden sind. Der Fall führt die Ermittler tief in die versteckten Gemeinden des Parks, wo sich Aussteiger, Squatter und zwielichtige Gestalten niedergelassen haben. Diese Parallelwelt existiert abseits der touristischen Pfade und birgt Geheimnisse, die weit über einen einzelnen Mord hinausreichen.
Mord und Totschlag im NationalparkAgent Turner und Rangerin Vasquez (Lily Santiago) hoch zu Ross vor grandioser Kulisse in der Serie „Untamed“ © Netflix
Diese ersten Minuten zeigen das Potenzial der Serie, doch schnell wird klar, dass hier Standard-Krimi-Elemente dominieren. Eric Bana verkörpert Agent Kyle Turner als arroganten Charakter, der gerne mal einen trinkt oder auch gleich mal zwölf. Seine Darstellung eines griesgrämigen Ermittlers mit massivem Alkoholproblem folgt bekannten Mustern aus unzähligen anderen Serien. Turner kämpft mit seinen eigenen Dämonen und einer Vergangenheit, die ihn nun einzuholen droht.
Sam Neill spielt Chief Park Ranger Paul Souter als väterliche Figur, die Turner endlos nachsichtig begegnet. Lily Santiago gibt Rangerin Naya Vasquez, eine alleinerziehende Mutter, die aus Los Angeles nach Yosemite wechselte. Rosemarie DeWitt verkörpert Turners Ex-Frau Jill, die nun mit einem langweiligen Zahnarzt verheiratet ist, der eine nörgelnde Teenager-Tochter mit in die Beziehung brachte.
Ein Park wird zum Charakter
Was „Untamed“ von anderen Krimiserien unterscheidet, ist der geschickte Einsatz der Landschaft als Protagonist. Die Kameramänner Michael McDonough und Brendan Uegama verwandeln Yosemite in mehr als nur eine beeindruckende Kulisse. Die atemberaubenden Sonnenaufgänge und schwindelerregenden Bergpanoramen werden durch das düstere Halbdunkel der tiefen Wälder kontrastiert. Jeder Ton der Natur erzählt seine eigene Geschichte, vom beruhigenden Plätschern eines Baches bis zum majestätischen Rauschen eines Wasserfalls.
Diese akustische Ebene verstärkt die Unberechenbarkeit der Wildnis und macht den 750.000 Hektar großen Park zu einem lebendigen Charakter. Leider bleibt die Musik größtenteils unterrepräsentiert, obwohl einzelne Songs wie „God’s Gonna Cut You Down“ von Johnny Cash emotionale Höhepunkte setzen.
Vorhersehbare Wendungen in grandioser Kulisse
Die Dialoge schwanken zwischen kumpelhafter Brutalität und belanglosen Austauschen, die dem Publikum offensichtliche Untertöne erklären müssen. Das Drehbuch von Mark L. Smith und Elle Smith präsentiert uns eine „Jane Doe“-Mystery, deren Auflösung schon früh vorhersehbar wird. Die Verbindung zwischen dem aktuellen Fall und Turners traumatischer Vergangenheit folgt allzu bekannten Pfaden.
Echte Wildnis statt Green-Screen-Zauber
Die Dreharbeiten zur Miniserie fanden nicht im echten Yosemite National Park statt, sondern in der kanadischen Provinz British Columbia. Die Produktion nutzte Whistler, eine Stadt nördlich von Vancouver, als Drehort. Die North Shore Studios in Vancouver dienten als Produktionsbasis, während verschiedene Naturkulissen die kalifornische Wildnis ersetzten. Mount Seymour musste als Doppelgänger für den berüchtigten El Capitan herhalten, Grace Lake verwandelte sich in den fiktiven Grouse Lake. Chip Kerr Park in Port Moody, der bereits für die Serie Shogun genutzt wurde, bot weitere Außenaufnahmen. Nur Luftaufnahmen des echten Yosemite wurden verwendet.
Gelungene Synchronarbeit rettet nicht alles
Die deutsche Synchronisation von „Interopa Film“ verdient hingegen durchaus Lob. Benjamin Völz verleiht Kyle Turner eine authentische Stimme, die dessen Arroganz und innere Zerrissenheit glaubwürdig transportiert. Josephine Schmidt als Naya Vasquez und Wolfgang Condrus als Paul Souter ergänzen das Ensemble mit überzeugenden Leistungen. Die Dialogregie von Jörg Heybrock sorgt für eine stimmige deutsche Fassung, die der atmosphärischen Dichte der Serie durchaus gerecht wird.
Eric Bana säuft sich durch Yosemite und wir schauen dabei zu
„Untamed“ hätte eine außergewöhnliche Krimiserie werden können, wenn das Drehbuch der visuellen Brillanz ebenbürtig gewesen wäre. Die Serie orientiert sich eher an Joe Pickett als an Yellowstone und bleibt damit nur in mittelmäßigen Gewässern. Sie leidet unter dem Paradox, dass ihre größte Stärke gleichzeitig ihre Schwäche offenlegt. Während Yosemite als Schauplatz fasziniert und überwältigt, wirken die menschlichen Geschichten daneben konstruiert und vorhersehbar.
Eric Bana liefert eine solide Leistung ab, kann aber über die Schwächen des Materials nicht hinwegtäuschen. Die Serie funktioniert am besten als kostenlose Reise nach Yosemite, bei der man die banale Kriminalhandlung in Kauf nehmen muss. Für Zuschauer, die sich für die Geheimnisse und Abgründe von Nationalparks interessieren, bietet „Untamed“ dennoch genug Spannung. Die Serie beweist, dass manchmal die Landschaft der wahre Star einer Geschichte ist, selbst wenn alle anderen Elemente mittelmäßig bleiben.
Solide drei von fünf Ranger für gutes, durchschnittliches Mittelmaß.