Mike Love im Interview –
Der letzte Beach Boy: «Solange ich singen kann, werde ich auf der Bühne stehen»
Zusammen mit seinen drei Cousins gründete er 1961 die legendäre US-Band. Mit 84 Jahren singt er immer noch regelmässig vor ausverkauften Hallen. Und erinnert sich gerne an alte Zeiten.
Publiziert heute um 11:19 Uhr
Mike Love im Juni bei seiner Aufnahme in die US-amerikanische Songwriters Hall of Fame.
Foto: Getty Images via AFP
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Wie könnte es auch anders sein: Als wir mit Mike Love sprechen, befindet er sich in seinem Haus in Kalifornien. Seit 1961 verkörpert er den US-amerikanischen Westküstenstaat wie kaum ein anderer: In den Songs der Beach Boys besang er den Hedonismus der Sixties, die Palmen Malibus, die Wellen Santa Monicas und die braun gebrannten Strandgirls und -boys – zum Teil auch etwas überspitzt.
Mike Love gründete zusammen mit seinen Cousins, den Wilson-Brüdern, die Beach Boys. Brian Wilson war der kreative Kopf der Band – Paul McCartney hielt ihn für so genial, dass er ihn mit Bach verglich. Heute ist Mike Love das einzige Gründungsmitglied, das noch auf der Bühne steht und Musik macht. Denn der letzte der drei Wilson-Brüder verstarb am 11. Juni: Obwohl er am meisten mit der Band zu hadern schien, ihr immer wieder bei- und austrat, war er von allen drei schlussendlich am längsten mit dabei. Die Besetzung der Band veränderte sich immer wieder, Mike Love aber verliess seinen Posten als Leadsänger nie. Ihm wurde dabei immer wieder vorgeworfen, herrisch im Umgang zu sein.
Eines der letzten Male, dass sie zusammen auf der Bühne standen: Brian Wilson am Klavier, Mike Love mit Kappe vorne im Jahr 2012.
Foto: Getty Images via AFP
Kurz bevor der Anruf durchgestellt wird, warnt seine Assistentin: «Über Brian Wilsons Tod zu sprechen, ist verboten.» Und fügt an, dass es erlaubt sei, sein Beileid auszusprechen. Der Kultmusiker wurde schon mit allen möglichen Preisen der US-amerikanischen Musikindustrie überhäuft. Die Alben der Band wurden über 100 Millionen Mal verkauft. Im Vergleich zu seinem Cousin, der genialen und fragilen Dichterseele Brian, wurde Mike Love oft als kalter und nationalistischer Geschäftsmann dargestellt – er ist ein Trump-Anhänger.
An der Entstehung zahlreicher Klassiker war Love jedoch mitbeteiligt. Und er trug die von gebrochenen Egos und Drogenkonsum gezeichnete Band durch die 1960er-Jahre. Ohne seine Brüder, seinen Cousin und Al Jardine – ein Freund und ebenfalls Gründungsmitglied der Beach Boys – kam Brian Wilsons Solowerk nie mehr an jene Perfektion heran, die die harmonischen Stimmen der fünf Gründungsmitglieder zusammen erreicht hatte. Ganz so wie bei den Beatles jenseits des Atlantiks nach der Auflösung der Band.
Und auch die Botschaft, die Mike Love nach dem Tod seines Cousins im Juni auf Instagram postete, hatte nichts von einem Geschäftsmann: «Einmal, Brian, hast du gefragt: ‹Wäre es nicht wunderbar, wenn wir älter wären?› (eine Anspielung auf das Lied: ‹Wouldn’t It Be Nice?› (if We Were Older), Anm. d. Red.) Jetzt bist du ausserhalb der Zeit. […] Möge sich dein Geist so hoch erheben, wie dein Falsett und deine Flügel sich mühelos ausbreiten. Danke für die ganze Harmonie. Der Tod hinterlässt Kummer, den man nicht heilen kann, die Liebe Erinnerung, die nicht auszulöschen ist.»
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Sie haben seit 1961 über 7400 Konzerte mit den Beach Boys gespielt. Und sie waren das einzige Mitglied, das die Band nie – auch nicht vorübergehend – verliess. Was motiviert Sie mit 84 Jahren noch, auf die Bühne zu treten?
Von einem gut gelaunten Publikum kann man einfach nicht genug kriegen. Das macht es auch zu einer fantastischen Erfahrung. Unsere Musik hatte schon immer eine positive Wirkung auf die Menschen – das spüren wir auch auf der Bühne. So einfach ist das. In meinem Alter ist das wirklich die einzige Motivation.
Fühlen Sie bei einem Konzert heute immer noch dasselbe wie zu Beginn ihrer Karriere?
Ja. Die Beach Boys, das war zuerst ein Familiending, unsere ersten Auftritte fanden im Wohnzimmer unserer Eltern statt. Es war ein Hobby, das sich zu einem Beruf entwickelte, dank meines Cousins Brian und mir: Zusammen schrieben wir tolle Songs. Ich geriet von Anfang an immer wieder ins Staunen und bin auch jetzt, 60 Jahre später, noch überrascht, wenn ich sehe, dass die Songs die gleiche Wirkung auf ein Publikum und eine neue Generation haben. Das ist sehr inspirierend und ermutigend. Solange ich singen kann und es meine Gesundheit zulässt, werde ich auf der Bühne stehen.
Die Beach Boys auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs: 1963 erscheint ihr Hit «Surfin’ USA». Von links nach rechts: Carl Wilson, Dennis Wilson, Mike Love, Al Jardine, Brian Wilson.
Foto: Imago, Avalon.red
Die Geschichte der Beach Boys ist lang – und sowohl von Erfolgen als auch von Wechseln in der Besetzung und Streitigkeiten geprägt. Welches ist im Rückblick Ihre liebste Zeit?
Das ist schwer zu sagen. Ende der 1960er-Jahre wechselten wir von Capitol Records zu einer anderen Plattenfirma, die Verkaufszahlen waren nicht die besten. Diese Zeit war von Zweifeln geprägt und bestimmt nicht die einfachste. Doch heutzutage gewinnen die Leute diesen Alben Dinge ab, die man damals nicht sehen wollte, das macht die Erinnerung daran angenehmer. Eine wirklich schlimme Zeit gab es nicht, aber unglückliche Ereignisse wie den Tod meines Cousins Dennis 1983 und jenen von Carl vor 27 Jahren. Einer Band widerfahren negative Dinge, aber ihre Musik ist gewissermassen unsterblich.
Auf welchen Song der Beach Boys sind Sie besonders stolz?
Wahrscheinlich auf «Good Vibrations». Das Lied war so einzigartig. Damit landeten wir auf dem ersten Platz in den USA, aber vor allem auch in England, vor den Beatles, was eine ziemliche Genugtuung war.
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Die Konkurrenz zwischen den Beach Boys und den Beatles war immer wieder Thema: Wenn man Ihnen so zuhört, hat man den Eindruck, diese bestehe immer noch. War das nicht einfach eine mediale Erfindung, um Zeitungen zu verkaufen?
Ganz und gar nicht. Wir standen in Konkurrenz zueinander, und es bestand sogar eine gewisse Rivalität zwischen uns, aber nicht im negativen Sinne. Wir mochten, was sie taten, und umgekehrt. John (Lennon) und Paul (McCartney) hörten sich das Album «Pet Sounds» sogar an, bevor es veröffentlicht wurde. Wir waren beim gleichen US-amerikanischen Label Capitol, und sie kamen an eine Acetatplatte (eine erste Version der Schallplatte, die dazu diente, die Klangqualität zu überprüfen, Anm. d. Red.). Ich glaube, sie machten sich nach dem Hören sofort an die Arbeit für «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band».
Wussten Sie, dass Sie eine Hymne für eine ganze Generation schrieben, als Sie «Good Vibrations» komponierten?
So etwas weiss man im Voraus nie. Wir wussten nur, dass die Harmonie zwischen Musik und Text stimmte. «Good Vibrations» halt. Obwohl das Lied während des Vietnamkriegs mit all der damit einhergehenden Polizeigewalt entstand, handelte es von Liebe und Frieden. Es war ganz einfach ein Gedicht über eine junge Frau und die Natur … Dieses Positive tut auch heute noch gut. Ein englischer Psychologe untersuchte die Wirkung von Hunderten Songs auf seine Patienten und erklärte das Lied zum ultimativen Feelgood-Song.
Stimmt es, dass Ihnen der Text dazu im Auto auf dem Weg ins Studio kam?
Ja, ich sass am Steuer und diktierte den Text. Im Studio gab ich ihn meinem Cousin Brian, er gefiel ihm gut. Er zeigte ihn Carl, der die Strophen sang. Den Refrain sang ich mit Brian, Carl und Al Jardine. Die Gesangsarrangements machten wir alle zusammen.
The Beach Boys um 1970. Mike Love trägt auf der Aufnahme einen Hut, Brian ist bereits nicht mehr Teil der Band.
Foto: Imago, Avalon.red
Es ist erstaunlich, dass dieser revolutionäre Song, der auch als «Taschensymphonie» bezeichnet wird, über neun Monate entwickelt wurde, bevor dann die eingängige Hookline innerhalb von einem Nachmittag gefunden wurde. Denken Sie im Nachhinein, dass die Ansprüche zu hoch waren?
Brian war fasziniert von Liedstrukturen, Tonarten, Harmonien und Klängen, die durch die Technologie in den Studios möglich wurden. Oft brauchte es aber eine zündende Idee, damit eine komplizierte Komposition plötzlich aufging. «Good Vibrations» war ein klarer Bruch mit Stücken wie «I Get Around», «Fun Fun Gun» oder «California Girls». Es war sehr avantgardistisch. Wir entwickelten uns ganz natürlich in Richtung mehr Innovation. Wir versuchten nie, unsere Hits zu reproduzieren. Wir hatten unseren Stil, ja, aber wir hatten immer viel Abwechslung, was Sänger, Melodie, Tempo und Themen betrifft. Veränderungen waren wir also gewohnt, als es zu «Good Vibrations» kam.
Sie haben unzählige Stars, die in der Rockmusikwelt Rang und Namen hatten, gekannt. Wenn Sie mit einem Musiker oder einer Musikerin – egal ob tot oder lebendig – zu Abend essen könnten, wer wäre es?
Ich war sehr gut mit Marvin Gaye befreundet, den ich während einer Europatournee der Beach Boys kennen gelernt hatte. Er war ein fantastischer Sänger und Komponist, aber auch wirklich ein netter Kerl. Ja, Marvin Gaye … Es wäre schön, ihn wiederzusehen.
Aus dem Französischen übersetzt von Marina Galli.
François Barras ist Kulturjournalist und schreibt seit März 2000 hauptsächlich über Musik und Filme. Er hat Politikwissenschaft an den Universitäten von Lausanne und Genf studiert.Mehr Infos
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