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Stand: 18.07.2025 13:09 Uhr

Ein Geschäftsmann muss sich seit dieser Woche vor dem Landgericht Frankfurt am Main verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nach Informationen von NDR, WDR und SZ vor, jahrelang Geräte zur Unterwasserspionage an Russland verkauft zu haben.

Von Marie Blöcher, Antonius Kempmann, Benedikt Strunz, NDR , und Petra Blum, Florian Flade, WDR

Das russische Wort „Garmonija“ bedeutet auf Deutsch „Harmonie“ oder „Einklang“. So lautet der unverfänglich klingende Name eines geheimen russischen Unterwasser-Spionageprogramms. Es ist ein Netzwerk aus Unterwassermikrofonen, Sonaren und anderer Technik, die in den Weltmeeren ausgebracht werden, um gegnerische Schiffe, insbesondere U-Boote, aufzuspüren.

Das Programm ist kein Relikt des Kalten Krieges, es wurde erst vor wenigen Jahren unter strengster Geheimhaltung umgesetzt. Wie Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) jetzt zeigen, hatte Moskau dabei offenbar auch Hilfe aus Deutschland.

Seit dieser Woche muss sich vor dem Landgericht Frankfurt am Main der 55-jährige Geschäftsmann Alexander S. aus Nürnberg wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz verantworten. Die Firmen des Mannes, der die russische und die kirgisische Staatsangehörigkeit besitzt, sollen Teil eines Geflechts gewesen sein. Darüber soll Russland wohl jahrelang hochmoderne Technologie aus Europa beschafft haben für seine Spionage in den Weltmeeren.

Mögliche Verbindung zum russischen Geheimdienst

Zu den Geschäftspartnern und Kontakten von Alexander S. gehörten nach Erkenntnissen der deutschen Ermittler vor allem ein zypriotisches Unternehmen sowie mehrere Firmen in Moskau. Die Ermittler des Zollfahndungsamtes Essen gehen davon aus, dass zumindest die Moskauer Firmen dem russischen Nachrichtendienst FSB nahestehen. 

Das Verfahren kam offenbar durch eine Überwachungsmaßnahme des Verfassungsschutzes ins Laufen, bei der Telefonate und die E-Mail-Kommunikation von Alexander S. überwacht wurden. Anschließend begannen Zollfahnder damit, das gesamte Handelsnetzwerk um Alexander S. zu durchleuchten.

Handelsnetzwerk für das russische Militär

Laut Anklage soll Alexander S. als Geschäftsführer zweier in Deutschland ansässiger Handelsfirmen in ein Netzwerk aus Unternehmen und Akteuren eingebunden gewesen sein. Dessen Zweck soll darin bestanden haben, maritime und militärisch nutzbare Güter in Europa zu beschaffen und nach Russland zu liefern.

Der eigentliche Endabnehmer, das russische Militär, soll jeweils verschleiert worden sein. Die Lieferwege führten oftmals wohl über die Türkei. Insgesamt neun strafbare Handlungen wirft die Frankfurter Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor. Eine kurzfristige Anfrage ließ der Angeklagte unbeantwortet. In Vernehmungen hatte er bislang immer wieder beteuert, nicht gewusst zu haben, dass die Exporte für Russland bestimmt waren.

Dual-Use-Güter beschafft

Bei den Lieferungen geht es um sogenannte Dual-Use-Güter, also Technologie, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann und daher besonderen Handelsbeschränkungen und Ausfuhrkontrollen unterliegt. So soll das Netzwerk um Alexander S. unter anderem ein akustisches Positionierungssystem und mehrere dazugehörige Transponder – „Mini Beacons“ – in Norwegen beschafft haben.

Mit solchen Systemen können beispielsweise Unterwasserdrohnen in einer Tiefseeumgebung hochpräzise manövriert werden. Auch ein spezieller Bohrkopf aus Italien wurde gekauft, ebenso für fast 800.000 Euro Satellitenantennen eines schwedischen Herstellers, die als besonders robust gelten und auch unter Wasser eingesetzt werden können.

Nicht in allen angeklagten Fällen kam es tatsächlich zu einer Auslieferung. In einem Fall etwa soll für mehr als 43.000 Euro der Kauf eines Mehrstrahlsonars bei einem britischen Unternehmen vertraglich vereinbart worden sein. Offenbar kam es aber nicht zu einer Lieferung.  Mit einem solchen Sonar können in bis zu 4.000 Metern Tiefe hochpräzise Bilder erstellt und Objekte, wie etwa Unterseekabel oder Elektronik, aufgespürt werden.

Beschafft werden sollte das spezielle Sonar wohl für eine russische Firma, die wiederum nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden im Jahr 2014 von einem russischen Rüstungskonzern beauftragt worden war, an der Umsetzung des geheimen Unterwasserspionageprojekts „Garmonija“ mitzuwirken.

Netzwerk seit Jahren aktiv

Die Ermittler gehen davon aus, dass das russische Beschaffungsnetzwerk bereits seit rund zehn Jahren aktiv ist. Die vor allem im Westen bestellte Technik soll dabei auch in Einzelfällen für den Einsatz auf russischen Forschungsschiffen bestimmt gewesen sein. NDR, WDR und SZ hatten im Rahmen der internationalen Recherche Russian-Spy-Ships-Project offengelegt, wie Russland mithilfe seiner Forschungsschiff-Flotte systematisch kritische Infrastruktur in Nord- und Ostsee ausspioniert.

Erfolg für Ermittler

Sollten sich die Vorwürfe gegen Alexander S. und das mutmaßliche Netzwerk bewahrheiten, wäre deutschen Sicherheitsbehörden ein Coup gelungen. Denn Russland hat die Fähigkeit zur Unterwasserkriegsführung zu einer militärischen Priorität erhoben. Das entsprechende technische Knowhow ist nur schwer zu beschaffen.

Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält das aktuelle Verfahren für einen Ermittlungserfolg. Gleichzeitig warnt er vor der derzeit geplanten Reform des Zolls. Diese könnte aus seiner Sicht Zollfahndungen und das Zollkriminalamt massiv schwächen. Das Zollkriminalamt und seine Fahndungen sind für Strukturermittlungen und für die Aufklärung grenzüberschreitender Kriminalität zuständig. Beide Behörden sollen nach jetziger Planung aufgelöst und in eine neue Organisationsstruktur eingebunden werden.