Genau so, wie der Augsburger Stadtteil Oberhausen schon ist, will Andreas Knoll es bei sich zu Hause nicht haben. Und trotzdem findet er es dort eigentlich gut. Monatelang hat der 46-Jährige aus Westendorf im Ostallgäu gegen ein Containerdorf für Geflüchtete demonstriert, machte sich als Sprecher einer Bürgerinitiative dagegen stark, wie in seinem Heimatdorf mehrere Dutzend Fremde untergebracht werden sollten. In Oberhausen, da hat ungefähr jeder zweite Einwohner keinen deutschen Pass, und von der anderen Hälfte haben viele Migrationshintergrund. Und ja, Knoll macht das Thema Migration in Deutschland Sorgen, so sehr wie kein anderes politisches Thema im Land, wie er sagt. Aber hier, in diesem Viertel mit Graue-Maus-Image, das zugleich das bunteste Augsburgs ist, fühlt er sich nicht unwohl.

Andreas Knoll in der Ulmer Straße in Augsburg.

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Andreas Knoll in der Ulmer Straße in Augsburg.
Foto: Christof Paulus

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Andreas Knoll in der Ulmer Straße in Augsburg.

Andreas Knoll in der Ulmer Straße in Augsburg.
Foto: Christof Paulus

Andreas Knoll ist mit seinen Sorgen nicht alleine. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey, die kurz vor der Bundestagswahl im Auftrag unserer Redaktion durchgeführt wurde, nannten 31 Prozent der Befragten aus Bayern Migration als wichtigstes politisches Thema. Und so spricht Knoll nicht nur für viele in Westendorf, auch andere Menschen im Land dürften etwas mit ihm verbinden können: 46 Jahre ist er alt, lächelt viel und wohnt mit Frau und Kindern im Einfamilienhaus am Ortsrand. Er mag Fußball, spielt Schlagzeug und ist Mitglied in etlichen Vereinen. Im benachbarten Kaufbeuren arbeitet er als Hardware-Entwickler bei einem Mittelständler und engagiert sich dort im Betriebsrat. Politiker sollten Menschen wie ihn im Blick haben. Doch mit vielen politischen Entscheidungen fremdelt er. Ein Treffen verspricht deshalb Antworten auf die Frage, was in Deutschland wirklich Konsens sein könnte – auch beim Thema Migration.

„In einem Wohnblock, in dem keiner mehr Deutsch sprechen würde, würde ich mich nicht wohlfühlen“

Dafür ist Knoll ins eine Stunde entfernte Augsburg gefahren, wo Migrationshintergrund anders als in seinem Heimatort nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Er bekennt sich dazu, „Migrationskritiker“ zu sein, spricht von Ängsten, Gefahren und Sorgen – und läuft nun die Ulmer Straße in Oberhausen entlang, einer der Orte, an denen der Einfluss von Zugewanderten unübersehbar ist. Es ist ein warmer, sonniger Freitagabend, die Tram rumpelt vorbei. Knoll passiert ein Baklava-Geschäft, ein Wettbüro, einen Barbershop und ein Döner-Restaurant, dazwischen entdeckt er auch einen Hörgeräte-Handel und einen Trachtenladen. „Schon das vierte türkische Brautmoden-Geschäft, das ich jetzt gesehen habe“, sagt er auf halber Strecke. Was verbindet er mit diesem Straßenbild? „Ein ruhiges Städtchen“, findet er. „Ist doch eine normale Einkaufsstraße.“

Zugegeben, hier wohnen wolle er nicht, aber nicht des Migrantenanteils wegen, sondern weil ihm der Lärm, die Hektik und die Anonymität der Stadt nicht gefallen. Ja, es gebe ein „falsch“ und „zu viel“ bei der Zuwanderung für ihn. „In einem Wohnblock, in dem keiner mehr Deutsch sprechen würde, würde ich mich nicht wohlfühlen“, sagt er. Dass Augsburg-Oberhausen als sozialer Brennpunkt bekannt ist und nahezu Dreiviertel der Bewohner Migrationshintergrund hat, daran stört sich Knoll nicht. Was aber sind die Punkte, die ihm Bauchschmerzen verursachen? Woher kommen die Sorgen der Menschen?

Um darauf eine Antwort zu finden, muss man zunächst mit einigen Vorurteilen brechen. Es sind oft Gegenden mit hohem Migrationsanteil, die als Brennpunkte gelten. Und tatsächlich findet man ausgerechnet am Helmut-Haller-Platz in Oberhausen den Treffpunkt der Drogenszene, im Stadtteil ist zudem der Anteil an Arbeitslosen am höchsten und die Polizei vermeldet in fast allen anderen Stadtbezirken weniger Straftaten als hier. Tatsächlich beobachtet auch Knoll während seiner Tour durch Oberhausen Polizeieinsätze, sagt: „Solche Zustände möchte ich in Westendorf nicht.“ Aber im Viertel merkt man auch, dass auch hier das Leben meist seinen normalen Gang nimmt, in den Seitenstraßen Kinder spielen, Hunde Gassi geführt werden und Arbeiter an den Tischen vor Gaststätten ihr Feierabendbier trinken. Was nach einer banalen Feststellung klingt, muss doch festgehalten werden in Zeiten, in denen die zweitstärkste Partei im Bundestag vor Gegenden mit verschiedenen Nationalitäten als „No-Go-Areas“ oder Schulen mit ausländischen Parallelgesellschaften als „Angstorten“ warnt: Anders, als die AfD suggeriert, macht Migration eine Umgebung nicht per se weniger lebenswert. Auch Andreas Knoll findet das nicht.

Knoll wünscht sich für seine Kinder ein mehrheitlich christlich geprägtes Deutschland

Protest gegen Migrationspolitik plump als AfD-Sprech zu brandmarken, dagegen wehrt er sich ohnehin – das ist noch so ein Klischee. Er und seine Mitstreiter der Bürgerinitiative in Westendorf wollten sich freimachen von politischen Parteien, er betont, dass man sich von Extremisten distanziert habe, „von links und rechts“. Ja, man wollte sich nicht das Leben im Dorf durch zu viele Fremde durcheinanderbringen lassen, sagt Knoll. 50 Menschen wollte das Landratsamt ihnen in den Ort setzen, zu viele, fand man. Aber der Protest beinhaltete noch eine andere Forderung, denn auch an der Art der Unterbringung störte man sich in Westendorf: „Zwei Menschen pro Container, meistens einfach zusammengewürfelt, dazu zwei Aufenthaltsräume“, erklärt Knoll. „Wer will so leben?“ Am Ende fand man vor Gericht einen Vergleich, es kommen nur 30 Geflüchtete, die aber in zwei renovierte leer stehende Häuser der Gemeinde ziehen.

Jetzt sitzt Knoll in einem Kiosk und blickt auf den Bahnhof in Oberhausen, vor ihm steht eine Dose türkischer Limonade. Wenn er über Probleme spricht, prangert er an, wie gutsherrenartig das Landratsamt über seinen Ort habe bestimmen wollen, er fühlt sich oft nicht gut informiert; beeinflusst auch von „Angstmedien“, wie er es nennt, mit ihren reißerischen Schlagzeilen, gesteht ein, dass auch subjektive Eindrücke und ein mulmiges Gefühl bei der Meinungsbildung eine Rolle spielten. Knoll findet, die anderen Parteien würden die AfD ausgrenzen, er möchte, dass Deutschland auch für seine Kinder noch ein mehrheitlich christlich geprägtes Land ist. „Wenn überhaupt niemand seine Heimat verlassen müsste, jeder bei sich zu Hause bleiben könnte, dann wäre das doch das Beste“, sagt er. Vor muslimischen Massengebeten sorge er sich, davon habe er Bilder und Videos im Internet gesehen. Aber in Oberhausen fühle er sich nicht fehl am Platz. Es gebe so viele Geschäfte hier, also würden auch viele Menschen arbeiten, schließt er. Und das sei wichtig für die Integration. Viele Probleme, die mit Migration zusammenhängen, ließen sich in Städten besser lösen als auf dem Land.

„Ich habe mich alleine gefühlt“: Abdul Shukoor Saboori wurde in Deutschland lange nicht anerkannt

Ortswechsel. Maximilianstraße. Augsburgs Prachtmeile. Es sind die Gebäude, die noch den Prunk von damals zeigen – immerhin war Augsburg einst die mächtigste Finanzmetropole Europas. Mittlerweile prägen Boutiquen, Bars und Restaurants das Bild. Vor einem Lokal trinken Studierende Matcha-Latte und reden über die Prüfungsphase, beim Italiener nebenan wird schon vormittags die erste Runde Aperol-Spritz serviert. Das ganz große Portemonnaie brauchen die Menschen aber nicht, um dazuzugehören.

Abdul Shukoor Saboori fühlt sich in Augsburg zu Hause.

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Abdul Shukoor Saboori fühlt sich in Augsburg zu Hause.
Foto: Mariana Silva Lindner

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Abdul Shukoor Saboori fühlt sich in Augsburg zu Hause.

Abdul Shukoor Saboori fühlt sich in Augsburg zu Hause.
Foto: Mariana Silva Lindner

Am Ende der Maxstraße, direkt am Rathausplatz, arbeitet Abdul Shukoor Saboori in der Stadtverwaltung. Das Gefühl, dazuzugehören, hatte er zwischenzeitlich fast vergessen. Er wurde in Afghanistan geboren, da kannte er es noch. Doch aufgrund der bedrohlichen Lage mussten seine Frau und er 2014 flüchten. Das Ziel war Großbritannien, schließlich arbeitete er in der britischen Botschaft. Geworden ist es Deutschland. Knapp drei Jahre wurde Saboori weder anerkannt noch abgelehnt. Er gehörte noch nicht zu Deutschland, aber auch nicht mehr zu Afghanistan. „Ungewissheit ist das schlechteste Gefühl im Leben“, erinnert sich Saboori. Darf er bleiben, endlich einen Sprachkurs besuchen, arbeiten? Da kam ihm sein Zugehörigkeitsgefühl langsam abhanden.

Statt Kabul, vier Millionen Einwohner, Hauptstadt, ging es zunächst nach Kirchheim im Unterallgäu, 2500 Einwohner, Dorf. Es war der Austausch, der Saboori fehlte: „Ich konnte die Sprache nicht sprechen, habe mich alleine gefühlt.“ Feiertage wie das Zuckerfest, bei dem in Afghanistan die ganze Familie zusammenkommt, feierte in Deutschland niemand mit Saboori und seiner Frau. Sie bekamen Heimweh. Und doch mischte sich unter das Heimweh bald ein anderes, schöneres Gefühl – und das hatte einen Grund: Menschen. Ein Helferkreis in Kirchheim unterstützte bei Sprache und Fahrten, der Landrat half bei der Anerkennung und dem Einstieg ins Berufsleben. Noch heute imponiert Saboori, „wie stark sich Menschen verbunden fühlen, wie schön Menschen sein können“.

Wenn Menschen erfahren, dass Saboori einen Job hat und Deutsch spricht, reagieren sie anders

Er lernte auch, wie verschieden die Gepflogenheiten in seiner alten und neuen Heimat sind – und wie man damit umgeht. „In Afghanistan konnten wir laut sprechen. Hier musst du ein bisschen aufpassen. Ich habe immer versucht, mich in meine Mitmenschen reinzudenken.“ Gleichzeitig schritt die Schwäbisierung Sabooris weiter voran, als Azubi wagte er sich das erste Mal an Spätzle. Mittlerweile isst er sie gerne, kocht sie auch öfter für seine drei Kinder, die alle in Deutschland geboren sind.

Und doch fühlt sich Saboori, der seit 2022 Deutscher ist, manchmal fremd in der Bundesrepublik. Etwa in der Tram oder im Restaurant, berichtet Saboori, wenn die Familie so lange angestarrt wird, bis die Kinder fragen, was los ist. Erst, wenn die Menschen erfahren, dass er einen Job hat und Deutsch spricht, reagieren sie anders. Die Konsequenz: Saboori stellt sich nach Möglichkeit direkt vor, erzählt Menschen, die er gerade kennenlernt, seinen halben Lebenslauf. Ein weiteres Beispiel: Mülltrennung. „Meine Nachbarn haben mich öfter beobachtet, ob ich den Müll richtig trenne.“ Was Saboori beschreibt, ist eine Vermeidungsstrategie: Bloß keinen Fehler machen, denn der wird sofort „den Ausländern“ oder „dem Afghanen“ zugeschrieben.

Zuschreibungen, die schon im Kindesalter existieren. Als ein afghanischer Junge in der Schule von Sabooris Kindern den Feueralarm ausgelöst hatte, wurde das genau so über Lautsprecher in der Schule verkündet: „Ein afghanischer Schüler hat den Feueralarm ausgelöst.“ Sabooris Kind kam heim und sagte: „Afghanen sind so unhöflich“, erinnert er sich. „Warum wurde nicht einfach gesagt: ‚Ein Schüler…‘?“, kritisiert der Familienvater. Ob auch die Nationalität genannt worden wäre, wenn ein deutscher Schüler den Alarm ausgelöst hätte? Mindestens fraglich.

Saboori fühlt sich in Augsburg und Deutschland zu Hause

Saboori wirkt nachdenklich, auf der Höhe des Herkulesbrunnens wandert sein Blick zurück Richtung Rathausplatz. „Ein schönes Bild“, sagt er und lächelt. Was er mittlerweile, elf Jahre nach seiner Flucht, empfindet, wenn er durch Augsburg schlendert? „Ich fühle mich hier zu Hause, Deutschland ist zu meinem Heimatland geworden. In Afghanistan würde ich mich viel fremder fühlen.“

Andreas Knoll vor den Fuggerhäusern in der Maximilianstraße.

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Andreas Knoll vor den Fuggerhäusern in der Maximilianstraße.
Foto: Christof Paulus

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Andreas Knoll vor den Fuggerhäusern in der Maximilianstraße.

Andreas Knoll vor den Fuggerhäusern in der Maximilianstraße.
Foto: Christof Paulus

Auch Knoll fährt nach seinem Besuch in Oberhausen noch in die Maximilianstraße. Manchmal schmunzelt er, anhalten will er auf dem Weg vom Moritzplatz zum Ulrichsplatz fast kaum, nur an den Fuggerhäusern macht er kurz Stopp und fotografiert die Prachtgebäude. Nach seiner langen Tour durch die Stadt wird er hungrig, er freut sich, als er den Dönerladen am Südende der Straße entdeckt. Auch zu Hause habe er seinen Stamm-Döner, Haare und Bart lasse er sich im Barbershop stutzen. Während er auf der Terrasse vor dem Laden isst, blickt er noch einmal die Straße entlang, mustert die herrschaftlichen Häuser und beobachtet die vorbeilaufenden Menschen: Anzugträger und Frauen in Kleidern sind auf dem Weg ins Fünf-Sterne-Hotel Maximilian‘s, andere steuern eine Cocktailbar an, immer wieder fahren teure Autos vorbei, ein Mercedes, ein Aston Martin, auch ein Maserati ist dabei. Was Knoll hängen bleibt, hat mit Migration, Sicherheit und all diesen Dingen wenig zu tun: Ein bisschen abgehoben sei es hier. Am besten an der Maxstraße gefalle ihm der Döner, sagt er. „Aber Oberhausen war da eher meine Welt.“

  • Fabian Kluge

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