Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat sich klar vom Entwurf der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz distanziert. „Mit mir wird es keine Enteignungen geben“, postete der CDU-Politiker am Sonnabend auf der Plattform X. „Ich will eine starke Wirtschaft. Die Enteignungsdebatte schadet Berlin. Sie verunsichert Investoren, untergräbt Vertrauen in den Standort und gefährdet Arbeitsplätze.“
Noch schärfer äußerte sich Ottilie Klein, Generalsekretärin der Berliner CDU. Die SPD sei „völlig auf Abwegen“, erklärte Klein. Auch sie bezog sich dabei auf den Gesetzentwurf, den die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Anfang Juli vorgestellt hat. „Biedert sich die SPD gerade als Mehrheitsbeschafferin für einen Regierenden Bürgermeister der Linkspartei an?“, fragte Klein. „Wenn es eins in Berlin nicht braucht, dann sind es Enteignungen und Klassenkampf.“
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Die „Bild“-Zeitung zitierte nun aus dem Entwurf, für die Vergesellschaftung von Immobilien oder Produktionsmitteln sei eine „Vergesellschaftungsbehörde“ vorgesehen. Bei Vergesellschaftungen von Grund und Boden und Naturschätzen soll die Senatsbauverwaltung zuständig sein, für Vergesellschaftungen von Produktionsmitteln die Wirtschaftsverwaltung.
Aber das ist nur das geringste: Der SPD-Vorstoß könnte weitreichende Eingriffe in private Unternehmen in Berlin nach sich ziehen. Das ist das Ergebnis einer Analyse des Gesetzentwurfes, der dem Tagesspiegel vorliegt.
1 Wer kann enteignet werden?
Nicht nur Immobilienbesitzer sollen laut Entwurf enteignet werden dürfen – sondern generell Firmen und „Produktionsmittel natürlicher oder juristischer Personen, die im Land Berlin Waren und Güter herstellen oder Dienstleistungen anbieten“. Der Entwurf nennt einige Beispiele, bei denen als „elementare Bereiche der Daseinsvorsorge“ vergesellschaftet werden soll.
Es gehe um die „die unmittelbare Deckung eines öffentlichen Bedarfs der Daseinsvorsorge ohne Gewinnabsicht“. Genannt werden „die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum“, „die Grundversorgung mit Energie, Wasser und Wärme“, die Abwasser- und Abfallbeseitigung, der öffentliche Nahverkehr, aber auch „Post-, Telekommunikations- und digitale Kommunikationsdienste“. Doch diese Liste ist „nicht abschließend“. Bedeutet: In der Praxis könnte die Liste noch erweitert werden.
2 Warum eine Entschädigung unter Verkehrswert?
Die Entschädigung für Eigentümer soll niedriger als der Verkehrswert sein und „kann in Geld oder in anderen Werten erfolgen“. Die Begründung dafür lautet: Es gehe schließlich um eine „strukturelle Veränderung der Eigentumsordnung zugunsten einer gemeinwirtschaftlichen Nutzung“. Diese „Transformation“ rechtfertige die niedrigere Höhe der Entschädigung – und zwar „im Licht des Wechsels von einer privatnützigen zu einer gemeinwohlorientierten Verwendung“ des Eigentums.
Wie hoch die Entschädigung ausfällt, soll sich orientieren am „gemeinwirtschaftlichen Ertragswert“ – und nicht daran, wie hoch der Ertrag in der Privatwirtschaft war. Möglich sei auch „ein hypothetischer Wert“. Eine Entschädigung nach Verkehrswert wäre eine „Erstattung des Barwertes derjenigen der privatnützigen Verwendung inhärenten Machtposition“, die mit der Vergesellschaftung abgeschafft werden solle.
3 Was sind mildere Mittel vor der Vergesellschaft?
Als angeblich mildere Mittel, bevor es zu einer Vergesellschaftung kommt, sieht das Gesetz andere Formen der Gemeinwirtschaft vor.
Die SPD will in die Rechte der Eigentümer massiv eingreifen. Unternehmen können etwa in Privateigentum bleiben, doch dann sollen sie durch „Mitbeteiligungs- und Einflussrechte gesellschaftlichen Kollektivorganen unterworfen“, der Einfluss der Eigentümer beschränkt werden.
Dazu zählen Vorgaben, wie Gewinne verwendet werden sollen: Ausschüttungen sollen begrenzt, Gewinne in gemeinwirtschaftliche Zwecke investiert werden. Auch Vorgaben zur Bewirtschaftung des Eigentums, zu Preisen, zum Klimaschutz, Standards für Arbeitnehmer, Inklusion, Gleichstellung und Antidiskriminierung sind vorgesehen.
Selbst einer Mitsprache und „demokratischen Kontrolle“ durch Nutzer, Beschäftigte und „gesellschaftliche Akteure in Aufsichtsgremien oder Entscheidungsstrukturen“ sollen Unternehmen unterworfen werden. Bedeutet: Was die SPD als milderes Mittel deklariert, ist für Unternehmen gar nicht milder. Sie haben nur die Wahl: Lieber enteignet werden oder nicht mehr auf ihr Eigentum zugreifen können? Im Klartext: Unternehmer, die ihre Firma unter Wert verlieren könnten, sollen schon zuvor beim Zugriff auf ihr Eigentum massiv eingeschränkt werden.
4 Wie wird die Verhältnismäßigkeit geprüft?
Richtig scharf will die SPD aber nicht untersuchen, ob vor einer Vergesellschaftung diese als „mildere Mittel“ bezeichneten Eingriffe möglich sind. Stattdessen ist in der Gesetzesbegründung von einer „Abschwächung der Prüfungsdichte“ die Rede. Nur das „offensichtlich mildere, gleich geeignete Mittel“ sei nötig, weil bei einer Vergesellschaftung „als umfassendes Vorhaben“ die „Folgen vorab schwerlich in Gänze und in Einzelheiten absehbar sind“.
Gegen die Rechte der Eigentümer seien der Zweck der Vergesellschaftung und das damit verbundene öffentliche Interesse „besonders zu berücksichtigen“. Dazu muss man wissen, dass Enteignungen für das Allgemeinwohl nach Artikel 14 des Grundgesetzes etwa für den Straßenbau in der Bundesrepublik durchaus üblich sind. Die SPD stützt sich aber wie die von Rot-Grün-Rot einberufene Expertenkommission auf Artikel 15. Der wurde bislang nie angewandt und gilt als sogenanntes Verfassungsfossil.
Im Artikel heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Nun beruft sich die SPD-Fraktion auf die Expertenkommission und stellt fest: Während im Fall von Artikel 14 eine Entziehung von Eigentum nicht verhältnismäßig sein könnte, könnte dies bei einer Vergesellschaftung sehr wohl der Fall sein. Soll heißen: Privateigentum könnte einfacher entzogen werden.
Gesetz soll 2026 beschlossen werden
Noch im Juni hatten sich Fraktionsspitzen der schwarz-roten Koalition auf Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz geeinigt. Es soll den Rechtsrahmen für mögliche Vergesellschaftungen vorgeben. Anfang Juli jedoch legte SPD-Fraktionschef Raed Saleh überraschend einen eigenen Gesetzentwurf vor, der nicht mit der CDU abgesprochen war. Es ist mehr als fraglich, ob die CDU bei diesem Entwurf mitgehen kann.
Ein gemeinsamer Gesetzentwurf nämlich soll nach dem Willen beider Regierungsfraktionen ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden, um ihn im Frühjahr 2026 zu verabschieden. Er soll er zwei Jahre später in Kraft treten, damit es vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann. Damit wollen CDU und SPD eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag umsetzen.
Zugleich kommen sie damit dem Volksentscheid von 2021 nach. Damals hatten sich die Berliner mehrheitlich für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen ausgesprochen. Knapp 58 Prozent der Stimmen gingen an den Vorschlag der Initiative „Deutsche Wohnen (DW) & Co. enteignen“. Mit dem Volksentscheid wurde der Senat aufgefordert, Maßnahmen einzuleiten, um die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen vorzubereiten.
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Saleh beteuert, seine Fraktion wolle niemanden enteignen. Jedoch schließe er auch nicht aus, dass Enteignung nicht ein Teil seines „Instrumentenkastens“ ist, hatte Saleh erklärt. Das Rahmengesetz habe vor allem einen „regulierenden Charakter“, es müsse nicht zwangsläufig zu Vergesellschaftungen kommen. Möglich seien auch Beschränkungen der Eigentümer beim Zugriff auf das Unternehmen. Die Vergesellschaftung ermögliche den Bundesländern eine soziale Marktregulierung auch ohne Enteignung. Nach seiner Überzeugung könnten auf diesem Weg auch die Mieten in Berlin gedeckelt werden.
Saleh lobte sich selbst: „Was wir machen, ist historisch.“