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Marina Ohlen (links) und Karin Timpe. Noch muss in der ehemaligen Buchhandlung viel geräumt werden.Marina Ohlen (links) und Karin Timpe. Noch muss in der ehemaligen Buchhandlung viel geräumt werden, die Regale sind noch recht voll mit Lesestoff. © Göran Isleib

Es ist dunkel in der Buchhandlung Timpe, das Ladenlokal ist verwaist. Karin Timpe hat „ihre“ Buchhandlung geschlossen, Ende Juni, nach rund 44 Jahren.

Kierspe – Als wir Karin Timpe treffen, ist die Buchhandlung beleuchtet, das Pappschild im Schaufenster ist aber eindeutig: Kunden können nicht mehr eintreten – eigentlich. Eigentlich? Wir sitzen an einem gemütlichen Tischchen und wollen über die Vergangenheit sprechen, als es an der Eingangstür klopft. Karin Timpe öffnet die Tür, wie gewohnt begrüßt sie einen Kunden. Der muss aber wieder gehen. „Öffnet die Buchhandlung wieder?“ Karin Timpe zögert, „ja, geplant ist das, aber ich kann nicht genau sagen, wann und in welcher Form das geschehen wird.“ Der Kunde ist zunächst zufrieden.

Nach 44 Jahren: Karin Timpe schließt „ihre“ Buchhandlung

Auch uns gegenüber wird Karin Timpe nicht konkret. Aber man merkt: Sie liebt ihren Laden, nach so vielen Jahrzehnten ist nicht nur er ihr ans Herz gewachsen, sondern auch die vielen Kunden, die nun „ohne“ dastehen. „Hier waren Mannskerle, als ich die Tür abschloss, denen am Ende Tränen über die Wange liefen“, erinnert sie sich. Und dennoch will sie das in ihrem Besitz befindliche Haus nebst Ladenlokal verkaufen und einen Schlussstrich ziehen. „Es müsste einiges umgebaut werden, der Laden und die darüberliegende Wohnung hängen zusammen“, erklärt sie. Wie ein neuer Besitzer mit der Immobilie umgehen werde, weiß sie nicht. Sie will auch nicht spekulieren.

Trude Timpe (stehend) und ihr Mannn Franz (zweiter von rechts) luden die Nachbarn zu „politischen“ Stammtischen in die Buchhandlung ein. Trude Timpe (stehend) und ihr Mann Franz (zweiter von rechts) luden die Nachbarn zu „politischen“ Stammtischen ein. © Sammlung Timpe

Karin Timpe hadert noch, sie hat sich an ihren Ruhestand noch nicht gewöhnt. Sie räumt, sortiert, findet alte Schätze, jede Menge Unterlagen, die sie noch zehn Jahre aufheben muss und hat Regale voller Belletristik, Sachbücher, Bücher für Kinder und Jugendliche, Reiseführer und und und. Es klopft abermals an der Tür, diesmal hinten im Laden. Marina Ohlen tritt über die Schwelle. 38 Jahre lang war sie bei Karin Timpe beschäftigt. „Ich vermisse das quirlige Leben in der Buchhandlung, die netten Gespräche, das aufmunternde Wort.“ Sie begrüßt morgens ihre Ex-Chefin mit einer SMS und wünscht ihr einen schönen Tag. „Es ist so komisch, dass man sich inzwischen viel seltener begegnet, wenn man sich doch vorher jeden Tag gesehen hat.“ Auch Marina Ohlen hat sich nach dem vorläufigen Ende der Buchhand für den Ruhestand entschieden – und hat anfangs größte Schwierigkeiten damit.

Die Buchhandlung Timpe war für Generationen von Kierspern ein wichtiger Anlaufpunkt. Glücksritter spielten Lotto, Bestellungen wurden per Logistiker GLS an die Buchhandlung geliefert und natürlich gab es Schulhefte für die Kiersper Schülerinnen und Schüler. „Service wurde bei uns immer großgeschrieben“, erzählt Karin Timpe. Wenn vor dem nächsten Schuljahresbeginn alles Notwendige für die Schule eingekauft werden musste, ließen Eltern einfach eine Liste in der Buchhandlung. Dort wurde alles zu einem Paket zusammengestellt und konnte später abgeholt werden – natürlich vollständig.

Es sind die vielen kleinen Geschichten am Rande, die das Besondere der Buchhandlung ausmachen, zum Beispiel bei der Lottoannahme: „Vor meiner Zeit gab es mal einen ziemlich großen Gewinn, der Glückliche baute sich davon ein schönes Haus“, erinnert sich Karin Timpe. 1982 erhielt sie Besuch von zwei Männern in blauen Anzügen. Die legten ihr nahe, eine Lottoannahmestelle zu etablieren. Es ging für drei Tage zu einem Seminar nach Münster, dort wurde erklärt, worauf es ankommt, es ging für alle Seminarteilnehmer in ein edles Hotel. „Heute ist das wahrscheinlich nicht mehr so“, vermutet sie.

Es klopft wieder an die Tür, Marina Ohlen öffnet, eine junge Frau kommt vorbei. Sie braucht Kopien. Bekommt sie. Marina Ohlen legt später ein paar Geldstücke auf den Tisch vor Karin Timpe. Die lacht: „Die Kasse klingelt heute!“

Noch stehen viele Bücher in den Regalen der Buchhandlung. Ein eventueller Nachfolger könnte sie übernehmen.Noch stehen viele Bücher in den Regalen der Buchhandlung. Ein eventueller Nachfolger könnte sie übernehmen. © Göran IsleibSchwiegermutter eröffnete Buchhandlung im Jahr 1945

Bevor Karin Timpe die Buchhandlung 1981 übernahm, war es ihre Schwiegermutter Trude, die das Geschäft führte, seit 1945. Die Wurzeln des Geschäfts liegen in Siegen, denn von dort stammten Trude und Franz Timpe. Der Krieg verschlug das Paar nach Kierspe. In einem gemieteten Haus an der Jahnstraße, unweit der jetzt geschlossenen Buchhandlung, eröffnete Trude Timpe eine Buchhandlung und Leihbücherei. Die Familie von Franz Timpe hatte ursprünglich eine Buchhandlung in Siegen betrieben. Einige Jahre später dann zog man ins eigene Haus an der Friedrich-Ebert-Straße, inzwischen war auch der Schulbedarf hinzugekommen. 1981 dann wurde Trude Timpe schwer krank, verstarb noch im selben Jahr und Schwiegertochter Karin Timpe übernahm das Ruder. „Damals war ich in der Stadtbücherei beschäftigt“, erinnert sich Karin Timpe. Nach reiflicher Überlegung willigte sie ein. Schließlich war sie vom Fach und hatte eine Ahnung, was auf sie zukommt.

Karin Timpe vor dem Ladenlokal an der Friedrich-Ebert-Straße. Die Gründerin führte ihr Geschäft von 1945 bis 1981. Dann übernahm ihre Schwiegertochter. Karin Timpe vor dem Ladenlokal an der Friedrich-Ebert-Straße. Sie übernahm 1981 die Buchhandlung. © Sammlung Timpe

Karin Timpe stammt nicht aus Kierspe. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie zur Verwandtschaft nach Kierspe. „Höchstens ein Jahr wollte ich bleiben“ erinnert sich Karin Timpe. Sie arbeitete zwischenzeitlich als Buchhändlerin in Düsseldorf, während Jochen Timpe, mit dem sie inzwischen liiert war, in Bonn studierte. Später dann zog das Paar auf Drängen von Jochen Timpe nach Kierspe, das war 1962. Im selben Jahr folgte die Hochzeit.

Bücher, Schulbedarf und Schreibwaren waren bis zuletzt in dem Geschäft zu finden, hinzu kam die Lottoannahme und der GLS-Paketdienst. Vor Amazon hatte Karin Timpe nie Angst, „wir waren schneller“, lacht sie im Rückblick, „was bei uns bis 18 Uhr bestellt wurde, war am nächsten Morgen schon da.“ Sie erinnert sich an eine weitere Anekdote mit Norbert Blüm: Der war zum Wandern nach Kierspe bekommen und wollte eine Wanderkarte haben. „Wir bestellten sie abends, am nächsten Morgen war sie da und Norbert Blüm war tief beeindruckt.“

Mit dem Ende der Buchhandlung im Dorf ging eine Ära zu Ende. Schulbücher, Hefte, Zirkelkästen, neueste Romane und nicht zuletzt der Vorverkauf für KuK – all das wird es zunächst nicht mehr geben. Jetzt gilt es abzuwarten, was die Zukunft bringt.