Seit den schweren Unfällen in Esslingen, Ludwigsburg und Stuttgart steht kommunalpolitisch eine Frage wieder ganz oben: Wie kriegen wir die Innenstädte verkehrssicher für alle?

Nach dem schlimmen Unfall Anfang Mai mit sieben Verletzten und einer Toten am Olgaeck will die Stadt Stuttgart nun dort bald Tempo 30 einführen. Möglich macht dies ein Paragraf der Straßenverkehrsordnung. Denn nach wie vor haben Kommunen keinen Handlungsspielraum, in Innenstädten flächendeckend Tempo 30 zu erlassen. Aber bringt das überhaupt etwas zur Unfallvermeidung an Gefahrenstellen? In der Region denken neben Stuttgart gerade auch Esslingen und Ludwigsburg über Wege zur Verkehrsberuhigung nach.

Tempo 30 am Olgaeck soll so schnell wie möglich kommen

Ab wann genau Tempo 30 am Olgaeck gelten kann, das kann die Stadt Stuttgart noch nicht sagen. „Sobald die Ampelschaltungen an der komplexen Kreuzung auf die neue Geschwindigkeit angepasst und aufeinander abgestimmt sind, kann dort die neue Geschwindigkeitsbeschränkung starten“, so eine Stadt-Sprecherin auf SWR-Anfrage. Mit mobilen Messungen wolle man dann kontrollieren, ob sich Verkehrsteilnehmer und -nehmerinnen an das Tempolimit halten.

An der B27 gibt es schon jahrelang Tempo 40 – zu wenige Kontrollen?

Das wären dann zehn Kilometer pro Stunde an Geschwindigkeit weniger. Denn auf der B27/Hohenheimer Straße ab dem Charlottenplatz und damit auch genau am Olgaeck gilt bereits jahrelang Tempo 40. Anwohnerinnen und Anwohner kritisieren, dass dies nicht eingehalten und viel zu selten kontrolliert werde.

Die Stadt Stuttgart widerspricht. „Dauerhaft betreibt die Verkehrsüberwachung vier stationäre Blitzer entlang der Neuen Weinsteige – je zwei pro Fahrtrichtung“, heißt es. Vom 1. Januar 2022 bis heute habe die Verkehrsüberwachung entlang der B27 zwischen Charlottenstraße und Oberer Weinsteige zusätzlich 85 mobile Messungen vorgenommen. Darüber hinaus seien sogenannte teilstationäre Anlagen, also mobile Blitzer-Anhänger, an 236 Tagen im Einsatz gewesen.

Hier ist immer dichter Verkehr: die Weinsteige - der obere Teil der B27 stadtauswärts in Stuttgart.

Hier ist immer dichter Verkehr: die Weinsteige – der obere Teil der B27 stadtauswärts in Stuttgart.

„Fest installierte Blitzer gibt es doch aber erst nach dem Bopser“, moniert ein Anwohner, der anonym bleiben möchte. Er wohne seit fast drei Jahren an der Hohenheimer Straße und beobachte am Wochenende sogar, dass bei grüner Ampelphase ab Dobelstraße stadtauswärts gerne mal richtig Gas gegeben werde, bis die Fahrerinnen und Fahrer dann vor Degerloch durch die Blitzer wieder ausgebremst werden.

Anwohner fragen sich: Bringen 10 km/h weniger so viel?

Er fragt sich auch, ob das so viel bringt, wenn die Geschwindigkeit um zehn Kilometer pro Stunde am Olgaeck gedrosselt wird. „Eine geringere Geschwindigkeit verbessert die Verkehrssicherheit“, erklärt die Stadt Stuttgart. Wer langsamer fährt, nehme den Verkehrsraum besser wahr und könne früher reagieren. „Außerdem verkürzt sich der Anhalteweg, und das bedeutet: Fahrzeuge kommen schneller zum Stehen. Dadurch sinkt im Ernstfall die Unfallschwere, also die Stärke der Verletzungen oder Schäden.“

Esslingen, Stuttgart

Ein Verkehrsschild mit der Aufschrift 30 Zone, weist auf eine Tempo 30 Zone hin.


Hitzige Debatten
Wochenrückblick Region Stuttgart: Brauchen wir Tempo 30 auf den Straßen?

Seit einem tödlichen Unfall in Esslingen wird wieder über ein Tempolimit diskutiert. ADAC-Sprecher Julian Häußler erklärt, was aus seiner Sicht hilft und was nicht.

Mi.23.10.2024
14:00 Uhr

SWR4 am Nachmittag

SWR4

Esslingens OB fordert grundsätzliches Umdenken im Verkehr

In Esslingen gilt jetzt nach dem schweren Unfall im Oktober 2024, bei dem drei Menschen starben, an der Unfallstelle Tempo 30. Bringt das was? „Grundsätzlich zeigen Untersuchungen, dass geringere Geschwindigkeiten zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr führen“, sagt Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD). Aber für ihn gibt es eine andere Messlatte im Verkehr: „Wir müssen den Verkehr heutzutage von Fußgängerinnen und Fußgängern sowie von Radfahrerinnen und Radfahrern her denken und ganz besonders für ihre Sicherheit sorgen.“

Wir müssen den Verkehr heutzutage von Fußgängerinnen und Fußgängern sowie von Radfahrerinnen und Radfahrern her denken und ganz besonders für ihre Sicherheit sorgen.

Klopfer: Flächendeckend Tempo 40 – und 30 in Wohngebieten

Deswegen setzt Klopfer sich seit einiger Zeit für bundesweit Tempo 40 auf Ortsdurchfahrten ein. Tempo 30 sollte es seiner Meinung nach mit rechts vor links in allen Wohngebieten geben. Drei Vorteile würden dafür sprechen, so Klopfer: „mehr Rechtsklarheit, mehr Sicherheit und weniger Verkehrslärm“. Wechselnde Tempo-Regelungen führten zu einem Schilderwald. Mal gilt Tempo 30, dann 40, sonst regulär 50 – wer solle da noch durchblicken und vor allem schnell reagieren können beim Autofahren? Eine einheitlichere Regelung „wäre gleichzeitig ein großer Schritt zum Abbau von Bürokratie“, so Klopfer.

An der Unfallstelle würden zusätzlich die Fuß- und Radwege aus dem Stadtteil Weil in Richtung Sportpark überprüft. „Diese wollen wir sicherer organisieren. Parallel prüfen wir im Rahmen der geänderten Straßenverkehrsordnung, ob an weiteren Stellen im Stadtgebiet weitere Geschwindigkeitsbegrenzungen möglich sind“, so der Esslinger OB. In Stuttgart wird nach dem Unfall erst die Untersuchung des Unfallhergangs abgewartet, bevor zusätzlich zur Geschwindigkeitsreduktion weitere bauliche Maßnahmen getroffen werden können. Aber selbst der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatte diese gefordert.

Stuttgart

Arbeiter der SSB am Stuttgarter Olgaeck


Brief an Oberbürgermeister Nopper
Nach schwerem Unfall: BW-Verkehrsminister Hermann regt Umbau am Olgaeck in Stuttgart an

Anfang Mai zog ein schwerer Unfall in Stuttgart die Aufmerksamkeit auf den gefährlichen Knotenpunkt. Verkehrsminister Hermann regt in einem Brief an die Stadt Konsequenzen an.

Ludwigsburg will ein „Geschwindigkeitskonzept“ verwirklichen

Blick nach Ludwigsburg, wo es ebenfalls in den vergangenen Monaten einen tödlichen Unfall auf der Schwieberdinger Straße gegeben hatte – nach einem illegalen Autorennen. An der Unfallstelle ist Tempo 40 geplant, aber noch nicht eingeführt. Die Stadt positioniert sich auf Anfrage ebenfalls deutlich gegen „Flickenteppich“ und wechselnde Geschwindigkeitsbegrenzungen. Deswegen hat sie ein Geschwindigkeitskonzept entwickelt, heißt es. „Dieses Konzept sieht für die Hauptverkehrsstraßen und Achsen mit ÖPNV Tempo 40 und für das Nebenstraßennetz Tempo 30 vor“, so eine Sprecherin. Und weil die Straßenverkehrsordnung keine rechtlichen Möglichkeiten biete, werde die Anordnung auf allen Straßen eben aus Lärmschutzgründen erfolgen. Ludwigsburg sei mittendrin in der Umsetzung.

Hebel Lärmreduzierung durch Aktionspläne

Flächendeckend Tempo 30 in Innenstädten wird seit Jahren auf verschiedenen Ebenen kontrovers diskutiert. Auch im aktuellen Stuttgarter Bürgerhaushalt finden sich zwei Vorschläge dazu. Aber den Kommunen sind dabei die Hände gebunden, denn das Gesetz dazu ist ein Bundesgesetz.

Hintergrund: Darum sind keine pauschalen Tempo-30-Zonen möglich

Die Straßenverkehrsordnung ist ein Bundesgesetz. Sie schränkt den Handlungsspielraum der Kommunen ein, weswegen Tempo-Zonen nicht einfach selbst bestimmt oder geändert werden können. Für eine Lockerung dieser Rechtslage trat die Städteinitiative „Lebenswerte Städte“ ein. Nach eigenen Angaben gehören ihr 1.130 Städte, Gemeinden und Landkreise an. Sie forderte vom Bundesverkehrsministerium, den Kommunen mehr Entscheidungsfreiheit bei der Anordnung von Tempo-30-Zonen zu geben. Die Chance gab es, da die Straßenverkehrsordnung Anfang des Jahres novelliert wurde. Die völlige Flexibilität für Kommunen gab es allerdings nicht. Deswegen hat die Initiative vorübergehend ihre Arbeit eingestellt und eine doch eher positive Bilanz gezogen, auch wenn noch viel zu tun sei.

Deswegen lösen viele Kommunen das Problem jetzt über den Hebel Lärmreduzierung. Denn tatsächlich wird ein Flickenteppich aus Tempo 30, 40 und 50 inzwischen als problematisch für die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer gesehen. Nicht zuletzt müssten sie viel aufmerksamer sein, heißt es.

Stuttgart: Diskussion um flächendeckend Tempo 30 währt schon lange

Flächendeckend Tempo 30 in der Innenstadt ist in der Stuttgarter Politik schon lange ein Zankapfel. Die Grünen sind der Meinung, Tempo 30 müsse die Regel sein und Tempo 50 davon die begründete Ausnahme. Die FDP argumentiert, Tempo 30 würde den Durchgangsverkehr behindern, die Busse im öffentlichen Nahverkehr ausbremsen und bringe nicht viel zur Entlastung. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) und die CDU-Fraktion sind ebenfalls keine Fans. Im März 2022 fand sich allerdings eine Mehrheit im Gemeinderat dafür, dass Stuttgart der Städteinitiative „Lebenswerte Städte“ für flächendeckend Tempo 30 in Innenstädten beitritt.

Die ist nun hinfällig, hat aber insgesamt zu mehr Aufmerksamkeit für das Thema geführt – und offensichtlich auch für stellenweises Umdenken. In mehreren Stuttgarter Stadtbezirken ist bereits Tempo 30 in der Nacht eingeführt – aus Gründen der Lärmreduktion. Wie in Ludwigsburg auch agiere man hier auf Grundlage des Lärmaktionsplans. Und laut der Stadt würden nun auch der Schwabtunnel und die Pforzheimer Straße diskutiert – Gefahrenstellen, über die es vor einem Jahr vermutlich noch keine Diskussion gegeben hätte. Nach der Sommerpause werde das angegangen, wenn die Straßenverkehrsbehörde die Gremien über die StVO-Reform informiert habe, sagte eine Sprecherin der Stadt.