Russland-Fahne und MünzenGrafik: Inna-Zueva5-Freepik.com

Mit Ach und Krach kam die Verlängerung der Sanktionen der EU gegen Russland im Januar zustande. Nun tickt die Zeitbombe bis Ende Juli. Zieht Ungarn dieses Mal sein Veto durch, sind die Sanktionen außer Kraft. Auch 240 Milliarden Euro müssten an Russland fließen. Um das zu verhindern schlug der estnische Außenminister vor, die Sicherheitsinteressen Europas nach vorn zu stellen.

Ungarn spielt in der Mannschaft von Russland

Im Interview mit der Rheinischen Post jüngst im April stellte der estnische Außenminister Margus Tsahkna klar, dass der ungarische Regierungschef Viktor Orbán dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spiele. „Wir haben mit Ungarn ein sehr schwaches Land, das in Putins Mannschaft mitspielt. Nicht in unserer europäischen“, so Tsahkna.

Deswegen schlug er vor, Ungarn bei zentralen Entscheidungen wie etwa zur europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, das Stimmrecht befristet zu entziehen. Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union biete dazu die Möglichkeit, wenn die Sicherheit Europas und die der anderen Mitglieder gefährdet sei. „Das ist also genau das, was Orbán tut“, sagte Tsahkna.

Aggressor zahlt nicht

Außerdem rief der Außenminister Estlands dazu auf, eingefrorenes russisches Vermögen einzuziehen. „Wir haben eingefrorene, immobile Vermögenswerte in Europa im Wert von 240 Milliarden und mehr. Das russische Zentralbankgeld liegt überwiegend in Belgien“, sagte er. Alle sechs Monate müsse über die Verlängerung der Sanktionen abgestimmt werden, wozu die Zustimmung Ungarns nötig sei.

„Sollten sie das im Juni blockieren, laufen nicht nur die Sanktionen aus, dann müssten wir Putin die 240 Milliarden Euro aushändigen“, warnte Tsahkna. Daher sprach er sich für die Beschlagnahmung dieser Vermögenswerte aus. Rechtlich sei dies möglich. „Wir können doch nicht von unseren Steuerzahlern Geld verlangen, um die Ukraine zu unterstützen, und nicht von Russland, das der Aggressor ist“, monierte der Minister.

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto reagierte in Sozialen Medien. Auf X schrieb er, dass er von der Forderung Tsahknas zur Aussetzung des ungarischen Stimmrechts erfahren habe. „Er ist einer der fanatischsten Kriegsbefürworter Europas – er drängt auf eine Verlängerung des Krieges in der Ukraine und belehrt gleichzeitig andere über die Risiken einer Eskalation.“

Mit Veto Geld erpresst

Bereits bei der letzten Entscheidung zur Verlängerung der Sanktionen am 27. Januar stand die Situation Spitz auf Knopf, als Orban ein Veto angedroht hatte. Nach einem Telefonat mit den USA und einer Erklärung der EU zur sicheren Energieversorgung Ungarns, stimmte dieser dann doch noch zu.

„Viktor Orbán hat sich durchgesetzt; die EU-Gelder kommen nach Ungarn“, brüstete sich Tamás Menczer, Kommunikationsdirektor der Regierungsparteien, Anfang Februar. Der Ministerpräsident habe bereits 12,5 Milliarden Euro erstritten, der Rest werde folgen. Bei diesen Geldern handelt es sich um eingefrorene EU-Mittel wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit.

An bestimmten Punkten im EU-Entscheidungsprozess sei Einstimmigkeit erforderlich, und Viktor Orbán „weiß das besser als jeder andere, da er der erfahrenste Ministerpräsident in Brüssel ist“, gab er unverhohlen zu und bekräftigte: „Der Rest wird auch kommen, daran sollte niemand zweifeln. Der ungarische Ministerpräsident hat sich jeden Forint und jeden Euro erkämpft, der Ungarn zusteht, und er wird dies auch in Zukunft tun“, so Menczer.

Ukraine ist zu teuer

Folglich ist der Vorstoß des estnischen Außenministers für Ungarn eine Bedrohung, vom europäischen Geldzapfhahn abgeschnitten zu werden. Viele Milliarden stehen auf dem Spiel. Zugleich besteht die Gefahr, dass der Preis im Verlauf der Ereignisse dermaßen ansteigt und Ungarn die Sanktionsbombe in der EU tatsächlich hochgehen lässt, weil Russland und die USA als die lukrativeren Partner erscheinen.

Es scheint attraktiv zu sein, die Ukraine an Russland auszuliefern, um weiter zuverlässig russisches Öl und Gas zu erhalten und über niedrige Energiepreise prahlen zu können. Ebenso sendete der Geschäftsträger der US-Botschaft in Budapest Robert Palladino positive Signale über das Potenzial einer „goldenen Zeit“ in den bilateralen Beziehungen. Beide Seiten suchten aktiv nach Möglichkeiten der gegenseitigen Kooperation zur Erweiterung gemeinsamer Interessen.

Die Aufnahme der Ukraine in die EU hält die ungarische Regierung bei alledem für ein schlechtes Geschäft. So würde der EU-Beitritt der Ukraine Orbán zufolge aufgrund von Wiederaufbau des Landes und Finanzierung dafür mit „horrenden Kosten“ verbunden sein. Darüber hinaus würde der Umbruch der Kohäsions- und Agrarpolitik durch die Beteiligung der Ukraine Ungarn teuer zu stehen kommen.

Russland könnte Regeln diktieren

All das veranlasste offenbar Estlands Außenminister, Ungarn als Mitspieler in der russischen Mannschaft zu verorten, der der EU schadet. Bereits im März hatte er als Reaktion auf Ungarns Vorschlag, bestimmte russische Personen von der EU-Sanktionsliste zu streichen, vorgeschlagen, für Ungarn das Stimmrecht auf Grundlage von Artikel 7 des EU-Vertrags auszusetzen, da es Sicherheitsinteressen Europas systematisch untergrabe.

Am Ende einigten sich die Beteiligten auf vier russische Geschäftsleute, die jetzt nicht mehr auf der Sanktionsliste stehen. Ohne diese Einigung wären die Sanktionen gegen rund 2.200 Russen ausgelaufen, berichteten Medien. Die Russland-Sanktionen der EU müssen alle sechs Monate erneuert werden und erfordern die Zustimmung aller 27 Länder. In den letzten Monaten drohte Ungarn immer wieder mit der Aufhebung der Sanktionen, sobald eine Veränderung ansteht, und verwies auf die laufenden Waffenstillstandsgespräche von US-Präsident Donald Trump über den Ukraine-Krieg.

Mit einem Streich könnte Ungarn Ende Juli sämtliche Sanktionen gegen Russland per Veto für Null und Nichtig erklären. Damit wäre der Wall gebrochen. Russland könnte die angezählte heimische Wirtschaft sanieren und Europa seine Regeln diktieren. Die EU hätte ihre Handlungsfähigkeit endgültig verloren, weil ein Mitglied die Interessen der Union mittels Eigeninteressen an die Wand gespielt hat. Die Uhr tickt jetzt bis zum 31. Juli, wenn die nächste Sanktionsverlängerung ansteht.

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