Ein Erdbeben-Frühwarnsystem auf Basis von Android-Handydaten soll ähnlich wirksam sein wie traditionelle Verfahren auf Basis seismischer Netzwerke. Dies berichten Mitarbeiter des Google-Konzerns nach einer dreijährigen Testphase im Wissenschaftsjournal „Science“. Demnach registrierte das System „Android Earthquake Alerts“ (AEA) von 2021 bis 2024 in insgesamt 98 Ländern pro Monat im Mittel 312 Erdbeben.
Smartphones mit dem Betriebssystem Android haben eine integrierte Erdbebenwarnfunktion – zugänglich über Einstellungen im Bereich „Sicherheit und Notfall“. Das AEA-System registriert Erdstöße über eingebaute Bewegungssensoren. Bei Erdbeben ab einer berechneten Stärke von 4,5 wird auf den Geräten ein „Take Action“-Alarm ausgelöst: also die Aufforderung, sich zu schützen, versehen mit Verhaltenstipps. Für Regionen mit einer erwarteten geringeren Stärke ab etwa 3 wird eine „Be Aware“-Nachricht versendet, also ein warnender Hinweis.
11.231 Erdbeben
Zwar gibt es seit längerem vielerorts auch nationale Warnsysteme, die auf seismischen Messstationen beruhen. Aber eine Stärke des Android-basierten Verfahrens sei, dass etwa 70 Prozent aller Smartphones weltweit dieses Betriebssystem nutzen, schreibt das Google-Team um den Seismologen Richard Allen. Damit können sie entsprechende Warnungen empfangen, aber auch dazu beitragen.
2,5
Milliarden Menschen haben Zugang zu dem Android-basierten Warnsystem.
Die von den Sensoren erfassten Daten werden automatisch zu Google-Servern geleitet, die anhand der Informationen sowohl Epizentrum als auch Tiefe der Erdstöße und vor allem ihre Stärke berechnen sollen. Das sind durchaus anspruchsvolle Kalkulationen. Diese Einschätzungen hätten sich im Lauf des Drei-Jahres-Zeitraums deutlich verbessert, schreibt die Gruppe.
Wichtigster Grund: Es gebe inzwischen bessere Modelle sowohl zur regionalen Geologie als auch zu den jeweils genutzten Gebäudetypen und nicht zuletzt zu den verschiedenen Smartphone-Typen, deren Sensoren die Daten liefern. Stärken und Schwächen des Systems beschreibt das Team nun anhand der Daten von April 2021 bis März 2024. In diesem Zeitraum erfasste das System demnach 11.231 Erdbeben.
Teilweise gab es Fehlalarme
Bei knapp 1.300 Ereignissen sendete AEA Warnungen. Lediglich dreimal waren es Fehlalarme: bei zwei Gewittern und einem massenhaft versendeten Vibrationsalarm, der das System in die Irre führte. Solche Fehlerquellen seien seither abgestellt worden, schreibt die Gruppe.
Sie nennt ein Beispiel: Bei dem Beben der Stärke 6,7 vom 17. November 2023 auf den Philippinen lag das Zentrum der Erdstöße 40 Kilometer vor der Küste in einer Tiefe von 52 Kilometern. Die ersten Handys registrierten die Erdstöße zwölf Sekunden nach dem frühesten Auftreten. Nach 18 Sekunden erfolgte die erste Warnung. Da ging das Android-System noch von der Stärke 5,5 aus. Nach knapp 29 Sekunden wurde die erwartete Stärke dann auf 6,5 hochgesetzt.
Auf insgesamt 2,5 Millionen Handys wurde Alarm ausgelöst, mehr als 100.000 Geräte erhielten eine „Take Action“-Warnung. Diese kam meist etwa zwei bis acht Sekunden vor den stärksten Erdstößen an.
Zwar registrierte das System auch die beiden verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet vom 6. Februar 2023 mit zehntausenden Toten. Allerdings wurde die Stärke der Erdstöße – 7,8 und neun Stunden später 7,5 – mit 4,9 und 6,3 deutlich unterschätzt, wie das Team einräumt. Auch dies habe man verbessert.
Android-System hat größere Reichweite
Die Effektivität von Warnsystemen könne maximiert werden, schreibt das Google-Team. Erforderlich dafür seien ein besseres Verständnis der physikalischen Grundlagen von Erdbeben, bessere Sensoren-Netzwerke und eine bessere Zustellung von Alarmen.
Traditionelle Warnsysteme wurden der Gruppe zufolge in Mexiko und Japan eingerichtet, später auch in Taiwan, Südkorea, den USA, Israel, Costa Rica und Kanada. Im Jahr 2019 hatten demnach 250 Millionen Menschen Zugang zu Warnsystemen. Mit AEA seien es 2,5 Milliarden Menschen.
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Diese hohe Zahl von Nutzern sei zweifellos beeindruckend, sagt Fabrice Cotton vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam. Nützlich seien solche Handy-basierten Verfahren in Regionen ohne nationale Warnsysteme, wie etwa auf den Philippinen, in Nepal oder der Türkei, weniger jedoch in anderen Regionen und Ländern wie Kalifornien, Taiwan, Mexiko und Japan.
Allerdings, so merkt Cotton kritisch an, gehen die Android-basierten Warnungen nur an Nutzer von Geräten eines privaten Unternehmens. Zudem habe das Verfahren ausgerechnet bei heftigen Erdbeben – wie dem von Februar 2023 in der Ost-Türkei – die Stärke erheblich unterschätzt. Die zuverlässige Ermittlung der Magnitude von starken Erdbeben sei entscheidend für die Effektivität von Warnsystemen.
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Die Zukunft liegt nach Einschätzung des Experten in der Kombination von seismischen Netzwerken und Handy-basierten Sensoren. Diese gibt es übrigens nicht nur auf Android-Systemen, sondern auch über spezielle Apps wie das kostenlose „EQN“ (Earthquake Network). Diese App hat allerdings nach eigenen Angaben bislang nur 20 Millionen Nutzer – im Vergleich zu 2,5 Milliarden Android-Nutzern. (dpa)