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Zurück in die Zukunft: Russlands Präsident Wladimir Putin stärkt die Rolle der Geheimdienste, indem er ihnen erneut die Kontrolle über bestimmte Gefängnisse gewährt. Aktivisten fürchten eine Revitalisierung der unter Dikator Josef Stalin bestehenden „Gulags“. © Alexander Nemenov/Pool/AFP)
Längere Liste politischer Straftaten, größere Zahl an politischen Häftlingen, mehr Macht für Geheimdienste – Opposition in Russland wird gefährlicher.
Moskau – „Der FSB/KGB bekommt seine Gefängnisse zurück“, formuliert Aleksandr Podrabinek für die Organisation Rights in Russia. Der russische Menschenrechtsaktivist kommentiert damit einen vom Unterhaus des russischen Parlaments, der Duma, verabschiedeten Gesetzentwurf, wonach die Nachfolgeorganisation des sowjetischen Geheimdienstes KGB bald die Befugnis erhalten soll, ein Netz von Untersuchungshaftanstalten unter eigener Gerichtsbarkeit aufzubauen, wie Reuters berichtet.
Laut der Nachrichtenagentur hätten Abgeordnete geäußert, „der FSB benötige solche Hafteinrichtungen, weil es seit Beginn des Krieges in der Ukraine – bekannt als „spezielle Militäroperation“ innerhalb Russlands – zu einem Anstieg der Geheimdienst- und subversiven Aktivitäten ausländischer Mächte gekommen sei“. Das mag eine Reaktion sein auf zunehmende Proteste gegenüber dem sich ziehenden Ukraine-Krieg, den Wladimir Putins Invasionstruppen völkerrechtswidrig im Februar 2022 vom Zaun gebrochen hatten.
Während auswärtige Betrachter eine Verschärfung der Restriktionen nach innen befürchten, sieht Podrabinek in dem Gesetzentwurf eine fortschreitende Entfremdung Russlands von Europa: Die Zuordnung der Strafvollzugsanstalten unter die Zuständigkeit des Justizministeriums führt er zurück auf Russlands Beitritt zum Europarat 1996 – ihm zufolge sei die Bedingung dafür gewesen, Untersuchungshaftanstalten, Gefängnisse und Strafkolonien aus dem Griff der Ermittlungsbehörden und insbesondere des Staatssicherheitsdienstes zu lösen. Die Rücküberantwortung sei geplant für Anfang 2026.
Putins Gulag: Aufgabe, den Willen der politischen Gefangenen zu brechen
Der russische Inlandsgeheimdienst FSB (Federalnaja Sluschba Besopasnosti, zu Deutsch: Föderaler Dienst für Sicherheit) war erst ein Jahr vor dem Beitritt zum Europarat hervorgegangen aus der Vorgängerorganisation KGB (Komitet Gossudarstwennoj Besopasnosti, zu Deutsch: Komitee für Staatssicherheit), der 1954 seinen Terror gegen die sowjetische Bevölkerung aufgenommen hatte. Beobachter bezeichneten die künftigen FSB-Anstalten in Anlehnung an Arbeitslager in der Sowjetunion als „Gulag“, wie verschiedene Medien übereinstimmend berichten.. Die Kurzform der Bezeichnung Glavnoe Upravlenie Lagerej (zu Deutsch: Hauptverwaltung der Lager) bezeichnet ein System von Straf- und Arbeitslagern, „das sich wie eine grosse Inselgruppe über die gesamte Sowjetunion erstreckte“, wie Daryl Kuster im Studierenblog Stalin digital der Universität Zürich schreibt.
„Diese sind Teil eines wachsenden Sicherheitsapparats, der nach Ansicht von Kritikern dazu eingesetzt wird, abweichende Meinungen zu unterdrücken, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und die Macht des Kremls inmitten des anhaltenden Krieges in der Ukraine zu festigen“.
Dieses System habe verurteilte Straftäter und Revolutionäre, also politische Gefangene je nach Schwere der Tat entweder mit reiner Verbannung oder zusätzliche Zwangsarbeit bestraft, so Kuster. Oft hat die Strafe bis zum Tode geführt. Dem russischen Journalisten Podrabinek schwant denn auch Böses – die Strafjustiz für Kriminelle unterscheide sich von der für politisch Angeklagte fundamental, sie verfolgen schließlich jeweils andere Ziele. „Während es in einem normalen Strafverfahren darum ging, minimale Beweise für das Gericht zu sammeln, hatten die Staatssicherheitsdienste zusätzlich die Aufgabe, den Willen der politischen Gefangenen zu brechen, sie zu demoralisieren und sie idealerweise zu Falschaussagen und ,Reue‘ zu bewegen. Am besten öffentlich“, schreibt Podrabinek.
Tatsächlich führt Russland neben den militärischen Aktivitäten nach innen wie nach außen einen Schattenkrieg. Der Bruch in der russischen Gesellschaft sei am deutlichsten sichtbar geworden im vermeintlichen Umsturz-Versuch des Wagner-Söldner-Führers Jewgeni Prigoschin Mitte 2023, wie Alexi Gugushvili von der Universität Oslo in einer aktuellen Studie behauptet. Allerdings habe das Putin-Regime auch schon vorher„sichtbare Proteste gegen die unprovozierte Aggression“ realisieren müssen – gerade in Ballungszentren wie Moskau und St. Petersburg, wie Gugushvili klarstellt; was aber im Keim erstickt worden zu sein scheint – jedenfalls vordergründig.
Russlands Strategie: Der Staat hat ein Narrativ geschaffen, das Dissens als unpatriotisch darstellt
Für Gugushvili scheint offensichtlich, dass die Regierung durch eine „Atmosphäre der Angst und Unterdrückung“, so Gugushvili, die öffentliche Wahrnehmung versucht maßgeblich dahingehend zu prägen, dass die „Spezialoperation“ als Notwendigkeit der Verteidigung gegen den Westen vielleicht weniger geglaubt denn akzeptiert wurde. Gezwungenermaßen. „Der Staat hat ein Narrativ geschaffen, das Dissens als unpatriotisch darstellt und die Opposition weiter zum Schweigen bringt. Darüber hinaus haben Strafmaßnahmen wie Verhaftungen, Gefängnisstrafen und hohe Geldstrafen viele von der Teilnahme an öffentlichen Protesten abgehalten“, schreibt Gugushvili.
Allerdings geht der Krieg zeitlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich weit hinaus über das Maß, was sich das russische Volk trotz Angst vor Repressalien oder Patriotismus bieten lassen will. „Das Gesetz sieht die Inhaftierung von Personen vor, denen Verbrechen gegen die Staatssicherheit vorgeworfen werden, in separaten Haftanstalten unter der Gerichtsbarkeit des russischen FSB“, zitiert Reuters Wassili Piskarjow – der Vorsitzende des Sicherheits- und Antikorruptionsausschusses der Duma hatte sich entsprechend auf dem Social-Media-Kanal Telegram geäußert.
Wie ihn die Moscow Times zitiert, solle das Gesetz die Verdächtigen isolieren helfen und mithin die Kommunikation mit anderen Häftlingen unterbinden. Dadurch könnten die Behörden verhindern, dass „ausländische Geheimdienste und terroristische Gruppen“ „ihre Agenten“ zu kontaktieren versuchten, um sie in weitere destabilisierende Aktivitäten zu verwickeln, so Piskarjow. „Destabilisierende Aktivitäten“ hängen maßgeblich mit den militärischen Erfolgen und den daraus resultierenden Reaktionen der Außenwelt ab – beispielsweise Sanktionen durch die Europäische Union. Trotz eines relativ stabilen Fundaments von Zustimmung, auf das das russische Regime bauen kann.
Gulag-Zielgruppe: Den Kreml beschäftigten vor allem mit zwei Gruppen – Kommentatoren und Aktivisten
„Insgesamt verstärken negative Kriegsentwicklungen typischerweise die Angst und die Unterstützung für Friedensgespräche, während sie die Zustimmung zur russischen Armee und zum Präsidenten verringern. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sich einige Befragte aus den konformistischen Gruppen vorübergehend vom Kreml distanzieren“, schreibt beispielsweise Maria Snegovaya. Die Analystin des US-Thinktanks Atlantic Council schränkt allerdings ein, dass „Stimmungsschwankungen“ innerhalb der Bevölkerung auch kurzfristig wieder von der Regierung eingefangen würden uns sich wieder egalisierten.
Den Kreml beschäftigten vor allem mit zwei Gruppen – Kommentatoren und Aktivisten, so Leonid Gozman; also all jene, die sich nicht mundtot machen ließen, wie er für Atlantic Council schreibt. „Die Aussichten für Russlands aktuelle Generation politischer Gefangener sind düster.“ Die Repression richte sich vor allem gegen Menschen, die nach Anschlägen gegen die Krimbrücke oder ukrainischen Vergeltungsschlägen auf russisches Kernland Kritik an der Regierung zu üben wagten, wie Le Monde schreibt. Der Vorwurf gegen sie habe oft gelautet: „Rechtfertigung oder Förderung des Terrorismus“ – die französische Zeitung vermutet, dass die Zahl politischer Gefangener aktuell bei mindestens 1.500 Personen liegt; andere Medien gehen von höheren Zahlen aus. Die Haftdauer betrage oft zehn Jahre oder mehr.
Putin hat Großes vor: Liste der Straftaten, die als regimefeindliche Aktivitäten gelten, wird immer länger
Sieben Gefängnisse unter erneuter Kontrolle des Geheimdienstes FSB listet t-online in folgenden Städten auf: Sankt Petersburg, „Lefortowo“ und Matrosskaja tischina“ in Moskau, Rostow am Don, Krasnodar, Wladikawkas, Tscheljabinsk. Jedes der sieben Gefängnisse habe schon zu Sowjetzeiten unter der Kontrolle des KGB gestanden, so t-online-Autor Simon Cleven. Die vom Menschenrechtsaktivisten Podrabinek befürchtete Stalinisierung ginge aber weiter, so Cleven. Ihm zufolge plane die Duma noch zwei weitere Gesetzesvorschläge: zum einen ein autonomes System für Gefangenentransporte zwischen den einzelnen Anstalten bezogen auf alle möglichen Transportmittel; zum anderen solle der FSB befugt werden, vermeintliche Unruhestifter innerhalb des Vollzuges zu bestrafen – vermutlich ohne richterliche Anordnung oder Konsultation.
Wladimir Putin früher: So stark hat sich der russische Präsident verändertFotostrecke ansehen
Offenbar hat Ex-KGB-Agent Wladimir Putin Großes vor mit dem FSB. Wie Leonid Gozman in seiner Analyse formuliert, steige nicht nur die Zahl der vermeintlich obstinaten Russen; auch die Liste der Straftaten, die als regimefeindliche Aktivitäten gelten, wird immer länger“, schreibt Gozman. Wie die Moscow Times einschätzt, seien sowohl die Gefängnisse als auch die sie bevölkernden Gesetzesnovellierungen, „Teil eines wachsenden Sicherheitsapparats, der nach Ansicht von Kritikern dazu eingesetzt wird, abweichende Meinungen zu unterdrücken, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und die Macht des Kremls inmitten des anhaltenden Krieges in der Ukraine zu festigen“.