Stuttgart. Familie sieht heute anders aus als noch vor wenigen Jahrzehnten: Patchwork, Regenbogenfamilie, alleinerziehend, Solo-Mutterschaft – und immer häufiger auch Co-Elternschaften. Bei diesem Modell gründen zwei oder mehr Menschen eine Elterngemeinschaft – ohne dabei ein Liebespaar zu sein. Wie alternative Familien-Modelle aussehen können und welche Chancen, aber auch Herausforderungen sie bieten, hat uns Familyship-Gründerin Christina Wagner erzählt. 

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Plattform Familyship gibt es schon seit 2011

Familyship ist eine Online-Plattform, die Menschen mit Kinderwunsch zusammenbringt – unabhängig von Partnerschaft oder sexueller Orientierung. Der Fokus liegt auf alternativen Familienmodellen wie Co-Elternschaft, Regenbogenfamilie, Solo-Mutterschaft oder Mehrelternschaft. Dabei gibt es meist viele verschiedene Möglichkeiten. Eine Regenbogenfamilie wird so definiert, dass mindestens ein Elternteil homosexuell ist. Gleichzeitig kann eine Regenbogenfamilie aber auch eine Co-Elternschaft sein. Das wäre der Fall, wenn sich zum Beispiel eine heterosexuelle Frau und ein schwules Männerpaar zusammenfinden.

Die Idee, eine Plattform wie Familyship zu gründen, entstand aus Christine Wagners persönlichem Kinderwunsch. „Ich war in einer Partnerschaft mit einer Frau und hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, was überhaupt eine Co-Elternschaft ist.“ Sie wünschte sich einen Vater, der für ihr zukünftiges Kind da ist, nicht nur als Samenspender. „Bei der Suche haben wir festgestellt, dass das gar nicht so einfach ist.“ Weil sie selbst nicht fündig geworden sind, habe sie mit ihrer damaligen Partnerin Miriam Förster Familyship gegründet. Das war 2011.

Mittlerweile etwa 15.000 Nutzer auf der Plattform Familyship

Grundsätzlich gebe es unterschiedliche Vorstellungen von Familienkonstellationen. Manche möchten lieber unter sich bleiben und seien mit einem Mann, der ausschließlich als Samenspender fungiere, vollkommen zufrieden. „Ich bin sicher, dass beides ganz wunderbar funktionieren kann. Ich persönlich habe mir aber gewünscht, dass mein Kind seine Wurzeln kennt und mit einem Vater aufwächst. Männer haben einfach noch einmal einen anderen Bezug zu Kindern.“

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Nach der Gründung von Familyship ließ der erste Zulauf nicht lange auf sich warten „Wir haben uns selbst gewundert. Es war ein bisschen so, als hätten viele nur auf eine Plattform wie Familyship gewartet.“ Dabei haben sich nicht nur Menschen aus der LGBTQ-Community angemeldet. „Immer mehr Zielgruppen, mit denen wir gar nicht gerechnet haben, sind nach und nach dazugekommen, so auch heterosexuelle Frauen zwischen 30 und 40 Jahren sowie Männer, die in keiner Partnerschaft leben. „Diese Gruppe hat eben auch einen Kinderwunsch und ohne Partner ist das schwer realisierbar.“ Mittlerweile seien es rund 15.000 Nutzer.

Auch Menschen in einer Partnerschaft mit einseitigem Kinderwunsch nutzen die Plattform. „So kann man seine Partnerschaft erhalten und eine Elterngemeinschaft zum Beispiel mit einem schwulen oder lesbischen Paar gründen oder eine alleinstehende Person miteinbeziehen.“ Letztendlich sei es so wie jede Dating-Plattform – nicht um einen romantischen Partner, sondern um einen Elternpartner zu finden. „Unser Ziel ist es auch, den Menschen andere Alternative und Möglichkeiten zum klassischen Familienmodell aufzuzeigen.“

Wie funktioniert die Vermittlung auf der Plattform?

Bei der Anmeldung muss man unter anderem angeben, ob man in einer Partnerschaft ist und welche Rolle man in der Familie haben möchte, also zum Beispiel aktiver Vater oder Vater mit Onkel-Funktion. Dasselbe gilt auch für Frauen. Die Suche lässt sich außerdem nach Region filtern. Zusätzlich kann man eine eigene Beschreibung verfassen. „Wir wollen das aber in Zukunft noch differenzierter darstellen und auch verschiedene Lebens- und Liebesmodelle noch näher abbilden“, so Wagner.

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Beratungsangebote: „Trauerbegleiterin ist oft extrem wichtig“

Während Nutzer die Treffen eigenverantwortlich organisieren und umsetzen, besteht bei Bedarf die Möglichkeit auf das Expertennetzwerk von Familyship zurückzugreifen. So gibt es zum Beispiel Kinderwunschberater, aber auch rechtliche Aspekte werden durch einen Rechtsanwalt für Kinderwunschrecht abgedeckt. Besonders wichtig sei außerdem eine Trauerbegleiterin. „Viele wachsen mit einem bestimmten Familienbild im Kopf auf. Sie müssen sich erst von ihrem geplanten Lebensmodell verabschieden und den Mut haben, sich auf etwas Neues einzulassen“, weiß Wagner. Das gleiche einem Trauerprozess.

Das bedeutet jedoch nicht, dass alternative Familienmodelle weniger gut gelingen. Kinder aus Co-Elternschaften seien „krasse Wunschkinder“, so Wagner. Zudem seien funktionierende Kommunikationsstrukturen ein wichtiger Faktor für den Erfolg eines solchen Modells.

Chancen und Herausforderungen

Alternative Familienmodelle eröffnen vielen Menschen neue Chancen: „Man kann seinen Kinderwunsch selbst in die Hand nehmen und ist einer romantischen Beziehung für seine weitere Lebensperspektive nicht ausgeliefert“, so Wagner. Dieses Wissen alleine, kann schon sehr viel Erleichterung schaffen. Selbst wenn man sich entscheidet, allein ein Kind zu bekommen, heiße das ja nicht, dass man sein Leben lang alleine bleiben muss und niemanden mehr kennenlernen kann. „Frauen müssen aber eben ein biologisches Zeitfenster einhalten, um Kinder zu bekommen.“

Gleichzeitig sind mit solchen Modellen auch Herausforderungen verbunden. In unserer Gesellschaft werden alternative Modelle oft noch nicht ausreichend akzeptiert und respektiert: „Menschen, die meinen, dass nur das traditionelle Familienbild und eine traditionelle Lebensweise, das einzig Wahre sind, machen es alternativen Modellen und Menschen, die darin leben, schwer“, weiß Wagner.

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Co-Elternschaften: Welches Recht haben Eltern?

Auch rechtlich stehen Menschen in einer Co-Elternschaft vor Herausforderungen – denn in Deutschland ist diese Familienform bislang nicht eindeutig geregelt. Die Vorgehensweise ist dieselbe wie bei nicht verheirateten Eltern.

Schwierig wird es vor allem, wenn mehr als zwei Personen beteiligt sind: Das Sorgerecht können in Deutschland nämlich nur zwei Personen übernehmen – unabhängig davon, wie viele tatsächlich involviert sind. Wer diese zwei Personen sind, muss bereits bei der Geburt festgelegt werden.