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Unbekannter Artillerist der russischen Armee mit einer 122mm-Granate für eine D-30-Haubitze in einem SchützengrabenFür seinen Präsidenten ein „wertloser Mensch“: Unbekannter Artillerist der russischen Armee mit einer 122mm-Granate für eine D-30-Haubitze. Fast eine Million seiner Kameraden sind bereits gefallen für eine fragwürdige Aktion. Ob er wieder nach Hause kommt und im Kreis seiner Familie alt werden kann, interessiert Wladimir Putin nicht im Geringsten. © IMAGO/Alexei Konovalov

Saarland erobert, Saarland entvölkert. Putins „Sicherheitsbedürfnis“ tötet Hunderttausende. Nato-General fürchtet, dass das weitergehen wird. Lange.

Moskau – „Derzeit sind die Grenzen von Putins Ambitionen schwer zu erkennen“, schreibt Thomas Graham. Der Analyst des US-Thinktanks Council on Foreign Relations (CFR) behauptet, Putins Krieg in der Ukraine drehe sich um weit mehr als nur um Gebietsgewinne; vielmehr darum „Russlands globalen Einfluss zurückzugewinnen und möglicherweise Europas Grenzen neu zu ziehen“, so Graham. Putin selbst steckt aber inzwischen stumpf seinen Claim weiter ab: Allein in diesem Jahr hätten Wladimir Putins Invasionstruppen im Zuge des Ukraine-Krieges gegnerisches Territorium geraubt in der Größe des Saarlandes behauptet die Bild.

Das wären 2.569 Quadratkilometer – das Saarland ist das kleines Flächenland Deutschlands, die Ukraine mit 603.628 Quadratkilometern das größte Land, dass vollständig in Europa liegt. Insofern hören sich die russischen Gebietsgewinne phänomenal an, nehmen sich aber bescheiden aus im Vergleich zum Vorhaben Putins, das Land beziehungsweise dessen Regierung wieder unter sowjetische Kontrolle zu bringen. Zumal das russische Oberkommando mit dem Frontverlauf keineswegs zufrieden sein kann. Denn trotz dauernder Vorstöße kommt Russland in seinen Expansionsbemühungen keinen entscheidenden Schritt weiter.

Im Osten (der Ukraine) nichts Neues: Die russischen Streitkräfte setzten am 19. Juli ihre Offensive fort

„Die russischen Streitkräfte setzten am 19. Juli ihre Offensive in … fort, kamen jedoch nicht weiter“, ist der Standard-Satz, den der US-Thinktank Institute for the Study of War in seinen täglichen Berichten von fast allen Frontabschnitten wiederholt: Sozusagen im Osten (der Ukraine) nichts Neues. „Gleichzeitig bestreitet Putin jegliche territorialen Ambitionen“, schreibt Thomas Graham, um den Ukraine-Krieg in seinem alltäglichen Grauen zu erklären. Der Analyst des CFR betont, dass Wladimir Putin immer behauptet habe, ihm sei nur daran gelegen, „eine ernste Bedrohung für Russlands Sicherheit zu beseitigen“, wie er schreibt. Die hätte lediglich in der sukzessiven Annäherung der Ukraine an westliche Bündnisse bestanden. Zwischenzeitlich hatte Russland auch gesprochen von einer Pufferzone entlang seiner Grenze – ein entmilitarisierter Grenzstreifen.

„Die Armee ist jetzt sogar 15 Prozent größer als zum Zeitpunkt des Einmarsches in die Ukraine.“

Inzwischen hat Russland seinen Fuß auf vier ukrainischen Verwaltungsbezirken: Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja; dort wird auch versucht, die Bevölkerung zu russifizieren, indem die Verwaltung an russische Standards angepasst wird. Als „unredlich“ brandmarkt Graham denn auch Putins wiederholte Mär von der zu suchenden „Sicherheit“ für sein Staatsgebiet: „Territorium und Sicherheit sind im russischen strategischen Denken seit Jahrhunderten untrennbar miteinander verbunden. Die Frage ist, wie viel Territorium Putins Meinung nach Russland beherrschen muss, um sich sicher zu fühlen“, so Graham.

Die zweite Frage lautet, inwieweit Russland inzwischen von Panik getrieben ist, weil sich die Ergebnisse dieses nach innen als „Spezialoperationen“ verkauften völkerrechtswidrigen Überfalls auf ein Nachbarland schwerlich als „Erfolge“ darstellen lassen. Im Gegenteil klingt der aktuelle Tagesbericht des ISW eher nach einem Zusammenbruch der Operation auf Raten – obwohl die Situation in Nowopawliwka bei Donezk nur ein Schlaglicht auf das Frontgeschehen wirft und kaum direkt auf andere Frontabschnitte zu übertragen ist. Obwohl die Unterschiede marginal sein dürften.

Ukraine macht Boden gut: Russland hat wohl zum wiederholten Mal seine Taktik geändert

Russland habe wohl zum wiederholten Mal seine Taktik geändert – was kaum für eine durchdachte Strategie sprechen dürfte, sondern im besten Falle für Hilflosigkeit oder eher schon für nackte Panik. Laut einer in Richtung Nowopawliwka operierenden ukrainischen Brigade sollen die Russen ihre bisherigen kleinen Infantriegruppen noch weiter verkleinert haben und jetzt ausschließlich auf Trupps setzen, um ukrainische Stellungen einzunehmen: Von „Feuerteams aus zwei bis drei Soldaten“ spricht das ISW. Darüberhinaus hat Russland seine Überfall-Taktik mit Motorrädern jetzt offensichtlich den Realitäten angepasst und ad acta gelegt.

„Sie würden jetzt hauptsächlich Motorräder zum Transport von Munition oder Personal verwenden und dann zu Fuß die zehn bis 15 Kilometer zu den Frontstellungen laufen, um dort anzugreifen“, reportiert das ISW aufgrund der Meldungen der ukrainischen Verteidiger. An der Front fänden die Soldaten dann schnell den Tod, so die Meldung des ukrainischen Sprechers. Laut aktuellen Schätzungen verschiedener Medien hat Russland in der Ukraine nicht nur die Fläche des Saarlandes erobert, sondern Wladimir Putin hat auch an Kräften nahezu die Bevölkerungszahl des Saarlandes verheizt: Ungefähr eine Million Menschen bevölkern das kleine Bundesland; geschätzt mehr als 900.000 Kräfte waren bereits Anfang dieses Jahres für Putins apostrophiertes „Sicherheitsbedürfnis“ draufgegangen.

Putins Weg: Barbarische Disziplinarmaßnahmen ohne Rücksicht auf das Leben seiner Untergebenen

Allerdings würde bisher noch jedes russische Opfer in Windeseile wieder ersetzt werden – Opfer wohl auch des eigenen Feuers: Dem ISW wurde berichtet, „dass das russische Militärkommando barbarische Disziplinarmaßnahmen ohne Rücksicht auf das Leben seiner Untergebenen verhänge, da so häufig Verstärkung eintreffe“. Trotz aller Meldungen von Gebietsgewinnen da, Frontverschiebungen dort, eroberten Westpanzern oder erfolgreicher elektronischer Kriegsführung. Unbestreitbar hat die militärische Führung die Marschrichtung dieser „Spezialoperation“ verfehlt und ist jetzt bemüht, den Schaden möglichst gering zu halten, indem sich die russischen Truppen an ihren Frontvorsprüngen festkrallen.

„Die Hauptaufgabe besteht stets darin, die Streitkräfte des Gegners zu besiegen und seine Kampfkraft und seinen Willen zum Weiterkämpfen zu brechen. In den Jahren 2023 und 2024 ist es der russischen Armee nicht gelungen, diese Aufgabe zu erfüllen“, schreibt Pavel Luzin. Der Analyst des US-Thinktanks Center for European Policy Analysis (CEPA) hat 2025 zum Jahr der Wahrheit für Wladimir Putin erkoren – wegen des grassierenden Mangels an Soldaten wird Russland schwerfallen, seine besetzten Territorien lange zu halten; geschweige denn auszubauen. Mit einer möglichen Teilmobilisierung würde Putin seinem Volk die Wahrheit über seinen Krieg unter die Nase reiben müssen – möglicherweise hat er deshalb bereits jetzt die Strafverfolgung für „politische“ Vergehen teilweise seinem Geheimdienst FSB überantwortet – als würde er mit gesellschaftlichen Verwerfungen rechnen, weil er schon ahnt, dass er sein Volk stärker wird drangsalieren müssen.

Nato-Experten ernüchtert: Russland könne sich leisten, in der Ukraine eine Niederlage einzustecken

Putins Aggression gegen die Ukraine sei deutlich mehr als opportunistische Expansion auf der Suche nach Sicherheit. „Die Herrscher Russlands rechtfertigen seit Mitte des 15. Jahrhunderts ihre Landnahmen in Europa auch mit der ,Ansammlung russischer Länder‘“, so Thomas Graham. Russland wird also weiter marschieren in Richtung des Kerns der Ukraine, weil sich Putin, nach Meinung des Analysten in die Tradition der vorherigen russischen Potentaten einzureihen bemühe. Koste es, was es wolle.

Putins Zirkel der Macht im Kreml – die Vertrauten des russischen PräsidentenWladimir Putin, Jewgeni Prigoschin, Ramsan Kadyrow, Sergej Lawrow, Dimitri Medwedew, Alina Kabajewa, Wladimir Solowjow, Alexander Bortnikow, Sergej Schoigu, Kyrill I., Aleksander Dugin, Nikolai Patruschew, Sergej NaryschkinFotostrecke ansehen

Russland könne sich leisten, in der Ukraine eine Niederlage einzustecken, behaupten aktuell Collin Meisel und Mathew Burrows. „Können die russischen Streitkräfte im anhaltenden Krieg in der Ukraine ähnliche Verluste verkraften und sich für einen späteren Zeitpunkt wieder aufstellen?“, fragen die beiden Analysten im Magazin War on the Rocks. „Die wahrscheinliche Antwort lautet ,Ja‘ und spiegelt die Haltung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen über ein Ende des Krieges wider.“ Meisel und Burrows zitieren als Beleg für ihre steile These General Christopher Cavoli: „Russland baut diese Streitkräfte weitaus schneller wieder auf, als unsere ersten Schätzungen vermuten ließen“, hat der Oberbefehlshaber der Nato in Europa geäußert.

Auch wenn Russland aufgrund des demographischen Wandels rund dreieinhalb Millionen Männer im wehrfähigen Alter fehlen werden, ist kaum davon auszugehen, dass die russische Armee in ihrer Schlagkraft aufgrund der schieren Masse nachlassen könnte, wie Cavoli aufgrund der momentanen Situation an den Fronten in der Ukraine befürchtet: „Die Armee ist jetzt sogar 15 Prozent größer als zum Zeitpunkt des Einmarsches in die Ukraine.“