Stuttgart. Am 26. Juli findet in Stuttgart die große CSD-Demo der Stuttgart Pride 2025 statt. Gruppen junger Rechtsextremisten haben zuletzt mehrfach CSD-Veranstaltungen bedroht. Parallel dazu macht die AfD seit Jahren Stimmung gegen queere Menschen – und nun will Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) auch noch die Regenbogenfahne abschaffen, die sonst zum Christopher Street Day vom Bundestag wehte. „Die Sorge ist groß“, sagt Lars Lindauer aus dem Vorstand des CSD Stuttgart e.V. – unterkriegen lassen will man sich aber nicht.

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Angriffe auf queere Menschen: CSD-Demos im Fokus rechtsextremer Gruppen

Im vergangenen Jahr zählte die Amadeu-Antonio-Stiftung 55 Angriffe, „in denen rechtsextreme Gruppen gezielt CSD-Demos, deren Teilnehmende, sowie die Infrastruktur rund um die Veranstaltung gestört, bedroht und angegriffen haben.“ Darunter auch Vorfälle in Baden-Württemberg. „Solche Angriffe müssen wir auch 2025 wieder erwarten“, so die Stiftung. Die baden-württembergische Fach- und Beratungsstelle „Leuchtlinie“ vermeldete einen drastischen Anstieg der Gewalttaten gegen queere Menschen, auch bei CSD-Veranstaltungen. „Besonders beunruhigend ist für die Verantwortlichen in diesem Zusammenhang das verstärkte Auftreten junger extrem rechter, queerfeindlicher Gruppierungen “, hieß es dazu.

Gruppen, von denen die „Leuchtlinie“ spricht, zeigten sich im März bei einer Demo in der Stuttgarter Innenstadt. In Stuttgart wurden außerdem vor wenigen Monaten Regenbogenfahnen gestohlen, zerschnitten und angezündet. Wie nimmt man das im CSD-Orga-Team wahr? „Die Bedrohung von Rechts ist schon sehr real“, sagt Lars Lindauer. Man stehe dazu im Vorfeld der Demo im Austausch mit den Sicherheitsbehörden. Konkrete Androhungen gebe es momentan keine, aber „es gibt immer eine latente Bedrohung“, sagt er. „Mir kommt es vor, als ob rechtsextreme Gruppen die CSDs entdeckt haben, als Ort, um für ihre Sache zu werben.“

Regenbogenfahne

PanoramaCSD-Demos sehen sich zunehmend Bedrohungen ausgesetzt


AfD, TikTok & Co.: „Die Sorge ist groß“

Der Hass und die Ablehnung, die solchen Veranstaltungen online schon lange entgegengebracht werden, hätten sich mittlerweile in die „Offline-Welt“ übertragen. Aus westdeutscher Sicht habe man das lange für ein ostdeutsches Phänomen gehalten, so Lindauer. „Spätestens dieses Jahr hat gezeigt, dass das nicht so ist.“ Menschen, die für Gleichberechtigung auf die Straße gehen, würden bedroht, der Online-Diskurs werde von rechten Narrativen bestimmt. „Die Sorge ist groß. Die AfD, aber auch andere, bedienen auf Social Media vorrangig alte Geschichten, die man sich über Schwule und Lesben, über trans Menschen erzählt“, sagt Lindauer. Vorurteile und Fehlinformationen würden über TikTok auch junge Leute erreichen. „Und ich dachte, wir wären sehr viel weiter.“

Beispiel Regenbogenfahne: „Die Flagge wurde jahrelang online angegriffen, wurde zum Symbol, das man ablehnt“, sagt Lindauer. Man habe behauptet, dass das bald „die neue Deutschland-Flagge“ sei oder sie bald überall wehe – „das ist Quatsch“. Dennoch seien viele junge Menschen mit rechten Narrativen wie diesen im Internet sozialisiert worden. Das mache sich nun verstärkt bemerkbar.

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„Wahnsinnig unnötig“: Klöckner und die Regenbogen-Fahne

Letztens sei Lars Lindauer an der St.-Maria-Kirche in Stuttgart vorbeigelaufen, an der seit Jahren eine Regenbogenfahne weht. Er habe junge Menschen, er schätzt sie auf 17-18 Jahre alt, sagen hören: „Die Fahne verschandelt das ganze schöne Gebäude, was soll das?“ – während er davon erzählt, zeigt er ein Regenbogen-Armband, das er trägt. „Ich habe gedacht: Ich bin fast 40, ein weißer Cis-Mann, der oft nicht queer gelesen wird. Aber wenn die jetzt mein Bändchen sehen, kriege ich dann auch einen blöden Spruch? Das ist keine schöne Entwicklung.“ Früher habe man in der queeren Community gedacht: Wenn die jungen Leute kommen, wird alles besser. „Ich glaube, diese Hoffnung wird sich nicht bewahrheiten.“

Dass der rechte Online-Diskurs über Regenbogenfahnen nun mit Julia Klöckner auch den Bundestag erreicht, findet Lindauer „wahnsinnig unnötig“. Er sagt: „Das macht viel mehr kaputt an Vertrauen in diese Bundesregierung als nötig.“ Die Debatte schwäche die queere Community und schiebe sie in eine bestimmte Ecke. Klöckner argumentiert mit „Neutralität“. Die AfD verunsichere mit diesem Begriff seit Jahren. „Die Partei hat dafür gesorgt, dass man in Stadtverwaltungen und anderen Gremien Dinge lieber nicht macht, Themen lieber nicht anspricht – weil man Angst vor einer AfD-Anfrage im Gemeinderat, im Landtag oder Bundestag hat.“ Diese Unsicherheit werde auch an die CSD-Orga herangetragen. „Bei uns kommt dann an: Das müssen wir jetzt wohl aushalten. Dann gibt es eben keine Regenbogenfahne.“

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CSD-Demo als Ort für queere Menschen: „Zeigen, dass wir hier dazugehören“

Dabei sei es aus seiner Sicht ein „wichtiges, richtiges Zeichen, dass diese Fahne weht“ – insbesondere am Bundestag. „Sie ist eine Fahne für Freiheit, für Gleichheit, für Sicherheit.“ Auch wenn es sich um ein selbst gewähltes Zeichen der queeren Community handle, könne sich „theoretisch jeder darunter versammeln“. Problematisch findet Lindauer, dass man in solchen Debatten „in eine Verteidigungsposition“ komme, obwohl es eigentlich darum gehe, „Forderungen auf die Straße zu bringen.“

Auch hier gebe es regelmäßig Missverständnisse, die durch rechte Narrative verstärkt werden, sagt Lars Lindauer. „Wir demonstrieren nicht für mehr Rechte, sondern für die gleichen Rechte. Aber es wird uns ausgelegt, als würden wir mehr wollen, besonders sein wollen und allen auf den Geist gehen mit unseren Forderungen.“ Man wolle nicht mehr Sichtbarkeit, man wolle überhaupt sichtbar sein. Statt auf dem Cannstatter Wasen zu demonstrieren, ziehe man deshalb durch die Innenstadt. „Einmal im Jahr wollen wir einen Ort schaffen für queere Menschen, um mitten in der Stadt stattfinden zu können. Um zu zeigen, dass wir hier dazugehören.“

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Kämpferische Haltung: „Wir halten das aus“

In Stuttgart und aus Baden-Württemberg gebe es dafür viel Unterstützung. „Dafür sind wir sehr dankbar“. Regenbogenfahnen wehen am Rathaus und am Hauptbahnhof, am Landtag werde zum CSD eine wehen, auf dem Neuen Schloss und am Sozialministerium. „Unsere Landesregierung vertritt andere Positionen als die Bundesregierung.“

Von der rechten Bedrohung will man sich beim CSD in Stuttgart nicht einschüchtern lassen, sagt Lindauer. „Wir wollen – es klingt immer abgedroschen – standhaft bleiben, dagegenhalten, Leuten nicht den Diskurs überlassen.“ Ihm ist bewusst, dass seine Situation eine andere ist als die Situation junger trans Menschen in ländlichen Gegenden, denen es „richtig schlecht“ gehe. Aber er hält die queere Community insgesamt für resilient. „Wir haben schon andere Dinge überstanden und werden auch das überstehen – auch wenn wir uns blaue Augen holen. Wir halten das aus.“