Hätte ich doch Jura studiert … denkt so mancher Architekt heute. Auch und gerade in Berlin. Hier stöhnen zwar wirklich alle, die irgendetwas mit dem Bauen zu tun haben, über teures Material, über ein Schulsystem, das kaum noch Maurer-Rechnen vermittelt, über langsame und sich mit Lust widersprechende Verwaltungsentscheidungen.
Vor allem aber wird der Vorschriftenwust beklagt. Seinetwegen hat inzwischen jedes Architekturbüro Fachanwälte parat, um Klagen der Klienten zu begegnen oder sich gegen die Verwaltungen durchzusetzen.
Nikolaus Bernau Nikolaus Bernau ist Architekt und Kunsthistoriker, lebt in Berlin und Hamburg, forscht und lehrt zur Denkmalpflege-, Wohnungsbau-, Museums- und Bibliotheksgeschichte.
Mehr als 20.000 Bauvorschriften soll es inzwischen in Deutschland geben: Jedes der 16 Bundesländer hat seine eigene Bauordnung, dazu kommt das seit 1976 geltende Bundesbaugesetzbuch, die Sonderregeln von 2057 Städten und 8694 Gemeinden, die Bestimmungen der Kirchen, der Bundesbaubehörden, der Deutschen Bahn … An Bau-Regelungslust ist Deutschland kaum zu übertreffen. Was nach grobem Überblick erst etwa seit 100 Jahren beklagt wird.
Denn die Interessen daran, den Wust aufrechtzuerhalten, sind groß. Die Bauwirtschaft etwa kann immer neue Bauwellen fordern, indem einstige Sonderregelungen zum Normalfall gemacht werden. Siehe den Paradefall Schallschutz – wenn Berlin in der Kaiserzeit mit heutigen Schallschutzregeln hätte gebaut werden müssen, gäbe es diese Stadt gar nicht.
Juristen haben ein Lebensarbeitsfeld. Investoren, Hausbesitzer, Architekten, auch Mieter können Probleme abwälzen auf angeblich fehlende Normen. Politiker, die immer schärfere Bauvorschriften formulieren, können Wählerinnen und Wähler glücklich machen. Der neue Komfort ist dann auch einklagbar. Neue Normen aber werden schnell als total veraltet bezeichnet, was die Bauwirtschaft animiert … siehe oben. Ein Teufelskreis.
Politiker dagegen, die pragmatisch sagen, richten wir doch flächendeckend in Siedlungsbereichen 30-Kilometer-Zonen ein; pflanzen wir schallschluckende Bäume und Wandgrün, wo es nur geht; fördern wir gezielt leise E-Motoren und das Fahrradfahren statt tuckernder Dieselfahrzeuge; fördern wir statt Gentrifizierung die soziale Mischung, weil sie aller Erfahrung nach die soziale Kontrolle – etwa bei Kinder- und Partylärm – steigert, die werden als Freiheits-, Auto-, Wirtschafts-, Kinder- oder Clubfeinde diffamiert.
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Dabei sparte all das – ganz ohne neue Vorschriften – nach Angaben von Fachleuten bereits den Einbau von Hunderttausenden Lärmschutzfenstern – die übrigens auch raumklimatisch oft ein Desaster sind.
Ob die ein bisschen entschlackte neue Berliner Bauordnung, die seit 2023 gilt, und das „Schneller-Bauen-Gesetz“ von Ende 2024 hier fundamentale Abhilfe schaffen, muss sich erst noch zeigen. Sicher aber ist: Es darf nicht die letzte Reform sein. Und sei es nur, weil immer noch in Staaken das eine, in Nauen aber anderes Baurecht gilt.