faktenfinder
Im ARD-Sommerinterview war die AfD-Vorsitzende Weidel zu Gast. Nicht alle ihre Behauptungen halten einer Überprüfung stand, zum Beispiel gibt es deutlich weniger ausreisepflichtige Syrer als behauptet.
Von Alice Echtermann, NDR, Carla Reveland, ARD-faktenfinder, Sarah Schmidt, Deutschlandradio und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder
Migration und Asyl waren beim Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel eines der am ausführlichsten behandelten Themen. Doch nicht nur in diesem Gebiet waren ihre Aussagen falsch oder zumindest irreführend.
Da es während eines solchen Gesprächs nicht immer möglich ist, falsche oder irreführende Behauptungen sofort zu korrigieren, werden hier einige Aussagen von Weidel noch einmal genauer beleuchtet. Der Artikel wird laufend aktualisiert.
Falsche Zahl zu ausreisepflichtigen Syrern
Sowohl im ARD-Sommerinterview als auch in dem anschließenden Teil mit Fragen der Community behauptete Weidel, in Deutschland lebten 215.000 Syrer, die ausreisepflichtig seien und keinen Aufenthaltstitel hätten. Das ist falsch. Wie aus einer Antwort der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf eine Anfrage hervorgeht, waren bundesweit zum Stichtag 30. April 2025 insgesamt 224.637 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig. Dabei handelt es sich aber nicht nur um Syrer.
Wie der Spiegel berichtete, lebten im März 2025 10.729 ausreisepflichtige Syrer in Deutschland, davon waren rund 90 Prozent geduldet. Bei Personen mit dem Status einer Duldung ist die Abschiebung ausgesetzt.
Wie die Bundesregierung im Juni 2024 mitteilte, stellen Syrer in den meisten Bundesländern nicht die Mehrheit der Ausreisepflichtigen. So waren in Mecklenburg-Vorpommern 6,75 Prozent von ihnen Syrer, in Niedersachsen 4,42 Prozent, im Saarland 35,73 Prozent. Nur bei 128.355 der damals 226.882 ausreisepflichtigen Personen (57 Prozent) war ein abgelehnter Asylantrag gespeichert. Davon hatte wiederum der Großteil (86 Prozent) eine Duldung.
Ungeachtet dieser Fakten forderte Weidel im ARD-Sommerinterview, alle ausreisepflichtigen Syrer abzuschieben. In Syrien sei es jetzt sicher, nachdem Baschar al-Assad gestürzt worden sei, behauptete sie. Aufgrund des Machtwechsels in Syrien sind Entscheidungen über Asylverfahren von Syrern derzeit noch ausgesetzt. Die Lage im Land ist aktuell nicht stabil, es gibt immer wieder Kämpfe.
Merz hat nicht „alle Wahlversprechen gebrochen“
Zudem sagte Weidel, sie habe Bundeskanzler Friedrich Merz „zu Recht“ als Lügenkanzler bezeichnet, weil er „alle Wahlversprechen gebrochen“ habe. Als Beispiele nannte Weidel die versprochene Abschaffung des Heizungsgesetzes und die Migrationswende, die beide „abgeräumt“ seien. Zwar hat die Regierung Merz nicht alle angekündigten Vorhaben vor der Sommerpause durchgesetzt, dies bedeutet jedoch nicht, dass diese komplett vom Tisch sind.
Gerade zum Thema Migration brachte die neue Bundesregierung bereits mehrere Gesetzentwürfe ein. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ging bereits vor der Sommerpause durch den Bundestag und Bundesrat, auch eine Aussetzung der Einbürgerung nach drei statt fünf Jahren brachte die Regierung auf den Weg. Auch ein Investitionsprogramm zur Stärkung des Wirtschaftswachstums ist bereits verabschiedet.
Richtig ist, dass sich die Union zur angekündigten Rücknahme des sogenannten Gebäudeenergiegesetzes seit ihrem Regierungsantritt noch nicht konkret geäußert hat. Zuletzt sprach der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung, der für die Klimapolitik zuständig ist, von einer Reform des Gesetzes, bei der die „Überregulierung“ zurückgenommen werden soll.
Bei Einbürgerungen in Berlin fehlt Kontext
Als Beleg für eine angebliche Kehrtwende in der Migrationspolitik führte Weidel an, das CDU-geführte Berlin hätte in diesem Jahr freiwillig seine Zielvorgabe für Einbürgerungen auf 40.000 Fälle verdoppelt. Weidel bezieht sich dabei offenbar auf einen Artikel der Bild. Begleitet wird der Artikel von Bildern einer Torte, mit der vermeintlich 20.000 Einbürgerungen im Jahr 2024 gefeiert wurden – laut B.Z. stammen die Bilder von einer Weihnachtsfeier des Landesamts für Einwanderung aus dem letzten Jahr.
Weidels Darstellung fehlt hier wichtiger Kontext. Die Zielvorgabe von 40.000 Einbürgerungen im Jahr 2025 bezieht sich auf die Arbeit des Landesamtes für Einwanderung, das sich seit dem 1. Januar 2024 zentralisiert um Einbürgerungen und andere Staatsangehörigkeitsangelegenheiten kümmert. Zuvor waren Einbürgerungsanträge in den Bezirksämtern bearbeitet worden.
Bei seinem Start übernahm das Landesamt ungefähr 40.000 Altfälle aus den Bezirken, die Anträge reichen teilweise bis ins Jahr 2005 zurück. Durch einheitliche Verfahren und Digitalisierung der Prozesse konnten nach Angaben des Landesamts im ersten Jahr mit 20.000 abgeschlossenen Einbürgerungen bereits deutlich mehr Anträge abgearbeitet werden – im Vorjahr schafften die Bezirke demnach nur 8.000 Einbürgerungen.
Dieser Erfolg wurde offenbar mit einer Torte gefeiert. Die Anhebung des Jahresziels für 2025 ist bereits seit Januar 2025 bekannt – das Jahresziel wurde also schon vor der Bundestagswahl 2025 festgelegt. Weitere Behauptungen zum Bild-Bericht, der sich auf eine anonyme Quelle bezieht, lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Angaben zur Ukraine-Hilfe nicht nachvollziehbar
Zum Thema Krieg in der Ukraine behauptete Weidel, dass die schwarz-rote Regierung der Ukraine neun Milliarden Euro an deutschem Steuergeld schenke und jetzt für fünf Milliarden Euro Patriot-Raketen für die Ukraine einkaufe. Doch das lässt sich mit offiziellen Quellen nicht bestätigen, die tatsächlichen Zahlen sind niedriger.
Seitdem die schwarz-rote Regierung im Amt ist, hat sie zunächst Ende Mai militärische Unterstützung für die Ukraine in Höhe von rund fünf Milliarden Euro zugesagt. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums handelte es sich dabei unter anderem um die Finanzierung von weitreichenden Waffen, die in der Ukraine produziert werden, und die Lieferung von Flugverteidigungssystemen.
Hinzu kommen aktuelle Meldungen, dass Deutschland den USA zwei Patriot-Systeme für zwei Milliarden Euro abkaufen wolle, um sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Die Verhandlungen seien „sehr konkret“, sagte Bundeskanzler Merz vor wenigen Tagen. Ursprünglich war geplant, zwei Patriot-Systeme für jeweils etwa eine Milliarde Euro in den USA zu kaufen und direkt in die Ukraine zu bringen. Da sie aber nicht sofort lieferbar sind, soll nun die Bundeswehr zunächst zwei von ihren noch neun Patriots an die Ukraine abgeben und später Ersatz aus den USA bekommen.
Somit lassen sich derzeit lediglich Ausgaben in Höhe von fünf Milliarden Euro für die Ukraine seit Beginn der neuen Legislaturperiode belegen – und nicht neun, wie von Weidel behauptet. Auch die Patriot-Systeme wären mit zwei Milliarden Euro deutlich günstiger als die fünf Milliarden Euro, die Weidel genannt hat.
Weidels Zweifel an menschengemachtem Klimawandel
Nach dem Sommerinterview beantwortete Weidel noch Fragen aus der tagesschau-Community. Auf die Frage, warum die AfD den menschengemachten Klimawandel leugne, bekräftigte Weidel ihre Skepsis gegenüber der Wissenschaft generell und zog den menschengemachten Klimawandel in Zweifel. Sie sagte: „Der Nachweis, dass der Klimawandel menschengemacht ist – also allein, monokausal, der ist doch gar nicht erbracht.“ Das IPCC habe dies nicht nachgewiesen.
Das ist falsch. So kommt der Weltklimarat (IPCC) in seinen Berichten, welche den aktuellen Stand der Klimawissenschaft zusammenfassen und bewerten, seit Jahren zu dem Schluss, dass der aktuelle Klimawandel überwiegend menschengemacht ist. Im Synthesebericht zum Sechsten IPCC-Sachstandsbericht heißt es etwa wörtlich: „Menschliche Aktivitäten haben eindeutig die globale Erwärmung verursacht, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen.“
99,9 Prozent überzeugt von menschengemachtem Klimawandel
Neben dem IPCC belegen zahlreiche Studien, dass es unter Klimaforschern Konsens ist, menschliche Aktivitäten als Hauptursache der laufenden globalen Erwärmung zu sehen. Der US-Geologe James Powell untersuchte Zehntausende Fachveröffentlichungen zum Klimawandel und kommt zu dem Schluss, dass 99,9 Prozent der erfassten Wissenschaftler dem Konsens folgen.
Ohne den Einfluss von Treibhausgasen, die durch Industrie, Verkehr, Energieerzeugung und Landwirtschaft entstehen, ließen sich die aktuellen Temperaturanstiege nicht erklären. „Der Einfluss des Menschen hat die Atmosphäre nahe der Erdoberfläche in einem Maße erwärmt, wie es seit mindestens 2.000 Jahren nicht mehr der Fall war – und das in den letzten 50 Jahren mit einer beispiellosen Geschwindigkeit“, heißt es in einem Paper des Klimakonsortiums.
Weidels Aussage, es gebe keinen „monokausalen Beweis“, verkennt die wissenschaftliche Praxis. In der Klimaforschung geht es nicht darum, eine einzelne Ursache in völliger Isolation zu beweisen, sondern den dominanten Einflussfaktor zu identifizieren. Und dieser ist nach übereinstimmender Bewertung der Forschung der Mensch.
Die Termine der kommenden Sommerinterviews
3. August: Felix Banaszak, Grüne
10. August: Bärbel Bas, SPD
17. August: Jan van Aken, Linke
24. August: Markus Söder, CSU