Trotz Transfers für 122 Mio.  

Southampton: Wie die Saints zum Premier-League-Rekord-Absteiger wurden

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Der FC Southampton steht sieben Spieltage vor Schluss als erster Absteiger fest – so früh wie kein Team in der Premier-League-Geschichte zuvor. Trainer Ivan Juric wurde am Montag von seinen Aufgaben entbunden. U21-Coach Simon Rusk und Spieler-Co-Trainer Adam Lallana sollen nun den schlimmsten Fall noch abwenden: Die Saints könnten mit zehn Punkten nach 38 Spielen als schlechtestes Team in die Geschichte eingehen. Dabei ist der Absturz kein Zufall, sondern ein Sinnbild dafür, wie fehlgeleitete Entscheidungen der sportlichen Führung in einem ohnehin schon fragilen System in England zum Kollaps führen können.

Vor dieser Saison schien das Momentum noch auf Seiten Southamptons zu sein. Die Saints hatten trotz eines großen Umbruchs den direkten Wiederaufstieg geschafft. Nach dem unrühmlichen Abstieg in der Saison 2022/23 hatte sich die Führungsetage mit Russell Martin als Trainer für eine ballbesitzorientierte Spielidee entschieden, die sich deutlich von Ralph Hasenhüttls jahrelangem Ansatz abhob, nach hohen Ballgewinnen den sofortigen Weg zum Tor zu suchen. Das Vertrauen in Martins Ansatz machte sich bezahlt: Southampton setzte sich im Playoff-Finale der Championship gegen Leeds durch (1:0) und kehrte direkt in die Premier League zurück.

Southampton: Viele Neuzugänge, wenig Qualität

Die Führungsetage des Klubs bemühte sich darum, einen großen Teil der Einnahmen der rund 160 Millionen Euro für den Premier-League-Aufstieg in den Kader zu investieren. Über die gesamte Saison gaben die Saints 122 Mio. Euro für neue Spieler aus – mehr als große Vereine wie Arsenal, Liverpool oder Newcastle. In Summe kamen im Sommer 13 Spieler, die für den Profi-Kader vorgesehen waren. Dennoch hatte Trainer Martin schon zu Saisonbeginn im August bei einem Fan-Forum – in Anwesenheit von Klub-CEO Phil Parsons – die Kaderplanung kritisiert und moniert, dass man die Mannschaft gegenüber der Vorsaison nicht verbessert habe.

Der Schotte spielte damit darauf an, dass mit Taylor Harwood-Bellis (Ablöse: 23 Mio. €) und Flynn Downes (17,85 Mio. €) ein Großteil der Ausgaben auf zwei Spieler entfiel, die bereits in der 2. Liga als Leihspieler zur Verfügung standen. Um seine Spielidee in der Premier League verwirklichen zu können, wünschte sich Martin laut „The Athletic“ Matt O’Riley, Liam Delap und Jack Clarke, die allesamt zu Konkurrenten gingen. Letztere sogar zum Mitaufsteiger Ipswich Town. Als einziger prominenter Name wurde auf Wunsch des Trainers Torwart Aaron Ramsdale für 21,4 Mio. € von Arsenal geholt. Er sollte den langzeitverletzten Gavin Bazunu ersetzen.

Dass die Kaderqualität in der Premier League nicht ausreichen würde, um Martins mutigen Spielstil erfolgreich verfolgen zu können, zeigte sich schon in den ersten Wochen nach Saisonstart. Obwohl die Saints in den ersten drei Spielen gegen Newcastle, Forest und Brentford deutlich mehr Ballbesitz hatten, standen null Punkte und gerade mal ein Tor zu Buche. In den ersten neun Premier-League-Spielen holte Southampton nur einen einzigen Punkt. Im zehnten Anlauf konnte die Mannschaft schließlich den ersten Sieg (1:0 gegen Everton) einfahren, doch in den Folgewochen setzte es wiederum enttäuschende Resultate. 

Southamptons Probleme: Individuelle Fehler und fehlende Kreativität

Die großen Probleme in Southamptons Spiel lagen auf der Hand: Der Versuch, mit spielerisch limitierten Verteidigern ein ruhiges Aufbauspiel gegen pressingstarke Gegner aufzuziehen, führte zu vielen individuellen Fehlern. In den ersten zehn Liga-Spielen kassierten die Saints allein auf diese Weise sechs Gegentore. Dazu schafften es die Offensivspieler selten, die durch die Spielidee benötigte Kreativität im letzten Spieldrittel abzurufen. Der einzige Lichtblick war das 19 Jahre alte Top-Talent Tyler Dibling (Marktwert heute: 25 Mio. €). Zu diesem Schluss war auch Martin selbst gekommen: „Abgesehen von Tyler haben wir so jemanden nicht. Jemanden, der aus dem Nichts etwas bewegen kann.“ Trotz der offensichtlichen Probleme, die Spielidee auf Premier-League-Niveau umsetzen zu können, wich Martin nie von seinem Ansatz ab.

Obwohl sich die Ausgangslage nicht verbesserte, sprachen die Verantwortlichen ihrem Aufstiegstrainer bis Dezember das volle Vertrauen aus. Sie hatten aus der Premier-League-Saison 2022/23 Schlüsse gezogen: Damals trennten sie sich schon im November von ihrem langjährigen Erfolgscoach Hasenhüttl und engagierten mit Nathan Jones einen neuen Trainer, der nach 14 Spielen schon wieder gehen musste.

Als dann aber im Dezember gegen Chelsea (1:5) und Tottenham (0:5) zwei weitere katastrophale Auftritte der Mannschaft folgten, zogen die Bosse entgegen ihres Vorsatzes doch den Schlussstrich. Martin musste gehen. Mit dem deutschen Trainer Danny Röhl hatten die Verantwortlichen einen designierten Nachfolger im Auge, allerdings konnte man sich mit Arbeitgeber Sheffield Wednesday nicht einigen, sodass mit Juric kurz darauf die 1B-Lösung präsentiert wurde. Dieser hatte wenige Wochen zuvor eine Trainerstelle bei der AS Rom angetreten und war nach zwölf Spielen schon wieder entlassen worden. Dementsprechend skeptisch nahmen Fans die Entscheidung auf.

Die Entscheidung pro Juric warf vor allen Dingen Fragen auf, weil dieser sowohl sportlich als auch menschlich ein völliger Gegenentwurf zu Vorgänger Martin war. Juric steht für hohes Pressing, den direkten Weg in die Spitze und körperbetontes Spiel. Dazu gilt er als autoritärer Typ, der seine Unzufriedenheit sehr direkt kommuniziert – auch in der Öffentlichkeit. Martin hatte dagegen den Ruf, einen persönlichen Draht zu jedem Spieler zu pflegen und sich trotz haarsträubender Fehler schützend vor sie zu stellen. Der Trainerwechsel wirkte demnach auf mehreren Ebenen wie eine Kehrtwende.

Auch Juric übt Kritik an Kaderplanung Southamptons

Der Spielstil Southamptons änderte sich durch den Trainerwechsel tatsächlich, aber Punkte holte Juric trotzdem nicht. Die ersten sechs Premier-League-Spiele mit dem neuen Trainer gingen allesamt verloren – mit einem 0:5 zu Hause gegen Brentford als Tiefpunkt. Die großen Probleme, die schon unter Martin offensichtlich waren, bekam auch sein Nachfolger nicht in den Griff. Trotz der neuen Spielidee konnte die Abwehr die regelmäßigen individuellen Fehler nicht abstellen und die Offensive ihren Output nur leicht steigern. Im Februar brachte Juric die Situation nach einem schwachen Auftritt gegen Chelsea (0:4) auf den Punkt: „Wir müssen ehrlich sein: Das Team hat (unter Russell Martin; Anm. d. Red.) auf eine Weise gespielt und es war schlecht. Jetzt haben wir versucht, die Spielweise zu ändern – und es ist immer noch schlecht.“

Die offene und ehrliche Kommunikation, die Juric nachgesagt wurde, bekam die Führungsetage der Saints mit dem zunehmenden sportlichen Abwärtsstrudel deutlicher zu spüren. Der Gipfel waren Aussagen vor dem Tottenham-Spiel vergangene Woche, das den Abstieg endgültig besiegelte. „Wir haben viele junge, talentierte Spieler, aber sie haben noch nie in der Premier League gespielt. Sie sind gut, aber ihnen fehlt die Erfahrung. Kaderplanung ist alles im Fußball“, ließ Juric klare Kritik an den Verantwortlichen des Vereins durchklingen.  

So haben sowohl Martin als auch Juric in der Öffentlichkeit Kritik an der Kaderplanung des Vereins geübt. Als Aufsteiger hatte man zwar über zwei Transferfenster stolze 122,15 Mio. Euro in 20 (!) Spieler investiert, zu Leistungsträgern entwickelte sich davon aber kaum jemand – abgesehen von Harwood-Bellis und Downes, die zuvor schon ausgeliehen waren. Die einzigen sportlich wichtigen Neuzugänge waren Ramsdale und Mateus Fernandes sowie mit Abstrichen Yukinari Sugawara. Ramsdale trug mit starken Paraden in vielen Spielen dazu bei, dass die Niederlagen nicht noch deutlich wurden und Fernandes zeigte im Mittelfeld zumindest spielerische Ansätze eines soliden Premier-League-Spielers.

Lallana, Charlie Taylor und Ryan Fraser (zusammen 654 Premier-League-Spiele) sollten die notwendige Erfahrung ins junge Team bringen, kamen aber allesamt – auch aufgrund von Verletzungen – nie wirklich an. Cameron Archer sollte die Knipserqualitäten aus der Championship ins Oberhaus übertragen, wirkte allerdings maßlos überfordert. Von Lesley Ugochukwu erhoffte man sich als talentierter Leihspieler von Chelsea Körperlichkeit im Mittelfeld, er bekam aber erst im späteren Verlauf der Saison ernsthafte Chancen. Maxwel Cornet und Ben Brereton Díaz enttäuschten sogar so sehr, dass die Saints schon im Winter Konsequenzen zogen. Cornets Leihe von West Ham wurde vorzeitig abgebrochen, Brereton Díaz wurde in die zweite Liga zu Sheffield United verliehen.

Das Resultat der vielen enttäuschenden Transfers ist, dass sich die durchschnittliche Aufstellung kaum von der letztjährigen Zweitliga-Saison unterscheidet. Mit Harwood-Bellis, Downes, Kyle Walker-Peters, Jan Bednarek, Adam Armstrong, Joe Aribo und Ryan Manning sind sieben Stammspieler aus der Vorsaison unter jenen mit der meisten Einsatzzeit 2024/25. Dazu brachen mit Ché Adams und Stuart Armstrong im Sommer zwei wichtige Spieler aus der Aufstiegssaison weg. So hatte sich die Kaderqualität in der Spitze trotz der großen Ausgaben im Sommer höchstens minimal verbessert.

Neuaufstellung auf Southamptons Führungsebene vollzogen

Die jüngsten sportlichen Entwicklungen bei Southampton haben auch dazu geführt, dass sich in der Führungsetage etwas geändert hat. Als Gründer der Londoner Investmentfirma Sport Republic, die seit Januar 2022 eine Mehrheitsbeteiligung am Verein hält, waren Dragan Šolak, Henrik Kraft und Rasmus Ankersen bis zuletzt die zentralen Köpfe des Boards. Während Ankersen als CEO von Sport Republic weiterhin für die Strategie des Klubs verantwortlich ist, gab es bei Šolak und Kraft im Januar eine weitreichende Veränderung. Šolak ist nicht mehr nur Geldgeber, sondern übernimmt Krafts Rolle als Vorsitzender des Vereins. Dieser bleibt zwar Anteilseigner, hat sich aber damit aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.

Im gleichen Schritt kündigte Southampton mit Johannes Spors und Andy Young zwei Neuzugänge in der Führungsetage an. Spors ist als neuer Technischer Direktor gekommen und soll sich um Transfers, Kaderplanung und Trainerbesetzung kümmern. Zuvor hatte der deutsche Funktionär erfolgreiche Arbeit bei Vitesse Arnheim, Genua und in übergeordneter Rolle bei der 777 Group (u. a. Hertha BSC) geleistet, war zudem Chefscout in Hoffenheim, Leipzig sowie beim HSV. Young wurde als unabhängiger Direktor geholt und soll weniger sportliche und mehr strukturelle sowie finanzielle Angelegenheiten kontrollieren. Zuvor hatte er als CFO bei der City Football Group (u. a. Manchester City) gearbeitet. Die Anstellungen sollen dafür sorgen, dass in der Führungsetage eine klare Struktur und eine größere sportliche Expertise vorherrscht.

Durch den besiegelten Abstieg am vergangenen Sonntag herrscht nun zumindest Klarheit. Während die Verantwortlichen die sportlichen Entscheidungen für die mittelfristige Zukunft des Vereins in aller Ruhe treffen können, geht es für die Mannschaft darum, die Saison zu einem würdevollen Ende zu bringen. Der Titel des frühesten Absteigers der Premier-League-Geschichte ist den Saints bereits sicher, aber der Negativrekord des schlechtesten Teams nach Punkten ist noch abwendbar.

Southampton steht nach 31 Spielen bei zehn Punkten. Den aktuellen Negativrekord hält Derby County mit elf Punkten aus der Saison 2007/08, dahinter steht Sunderland mit 15 Punkten (2005/06) auf Platz zwei. Interimstrainer Rusk würden schon zwei Punkte reichen, um an Derby County vorbeizuziehen und dafür bleiben noch ganze sieben Spiele. Das Restprogramm ist allerdings anspruchsvoll: Es warten vier Gegner aus der oberen Tabellenhälfte. Die besten Chancen haben die Saints wohl am 3. Mai gegen Tabellennachbar Leicester City, bei denen der sichere Abstieg auch nur noch eine Frage der Zeit ist.

Vereinsvergleich

Premier League

Premier League

262,60 Mio. €

Marktwert

273,30 Mio. €



122,15 Mio. €

Ausgaben 24/25

89,05 Mio. €


Simon Rusk

Trainer

Ruud van Nistelrooy

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Deutscher Johannes Spors soll Umbruch leiten

Im Sommer wartet auf den FC Southampton also ein Neuanfang – und das gerade einmal zwei Jahre nachdem ein erster Neuanfang nach einer erschreckenden Premier-League-Saison 2022/23 gestartet worden war. In der Presse-Mitteilung zur jüngsten Trainerentscheidung kündigte der Verein diesen Prozess öffentlich an. Dort hieß es, dass man eine unmittelbare Rückkehr in die Premier League anstrebe und Spors als Technischer Direktor den notwendigen Umbruch leiten werde.

Auf ihn wartet eine harte Aufgabe. Die Saints erhalten zwar sogenannte „Fallschirmzahlungen“, die den enormen Einnahmeverlust nach dem Abstieg abfedern sollen und im ersten Jahr nach dem Abstieg noch 55 Prozent der zentralen TV-Gelder der Premier League garantieren, aber wichtige Sponsorenverträge sind häufig an die Liga-Zugehörigkeit geknüpft. Zahlungen von kommerziellen Partnern könnten gekürzt oder eingestellt werden. Unklarheit besteht auch bei der Gültigkeit von Spielerverträgen. So liegt nahe, dass Leistungsträger wie Harwood-Bellis oder Fernandes Klauseln in ihren Verträgen haben, mit denen sie den Verein im Abstiegsfall verhältnismäßig kostengünstig verlassen dürfen.

Die nächsten Entscheidungen werden wegweisend sein. Der aktuelle Abstieg aus der Premier League war kein Zufall, sondern das Resultat aus kurzsichtigen sportlichen Strategiewechseln, einer naiven Kaderzusammenstellung und fehlender Klarheit in den Strukturen der Führungsetage. Die neuen Entscheider um Spors müssen nun den Balanceakt zwischen wirtschaftlichem Wiederaufbau und sportlicher Wettbewerbsfähigkeit meistern – und das während die Kluft zwischen erster und zweiter Liga zunehmend größer wird.