In den Ruinen des Maya-Zentrums Tikal in Guatemala haben Archäologen einen Altar entdeckt. Er diente offenbar einem entsetzlichen Kult, der auch in der 1200 Kilometer entfernten Metropole Teotihuacán gepflegt wurde. Das deutet auf enge Beziehungen hin.

Die Stadt Tikal gehörte zu den großen Metropolen der Maya. Im Zentrum des Tieflandes Guatemalas gelegen, war der Stadtstaat, der sich selbst Motul nannte, in der sogenannten Frühen Klassik (250–600) eine Großmacht, die wiederholt in Kriege mit ihren Nachbarn verwickelt war. Im Zuge der Entzifferung der Maya-Schrift wurde eine durchlaufende Herrscherlinie seit dem späten 3. Jahrhundert ermittelt.

Nach einer These beruhte Tikals Macht auf Fernhandel mit Luxusgütern und Rohstoffen wie Obsidian, aus dem Messer und Waffen hergestellt wurden. Ein wichtiger Partner war dabei offenbar die Stadt Teotihuacán, rund 45 Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt. Das macht ein Fund plausibel, den Archäologen jetzt in den Ruinen von Tikal gemacht haben. Bei Grabungen in einem Wohnkomplex entdeckten sie einen Altar aus Kalkstein. Das Gebäude, in dem er gefunden wurde, zeigt Figuren mit menschlichen Zügen und Quasten in Rottönen – ein Detail aus der Teotihuacán-Kultur. Deren Zentrum lag mehr als 1200 Kilometer von Tikal entfernt.

Der Fund im Tikal-Nationalpark zeige, dass es ein Zusammenspiel zwischen den Gesellschaften der Maya und Teotihuacáns gegeben habe, teilte das guatemaltekische Kulturministerium mit. „Die Wohnkomplexe in Teotihuacán waren Häuser mit Zimmern und in der Mitte Altäre“, erklärt die leitende Archäologin Lorena Paiz: „So sieht auch das gefundene Haus aus, mit einem Altar, der die Figur der Sturmgöttin darstellt.“

Teotihuacán war nicht irgendeine Stadt, sondern gilt als Urmutter der präkolumbischen Kulturen Mittelamerikas. Als „Ort, an dem die Menschen zu Göttern werden“, deuteten die Azteken die riesigen Ruinen, als sie Jahrhunderte später ihre eigene Metropole auf dem Gebiet des heutigen Mexiko-Stadt erbauten. Forscher schätzen die Einwohnerzahl Teotihuacáns auf 100.000 bis 200.000, was die Stadt zur größten ihrer Zeit auf der Welt gemacht haben dürfte. In eigenen Vierteln lebten auch Angehörige fremder Völker, darunter Maya. Umgekehrt fanden sich in deren Siedlungsgebiet auf der Halbinsel Yucatan und in Guatemala zahlreiche Einflüsse von Teotihuacán, nicht zuletzt in Tikal.

Dort hat es offenbar eine Art Kolonie der Teotihuacán-Bewohner gegeben. „Sie waren Händler, die durch das ganze Land reisten“, führt Lorena Paiz aus. Und sie pflegten einen Kult, der prägend für die indigenen Zivilisationen Mittelamerikas war: Menschenopfer. Solche wurden den Göttern auch in dem ergrabenen Haus gebracht, allerdings von einer besonderen Art: „Die Überreste von drei Kindern, die nicht älter als vier Jahre waren, wurden auf drei Seiten des Altars gefunden“, berichtet Paiz. Dieser misst ein mal zwei Meter und ist etwa einen Meter hoch.

Die nicht an dem Projekt beteiligte Archäologin María Belén Méndez sagt, die Entdeckung bestätige, „dass es eine Verbindung zwischen den beiden Kulturen gab und wie ihre Beziehungen zu ihren Göttern und Himmelskörpern aussahen … Wir sehen, dass das Thema der Opferung in beiden Kulturen existiert. Das war ihre Art, sich mit den Himmelskörpern zu verbinden.“ Erstaunlich nur, dass dafür Kinder sterben mussten. Wie zahlreiche Funde zeigen, dienten vor allem Kriegsgefangene und Angehörige von konkurrierenden Eliten als Menschenopfer.

In der Mitte des 6. Jahrhunderts verlor Tikal die Gunst der Götter. Hieroglyphen und Stelen, mit denen die Herrscher ihre Macht repräsentierten, verschwanden in zahlreichen Maya-Städten. Dieser Hiatus (lat.: Lücke) wird besonders in Tikal deutlich. Man hat ihn zum einen mit militärischen Niederlagen und Konflikten innerhalb der herrschenden Dynastie erklärt. Zum anderen durch den Niedergang Teotihuacáns, das um 750 sogar verlassen wurde. Diese Katastrophe habe zum Einbruch des Fernhandels geführt, dessen Routen an Tikal vorbeigelaufen seien.

„Wenn die Maya-Dynastien im Tiefland ihre Entstehung dem Vorbild oder sogar dem direkten Einsetzen theotihuakanischer Herrscher verdankten, ist einsichtig, dass der Zusammenbruch dieser Großmacht auch die epigonalen Maya-Fürstentümer erschütterte“, schreibt der Bonner Altamerikanist Berthold Riese. Ende des 7. Jahrhunderts, erstaunlicherweise vor dem endgültigen Untergang Teotihuacáns, kehrte Tikal wieder auf die politische Bühne der Maya zurück. Neue Bauwerke zeugten von wiedergewonnenem Wohlstand. Aber der Einfluss Teotihuacáns war vollständig verschwunden.

Schon in seiner Geschichts-Promotion beschäftigte sich Berthold Seewald mit Brückenschlägen zwischen antiker Welt und Neuzeit. Als WELT-Redakteur gehörte die Archäologie zu seinem Arbeitsgebiet.

mit AP