In Duisburg blieben am Montag viele Schulen geschlossen,
nachdem einer Gesamtschule in anonymen E-Mails von einem mutmaßlich
rechtsradikalen Absender mit Gewalt und Säuberungen gedroht wurde. Etwa 18.000
Schüler blieben Schätzungen zufolge zu Hause. Am Mittwochabend folgte eine
weitere Mail, nun an das Max-Planck-Gymnasium, die „subtil bedrohliche und
rechtsradikale Äußerungen“ enthielt, wie die Polizei mitteilte. Ob die
Mails zusammenhängen, ist unklar, auch die Ernsthaftigkeit der Drohungen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul von der CDU gab am Donnerstag
vor dem Innenausschuss im Landtag an, der anonyme Autor der Mails habe sich
mittlerweile dazu bekannt, bloß Aufmerksamkeit für das Schulsystem schaffen zu
wollen. Wie fühlen sich die Duisburger Schülerinnen und Schüler in dieser Lage?
ZEIT ONLINE sprach mit drei von ihnen über die vergangenen Tage.

Wir leben hier und gehen hier zur Schule, aber wir sind ein Ziel

„Natürlich können Schulen keine Sicherheit garantieren, wenn ein rechtsradikaler Amokläufer Migranten angreifen will. Unser Gymnasium liegt in Duisburg-Mitte, etwa vier Gehminuten von der Gesamtschule, bei der am letzten Wochenende die Drohungen eingegangen sind. Dass das Schuldezernat und Bildungsministerium es nicht für nötig gehalten haben, es zu schließen, finde ich fahrlässig, zumal auch an den Gymnasien hier die meisten einen Migrationshintergrund haben. Unsere Schulleitung hat zum Glück sehr beherzt reagiert und den Eltern und Schülern am Sonntagnachmittag geschrieben: Es gibt eine Bedrohungslage, wer aus Sicherheitsgründen zu Hause bleiben will, solle das bitte tun. Für mich stand sofort fest, dass ich am Montag nicht hingehe. Ich habe einen kongolesischen Background, und die Drohungen, von denen in den Medien berichtet wurde, klangen nicht bloß nach Hetze, sondern nach einem gezielten und geplanten Angriff auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Es geht offenbar darum, unter ihnen Angst zu verbreiten. Wir sollen das Gefühl haben, hier falsch zu sein, und uns nicht sicher fühlen. Wir leben hier und gehen hier zur Schule, aber wir sind ein Target, ein Ziel, das war die Botschaft. Warum sollte man sonst Nazi-Parolen benutzen? Für mich ist die Schule bislang immer ein sicherer Ort gewesen. Am Dienstag bin ich aber mit einem mauen Gefühl hingegangen. Im Hinterkopf hatte ich die Frage: Was, wenn die Täter die Drohung für Montag verschickt haben, nur um dann am Dienstag zuzuschlagen? Unsere Schule hat alles dafür getan, dass wir uns wieder sicher fühlen, Durchsagen gemacht, Gespräche angeboten, sich in den Klassen die Sorgen angehört. Aber als am Donnerstag die Nachricht rumging, dass das Max-Planck-Gymnasium gestürmt worden sei – was sich als falsch herausgestellt hat –, kamen die Sorgen zurück.“

Miriam, 17, Elftklässlerin und Schülersprecherin am Duisburger Landfermann-Gymnasium

Allein, dass von Säuberungen die Rede ist, wäre doch einen Aufschrei wert

„Wir hatten alle Schiss. Ich gehe auf ein Gymnasium, an dem locker 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler Migrationshintergrund haben. Die ideale Zielscheibe für Rechtsterroristen. Aber als die Drohmails eingingen, hat man nur Gesamtschulen geschlossen, nicht die Gymnasien. Es hieß: Der Unterricht findet statt. Kommt zur Schule, Punkt. Da haben wir uns schon gefragt: Geht’s euch noch gut? Wir haben uns nicht ernst genommen gefühlt. Ich und viele andere sind am Montag trotzdem zu Hause geblieben, aus Vorsicht. Das Risiko war es mir nicht wert. Dass Gesamtschulen mit Gewalt bedroht wurden, ist für mich gezielt ein Anschlag auf migrantisierte Personen oder auch Menschen mit Behinderung, die Gesamtschule ist ja ein Symbol für Vielfalt. Am Montag war noch von Säuberungen die Rede, am Dienstag war dann wieder ganz normal Schule. In den ersten beiden Stunden hatten wir Sozialkunde, also Politik, es hätte sehr gut gepasst, über das Thema zu reden. Aber wir haben ganz normalen Unterricht gemacht. Auch sonst wurde nicht groß auf das Thema eingegangen, das hat mich sehr überrascht und auch enttäuscht. Unter uns Schülern gibt es zwei Lager. Die einen sagen: Ach, das passiert öfter, jemand kündigt einen Amoklauf an, es gibt ’ne Terrordrohung. Und am Ende passiert ja doch nichts. Die anderen, zu denen ich und auch die Mehrheit meiner Freunde zählen, sehen das anders. Wir glauben, dass wir eine Diskussion über die Normalisierung rechter Gewalt brauchen. Man nimmt es mal wieder nicht ernst. Wir gehen jetzt auf das Abitur zu.

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Als die Morde in einer Shishabar in Hanau passierten, waren
wir in der Mittelstufe. Am nächsten Tag hat man in Deutschland ganz
normal Karneval gefeiert. Das hat meine Generation noch im Kopf. Da
kommt schon eine Resignation auf, wir haben das Gefühl: Die Behörden
jucken sich null um unsere Sicherheit. Und die Gesellschaft scheint sich
auch nicht wirklich darum zu kümmern. Allein, dass mit Säuberungen
gedroht wird, wäre doch schon einen Aufschrei wert. Dass der
ausgeblieben ist, das macht den Rechtsruck für mich spürbar. In einem
anderen gesellschaftlichen Klima wären die Drohschreiben nicht so
normalisiert worden. Im Duisburger Norden wäre die AfD fast stärkste
Kraft geworden. Wir brauchen eine Debatte in unserer Stadt darüber, wie
sich Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sicher fühlen
können. Und wie wir die Prävention gegen Rechtsextremismus verbessern
können.“

Florim, 18, Elftklässler und Schülersprecher am Duisburger Mercator-Gymnasium

Die Gerüchte haben beängstigend gewirkt

„Wie bekannt ist, ist am Freitag eine Drohmail an unserer Schule eingegangen. Wir wurden von der Schulleitung nachmittags darüber informiert, dass daher am Montag wegen der Gefahrenlage Distanzunterricht stattfinden soll. Unserer Schule war es wichtig, unsere Sorgen ernst zu nehmen und uns zu beruhigen. Wir fanden es in Ordnung, keine Details zu bekommen, solche Situationen sind schwierig zu lösen. Das Wichtigste war einfach, dass so keine Panik oder Angst entsteht. Man hofft in solchen Situationen natürlich immer, dass es sich nur um eine leere Drohung handelt. Am Sonntag veränderte sich die Situation, da plötzlich viele Schulen betroffen waren. Die Gerüchte und Behauptungen, die anschließend über Social Media verbreitet wurden, haben schon beängstigend gewirkt. Dass in dem Zusammenhang auch das Wort Säuberung auftauchte, wirkte bedrohlich, da das Wort von den Nationalsozialisten missbraucht wurde.

© ZEIT ONLINE

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Insgesamt empfinde ich es als bedrückend, dass die Stimmung in der
Gesellschaft momentan anscheinend nach rechts rückt. Wenn es dann an
einer Schule mit vielen Kulturen, die für Toleranz und gegenseitigen
Respekt steht, präsent wird, ist das etwas anderes. Es wird persönlich.
Am Dienstag kam es dann zu verschiedenen Gesprächen zwischen der
Lehrerschaft und Schülerschaft, in der Ängste und Sorgen thematisiert
wurden und Fakten besprochen wurden. In den jüngeren Klassen gab es
natürlich mehr Gesprächsbedarf. Gerade deswegen haben wir uns entschieden, unsere schon vorher geplante Osteraktion durchzuführen, denn
wir wollten uns dafür einsetzen, dass unsere Schule ein sicherer und
fröhlicher Ort sein soll.“

Emily, 18, Zwölftklässlerin und Schulsprecherin an der Gesamtschule
Duisburg-Mitte. Wie die beiden anderen engagiert sie sich im Vorstand der Duisburger Bezirksschülervertretung.