Berlin/Warschau – Sie wollen dem Einsatz im barbarischen Krieg in ihrer Heimat entkommen. Und nutzen dafür offenbar einen Trick: Ukrainer im wehrfähigen Alter sollen zunehmend versuchen, mit gefälschten Lkw-Führerscheinen um den Kriegsdienst herumzukommen. Dies hätten polnische Grenzbehörden bei ihren Kontrollen nun festgestellt. Details zu dieser Praxis – angeblich einer neuen Schleuser-Masche – finden sich auch in einer Sonderauswertung der deutschen Sicherheitsbehörden, die BILD vorliegt.

Darin heißt es wörtlich: „Der polnische Grenzschutz hat vermehrt gefälschte ukrainische Lkw-Führerscheine bei Einreisenden aus der Ukraine nach Polen festgestellt.“

Auf BILD-Nachfrage bestätigte auch die Kommandantur des Polnischen Grenzschutzes diese Funde. Mithilfe dieser Führerscheine bekämen die jungen Männer die Möglichkeit, dem Fronteinsatz zu entfliehen.

Hintergrund: Mit der Verhängung des Kriegsrechts dürfen Männer im wehrfähigen Alter (18 bis 60 Jahre) die Ukraine grundsätzlich nicht ohne Sondergenehmigung verlassen und müssen ihr Land bei einer Einberufung verteidigen. Aktuell werden Männer ab 25 Jahren eingezogen!

Wer sich aber dem Kriegsdienst durch illegale Ausreise entzieht, muss mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen. In dem BILD vorliegenden vertraulichen Dokument heißt es: „Die ukrainischen Grenzbeamten haben die strikte Anweisung, wehrpflichtige Personen nicht ausreisen zu lassen, und werden bei den geringsten Verstößen an die Ostfront strafversetzt.“

Das bedeutet: Nicht nur die potenziell fahnenflüchtigen Ukrainer werden bei einem nicht genehmigten Ausreiseversuch bestraft (entweder mit Geldbuße, 15 Tagen Arrest oder sogar längeren Haftstrafen beim Einsatz gefälschter Dokumente), sondern auch die ukrainischen Grenzer, die die Männer im wehrfähigen Alter wissentlich aus der Ukraine ausreisen lassen.

Auf BILD-Nachfrage schreibt die ukrainische Botschaft: „Ukrainische Grenzbeamte helfen nicht bei der Flucht ins Ausland, sondern schützen unsere Staatsgrenze. Und zwar nicht nur im Westen der Ukraine, sondern auch im Osten, wo unser Nachbarstaat uns täglich angreift.“

In dem BILD vorliegenden vertraulichen Dokument ist nun aber davon die Rede, dass das Ausreiseverbot gezielt mithilfe der Lkw-Führerscheine umgangen werde. Denn: „Die Regelungen zur Einberufung in das ukrainische Militär sehen eine Ausnahme für aktive Lkw-Fahrer vor.“

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Hier gelte die Maßgabe, dass Lkw-Fahrer durch ihre Transportfahrten einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg leisten würden, da sie beispielsweise kriegswichtige Waren (Waffen, Medizin etc.) aus dem Ausland in die Ukraine verbringen würden. Heißt also: Der ukrainische Lkw-Führerschein KANN für die jungen Männer die Befreiung vom Einsatz an der Front bedeuten.

BILD fragte dazu bei der ukrainischen Botschaft nach. Die Antwort: „Wir weisen darauf hin, dass ein C-Führerschein allein kein ausreichender Nachweis für eine Ausreise ist.“ Ukrainer im wehrpflichtigen Alter dürften „nur dann ausreisen, wenn sie als Berufskraftfahrer bei einem Unternehmen tätig sind, das über eine Lizenz für internationale Transporte verfügt. Voraussetzungen sind ein gültiger Führerschein, entsprechende Arbeitsnachweise, eine Eintragung im digitalen System ,Reserv+‘ sowie eine behördliche Ausreisegenehmigung.“

So sieht ein ukrai

So sieht ein ukrainischer Führerschein aus. Auf der Rückseite sind die speziellen Fahrerlaubnisse eingetragen.

In dem BILD vorliegenden Dokument wird zudem behauptet, Ukrainer könnten auf legalem Wege derzeit keinen Lkw-Führerschein mehr erlangen. Wörtlich heißt es: „Da es seit Kriegsbeginn jedoch keine Möglichkeit mehr zum rechtmäßigen Erwerb eines solchen Führerscheins gibt, versuchen männliche ukrainische Staatsangehörige im wehrpflichtigen Alter vermehrt, mittels inkriminierter (heißt: gefälschter oder gestohlener) Lkw-Führerscheine sich dem Wehrdienst zu entziehen.“

Dies allerdings dementiert die Ukraine! Auf BILD-Nachfrage schreibt die Botschaft: „In der Ukraine gibt es kein Verbot für Männer, einen Lkw-Führerschein der Klasse C zu erwerben.“

Fund von Blanko-Führerscheinen an Polen-Grenze

Offenbar aber wird mit gefälschten ukrainischen Blanko-Führerscheinen aktuell ein schwunghafter Handel betrieben. Das legt ein Fund der polnischen Grenzbehörde nahe. Laut dem Geheimdokument stellten Polen-Grenzer „am 9. April 2025 an der Grenzübergangsstelle Medyka bei der grenzpolizeilichen Kontrolle eines Busses aus der Ukraine eine mit Lebensmitteln gefüllte Einkaufstasche“ fest, „in der sich 203 ukrainische Blanko-Führerscheine befanden“.

Laut dem Bericht ergab die spätere „urkundentechnische Analyse“ der 203 Blanko-Führerscheine, „dass auf der Rückseite der Dokumente die Berechtigungen zum Führen der Fahrzeugklasse ,C‘ (Lastkraftwagen) hinzugefügt worden waren“ – sie seien manipuliert worden.

Einer der 203 Blanko-Führerscheine: Sie waren in Plastikumschlägen in der Tasche (siehe Foto) versteckt.

Einer der 203 Blanko-Führerscheine: Sie waren in Plastikumschlägen in der Tasche (siehe Foto) versteckt.

Foto: Polnischer Grenzschutz

Im Polizeiverhör gaben die beiden ukrainischen Busfahrer nach BILD-Informationen an, dass „die Tasche als Warensendung transportiert worden sei und sie den Inhalt nicht kannten“.

Auf BILD-Nachfrage hieß es von der ukrainischen Botschaft: „Ein solcher Vorfall ist uns nicht bekannt.“ Die Ukraine sei hier von Polen und Deutschland nicht informiert worden.

Und weiter: „Wir weisen darauf hin, dass sogenannte ,Blanko-Führerscheine‘ in der Ukraine nicht mehr existieren. Seit über 20 Jahren werden ukrainische Führerscheine ausschließlich als Plastikkarten mit eingetragenen Personendaten und Sicherheitsmerkmalen ausgestellt.“

Organisierte und „spezialisierte“ kriminelle Banden

Wer steckt also hinter der Schleuser-Masche mit den gefälschten Lkw-Führerscheinen?

Auf BILD-Nachfrage sagt der Sprecher des Oberbefehlshabers des polnischen Grenzschutzes: „Hinter der Schleuser-Masche stecken spezialisierte kriminelle Gruppen.“ Also: Organsierte Kriminalität!

Die Aufdeckung sei hier nur mit Hilfe „intensiver Aufklärungs- und Ermittlungsmaßnahmen“ durch polnische Grenzer möglich gewesen. Es sei kompliziert, „solche Fälle aufzudecken“.

Die ukrainische Botschaft sagte BILD dazu, dass ihr „keine solchen Fälle bekannt“ seien.

Es bleibt die Frage: Wie viele Ukrainer im wehrfähigen Alter haben es mithilfe des Lkw-Tricks seit Beginn des russischen Angriffskrieges aus der Ukraine über Polen ins Ausland geschafft?

▶︎ Den tatsächlichen Umfang der Nutzung des Lkw-Tricks zur Fahnenflucht aus der Ukraine können die polnischen Behörden nicht beziffern. Tatsache ist aber, dass die Beamten 2024 insgesamt 498 Ukrainer im wehrfähigen Alter zwischen 25 und 60 Jahren an der Einreise nach Polen gehindert haben. Im ersten Halbjahr 2025 waren es insgesamt 118 Fälle.

Die ukrainische Botschaft sagte BILD, dass die „sogenannte illegale Flucht“ kein „Massenphänomen“ sei. Der Großteil der Männer im wehrfähigen Alter, der ins Ausland reise, tue „dies auf legaler Grundlage“, habe die nötigen Ausnahmegenehmigungen.

Live im Video: Dobrindt besucht Grenze zu BelarusTeaser-Bild

Quelle: Reuters21.07.2025