Felde. Möglicherweise ist die Edition 115 die kleinste Buchhandlung in Schleswig-Holstein. Auf jeden Fall ist sie – samt angegliedertem Verlag und Antiquariat – eine der ungewöhnlichsten. Ende Juli jedoch ist Schluss in der Dorfstraße 115 in Felde. Das Betreiber-Paar Annegret und Michael Thiemann setzt sich nach mehr als 17 Jahren zur Ruhe.

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Noch gibt es sie, die Karrieren, die es in Zukunft sehr wahrscheinlich kaum mehr geben wird. Michael Thiemann ist einer der rar gewordenen Vertreter jener Überzeugungstäter, die gar nicht anders können, als ihren Job zu machen. Seit 61 Jahren ist er Buchhändler. Mit Leib und Seele – und mit Hirn.

Buchhändler aus Felde ist seit 61 Jahren in seinem Beruf tätig

Letzteres wird in diesem Metier aufs Anregendste beschäftigt, weiß Thiemann. Die Klassiker, die antiken Schätze, die neue Literatur, nicht zuletzt die Begegnungen auf den Buchmessen, all das hat den mittlerweile 84-Jährigen stets in Gang gehalten. „Der deutsche Buchhandel ist wie eine große Familie“, erzählt er über geistesblitzende Gespräche mit großen Verlegern oder auch schreibenden Größen wie Elias Canetti, Peter Sloterdijk und Co. Den einzigartigen Kritiker Marcel Reich-Ranicki hat Thiemann zu seinem Bedauern aber nie zu fassen bekommen, wohl aber hin und wieder über die Gänge der einschlägigen Messen huschen sehen.

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Trotzdem: Auch das wundervollste Berufsleben muss einmal ein Ende haben, zumal Michael Thiemann genauso wie seine Frau schon reichlich Verlängerungszeit drangehängt hat. Annegret Thiemann, eine gebürtige Kielerin, leitete bis zum Jahr 2007 die Stadtbücherei in Bielefeld und hätte schon damals fast in Ruhestand gehen können. Stattdessen entschieden sich sie und ihr Mann für einen gemeinsamen Neustart im Norden.

Arbeit und Garten in Felde waren für viele Glückshormone gut

In einem mit Reet bedeckten Haus in Felde, wo ein großer Teil ihrer Familie zu Hause ist, fanden Annegret Thiemann und ihr Mann eine in jeder Hinsicht ideale zweite Heimat. Unter einem Dach zu wohnen und zu arbeiten, dazu der große Garten, allein das bewirkte täglich die Produktion von ganz schön vielen Glückshormonen.

Jetzt sitzt die Bibliothekarin in einem „durchdachten Durcheinander“, wie sie es ausdrückt, und ist einigermaßen traurig. „Das Gespräch mit den Kunden und der Umgang mit wirklich raren Büchern, das wird mir fehlen“, glaubt die 74-Jährige. Und doch, so weiß sie, führt schon mit Blick aufs Alter und die Gesundheit kein Weg vorbei an der Schließung zum 31. Juli.

Ein Buch aus Felde wurde sogar in die Antarktis verkauft

Nicht verschweigen mögen die Thiemanns, dass auch das Umfeld in ihrer Branche schwieriger geworden ist. Gegen die großen Ketten anzukommen, ist aus Sicht von Annegret Thiemann für eigenständige kleine Buchhandlungen, zumal auf dem Land, kaum noch möglich: „Die haben ganz andere Möglichkeiten, zu riesigen Rabatten einzukaufen.“

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Das Gespräch mit den Kunden und der Umgang mit wirklich raren Büchern, das wird mir fehlen.

Annegret Thiemann

Buchhändlerin und Antiquarin aus Felde

Dennoch schwingt Stolz darüber mit, sich fast 20 Jahre lang behauptet zu haben. Die Antiquariat-Buchhandlung Edition 115 verkaufte Bücher auf allen fünf Kontinenten. Ein Titel ging sogar in die Antarktis – dank einer bemerkenswert unkomplizierten Kooperation mit Polarforschern des Alfred-Wegner-Instituts.

Das Antiquariat samt Buchhandlung in Felde war eine Perle des ländlichen Geschäftslebens. 

Das Antiquariat samt Buchhandlung in Felde war eine Perle des ländlichen Geschäftslebens. 

Und dann wären da noch die Highlights, die bisweilen zu hübschen vierstelligen Summen die Besitzer wechselten. Eine aus Litauen angekaufte sogenannte Endter-Bibel, im 17. Jahrhundert in Nürnberg gedruckt, oder ein begehrtes Exemplar des Sachsensiegel, solche Schätze bekamen selbst alterfahrene Fachleute wie die Thiemanns nicht alle Tage in die Hände.

Was das Paar indes traurig macht, ist eine über ihre persönliche Betroffenheit hinausgehende Zäsur. „Es stirbt ein Stück literarische Nahversorgung“, seufzt Annegret Thiemann.

KN