Blutiges Wochenende in Berlin. In der Nacht zu Sonntag schießt ein Unbekannter in Gesundbrunnen einem Jugendlichen in die Beine. Kurz danach prügeln sich dort 50 Männer, inklusive tödlicher Messerstiche gegen einen 30-Jährigen. In der Nacht zu Samstag wird ein 26-Jähriger in Kreuzberg niedergeschossen und ein Mann in Neukölln feuert einem 39-Jährigen in die Beine.
Die Fälle hingen wohl nicht zusammen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Doch mit Blick auf die jeweils einzelnen Taten gehen Beamte von Fehden organisierter Banden aus. Der Tagesspiegel sprach mit Ermittlern über Szenen, in denen es zu solchen Taten kommen könnte.
1 Schleuser-Netzwerke
Erst seit wenigen Jahren fallen diese Männer im Schleusergeschäft auf: oft erst heranwachsend; türkische, deutsche oder syrische Staatsbürger; logistisch ausgefeilt. Ein Kenner dieser Netzwerke spricht von einem „Taxi-Service“, einem gut funktionierenden Transportsystem aus der Türkei über Osteuropa nach Deutschland. Je nachdem, welche Papiere gefälscht, welche Verkehrsmittel genutzt und welche Fristen eingehalten werden, kostet der Transfer zwischen 5000 und 10.000 Euro pro Person.
Die Schleuser sollen den Flüchtlingen auch Schwarzarbeit besorgt haben. Mitunter gab es Streit mit den Flüchtlingen, die als Kunden eine Dienstleistung bezahlen müssen. Oder Konflikte mit Nutznießern – etwa Gastonomen, die „Ablösesummen“ für günstige Arbeitskräfte infrage stellten.
2 Deutsch-arabische Clans
Ethnoreligiöse und familiäre Herkunft seien in vielen Unterweltkreisen zentral, sagen Ermittler, weil sich verwandte und kulturell ähnliche Protagonisten besser vertrauten. In Strafverfahren sind Belastungszeugen aus der eigenen Familie selten: Kaum jemand denunziert Brüder, Onkel, Cousins. Die bekannten Clans fungieren wie eine Bande, zu der sich Täter anderer Milieus erst zusammenfinden müssen.
Es geht nicht um geografische oder rein ökonomische Grenzen. Man stelle sich das besser als Flickenteppich vor: Jede Bande beansprucht hier und da ein Feld für sich.
Frank Teichert,
Berliner Vize-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, über Revierkämpfe
Zuweilen bilden sich – kurzlebige – Allianzen verschiedener Clans. Auf Wunsch der Politik gehen die Behörden intensiver gegen das Clanmilieu vor. Shisha-Lokale, Friseure, Spätis, die Ermittler den Familien zurechnen, werden öfter kontrolliert. Ein Verdacht: Dort werde Drogen- und Raubgeld gewaschen. Regelmäßig finden Beamte unversteuerten Tabak.
3 Tschetschenische Banden
Die oft aus dem Libanon stammenden Clans sind in Berlin seit 30 Jahren aktiv, viele Cliquen aus dem Kaukasus seit zehn Jahren. Tschetschenen waren zunächst Handlanger. Doch sie begehrten auf. Schon 2017 feuerten Tschetschenen im Wedding mit einer Maschinenpistole auf Kosovaren, mit denen sie Streit um ein Drogengeschäft hatten. Als möglicher Bandenkonflikt wird auch ein Angriff aus dem Juni diskutiert: Ein Afghane tötete im Wedding einen tschetschenischen Boxer mit einem Stich in den Hals.
„Organisierte Kriminelle, so viel Selbstbewusstsein haben sie immer öfter, wollen die Stadt aufteilen“, sagte der Vize-Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Frank Teichert. „Dabei geht es nicht um geografische Grenzen, wie die der Bezirke, oder rein ökonomische, wie die einzelnen Gewerbe in der legalen Wirtschaft. Man stelle sich das besser als Flickenteppich vor: Jede Bande beansprucht hier und da ein Feld für sich.“
4 Großfamilien vom Balkan
„Manchmal teilen die Banden die Straßen in einem Kiez auf, manchmal einzelne Läden oder Geschäfte in denselben Straßen, manchmal geht es noch kleinteiliger zu“, sagt Polizeigewerkschafter Teichert. „So beobachten meine Kollegen im Wedding seit einigen Jahren, dass Männer bestimmter Clans in den Lokalen dealen, während tschetschenische Cliquen den öffentlichen Raum nutzen, um Betäubungsmittel abzusetzen. Schert eine Seite aus, knallt es.“
Lesen Sie mehr zum Thema „Ein Menschenleben hat keine Bedeutung“ Wie die „Mocro-Mafia“ Deutschland ins Visier nimmt Libanons Islamisten in Brandenburg Wie die Hisbollah die deutsche Provinz zur Geldwäsche nutzt „Sie ist Deutsche, sie gehört allen“ Frauen, Juden, Corona – worüber Clan-Männer reden
In diversen Kiezen Berlins kamen zuletzt Großfamilien hinzu, die aus den Elendsvororten bulgarischer, serbischer und mazedonischer Städte stammen. Einigen von ihnen werden Seriendiebstähle und Hehlerei nachgesagt, es gab entsprechende Ermittlungen. Untereinander knallt es gelegentlich.